Peter Somma

Das Gewitter

 

        Es war schwül, Elektrizität lag in der Luft und die Spannung übertrug sich auf die Menschen. Die Gäste in diesem kleinen Hotel reagierten unterschiedlich auf diese eigenartige Stimmung, die sich schon am Nachmittag angekündigt hatte und jetzt am Abend seinen Höhepunkt zu erreichen schien. Einige saßen von der Feuchtigkeit und der unangenehmen Wärme, die in der Luft lag, ermattet an den Tischen der Hotelterrasse und nippten gelangweilt an ihren Getränken, ältere, durch lange Ehekämpfe gestählte Ehepaare schwiegen sich, durch die feuchte Luft ermatte, gegenseitig an und sandten einander dann und wann spitze Bemerkungen. Und das Hotelpersonal, das damit beschäftigt war, ein abendliches Fest auszurichten, war nervös und harte Worte flogen zwischen Küche und Speisesaal.

                                 

         Viele Hotelgäste hatten sich in ihre Zimmer zurückgezogen, lagen in der Dämmerung auf ihren Betten und erwarteten sehnsüchtig die ersten dicken Tropfen, die die drückend, feuchtwarme Stimmung ablösen sollten.

 

        Dabei hatte der Tag ganz anders begonnen. Die Nacht davor hatte die Luft etwas abgekühlt und vom Meer her wehte eine leise Brise. Eine milde Sonne strahlte vom tiefblauen Himmel, die Ebbe warf leise ihre sanften Wellen ans Ufer und die meisten Gäste hatten sich schon sehr zeitlich zum Strand begeben, um nur ja keine Minute ihrer wertvollen Urlaubszeit zu vergeuden.

 

Eine recht gemischte Gesellschaft, hatte sich zu dieser Zeit schon am, vom Tau etwas feuchten Sandstrand gemütlich gemacht, hatten umständlich die Strandschirme von ihren Hüllen befreit, die herunterhängenden Schirme nach oben gestemmt und ihre Badetücher auf den Liegen ausgebreitet. Neben dem Italienischen vernahm man alle möglichen andere Sprachen, aber vor allem vernahm man deutsche Laute, die man den einzelnen Landstrichen Deutschlands und Österreichs zuordnen konnte.

 

Einige junge Eltern waren, mehr oder weniger erfolgreich bemüht, ihre Kinderschar beisammen zu halten, Pensionistenpaare auf ihren Liegen erfreuten sich sichtlich der sommerliche Wärme, vertrieben sich die Zeit mit ihrer Lektüre, bevor sie ein kurzes Bad im Meerwasser nahmen, und Ehepaare mittleren Alters, an deren unterschiedlichen Braunfärbung der Haut man erkennen konnte, wie lange sie schon ihre Urlaubstage genossen hatten, ergötzten sich an der milde Wärme des  Vormittages.  

 

Fräulein Klara, die allein verreist war, erregte, wenn sie mit ihrer Strandtasche zu ihrem Sonnenschirm ging sofort die Aufmerksamkeit und Neugier der Männerwelt, denn sie sah verdammt gut aus. Eigentlich hätte man sie ja Frau Klara nennen müssen, denn, obwohl sie jünger aussah, war sie schon deutlich über dreißig, aber alle nannten sie nur Fräulein Klara. Sie kehrte schon einige Jahre in diesem Hotel ein, galt als gesellig, hatte im Laufe der Zeit Freunde unter den anderen Stammgästen gefunden, die jedes Jahr zur selben Zeit hier Urlaub machten und man fand sie auch immer wieder in einer fröhlichen, Boccia spielenden Runde. Am Vormittag machte sie gerne lange Wanderungen dem Meer entlang, zeitweise mit den Füßen im Wasser, das den Strand herauf lief.

 

Herr Konrad, der im Speisesaal, ebenso wie Frau Klara allein an einem Tisch saß, war das erste Mal in diesem Hotel abgestiegen. Auch er hatte die besten Jahre  schon sichtlich hinter sich, aber sicher noch einige gute Jahre vor sich. Bei den Liegestühlen war er kaum anzutreffen. Er war ein sportlicher Typ, verschwand bald von seinem Liegeplatz und genoss es, den langen Strand entlang zu laufen, verbrachte oft ganze Vormittage damit und kehrte dann erst gegen Mittag an seinen Liegestuhl zurück. Niemand wusste so recht, wo er eigentlich seine Zeit verbrachte und was er dort machte. Das wiederum erregte die Neugier, derer, die immer alles ganz genau wissen mussten.

 

Schon in der Mittagszeit waren am Horizont die ersten kleinen, weißen Wolken aufgezogen, denen niemand besondere Bedeutung schenkte, das Meer war zwar jetzt deutlich bewegter und die Wellen schlugen jetzt mit viel größerer Wucht an das Ufer und liefen weit den Strand hinauf, aber keiner sah darin ein Anzeichen für eine Wetteränderung, denn alle glaubten, es hätte die Flut eingesetzt.

 

Viele Hotelgäste kehrten zur Mittagszeit nicht ins Hotel zurück, hielten lieber am Strand ihr Mittagsschläfchen und bemerkten deshalb nicht, wie immer mehr Wolkenfetzen am Himmel aufgetaucht waren. Es dauerte nicht lange und sie fügten sich zu einer dichten Wolkendecke zusammen. Die morgendliche Wärme hatte sich, nachdem sie zunächst einer brennenden Hitze gewichen war, jetzt in eine drückende Schwüle verwandelt und als die ersten Schläfer erwachten, war die Sonne vom Himmel verschwunden, und über sich sahen sie nur noch einen grauen Himmel. Trotzdem harrten fast alle bis zum frühen Abend am Strand aus.

 

In der Zwischenzeit hatten die Köche im Hotel für das abendliche Fest ein prächtiges Buffet vorbereitet. Mit kreativem Geschick, hatten sie aus den köstlichen Speisen kleine Kunstwerke errichtet und die Hoteldirektion hatte eine Zweimannkapelle aufgetrieben, die den Abend mit schwungvollen Weisen verschönern sollte.

 

Ungeduldig, und hungrig wartete die Schar der Hotelgäste, in den Speisesaal eingelassen zu werden, der so lange verschlossen bleiben sollte, bis auch wirklich alles vorbereitet war und als die Türe zum Speisesaal dann endlich geöffnet worden war, die Gäste ihre Plätze eingenommen hatten, fielen die, von den Köchen mit so großer Liebe und Kunstfertigkeit angefertigten Leckerbissen bald der Zerstörungswut des Servierpersonals zum Opfer, das mit Löffel, Gabel und Messer über das Buffet herfiel und es in kleinen Portionen an die Hotelgäste verteilte.

 

Nachdem das Festmahl verschlungen war, wurde eine Tanzfläche freigemacht, und das kleine Orchester begann sein Repertoire zum Besten zu geben. Aber die Tanzlust der Gäste, litt unter der herrschenden Schwüle und nur manches Mal, wenn die Kapelle eines der beliebteren Stücke zum Besten gab, füllte sich die Tanzfläche. Von den sitzen gebliebenen war natürlich genau beobachtet worden, ob sich nicht da und dort die eine oder andere Romanze angebahnt hatte, denn so etwas konnte noch am folgenden Tag am Strand Gesprächsstoff für die allzu Neugierigen bieten. Dass Fräulein Klara häufig mit Herrn Konrad am Parkett war, war aber selbst den Neugierigsten entgangen. Bald nach Mitternacht packten die Musiker ihre Instrumente ein und die letzten Tänzer suchten ihre Zimmer auf und auch die Nichttänzer verließen ihre Stammplätze an der Bar und wankten in die oberen Stockwerke.

 

Schon während des Festes war fernes Donnergrollen zu hören, das in der Zwischenzeit immer näher gekommen war. Donner folgte nun auf Donner, ging von einem Donner in den anderen über und verwandelte sich in ein einziges Furcht einflößendes Dröhnen. Blitze erhellten die Hotelzimmer taghell und wollten gar nicht enden. Ein Sturm tobte über dem Urlaubsort, brach Äste von den Bäumen, ließ Antennen und Fahnenmasten im Wind klimpern[1] und das Rollen des Meeres vermischte sich mit dem Lärmen des Donners. Endlich fielen die ersten Tropfen und zeichneten große Flecken auf den Asphalt. Dann setzte der Regen mit seiner ganzen Kraft ein. Wie aus Eimern gegossen stürzte das Wasser vom Himmel und bald stand es mehrere Zentimeter hoch in den Straßen. Wer sich jetzt außer Haus gewagt hätte, hätte kein Bad mehr gebraucht und in dieser Nacht fanden nur wenige Schlaf.   

 

Am nächsten Morgen war der nächtliche Spuk vorbei. Das mediterrane Gewitter hatte sich ausgetobt, aber Sturm und Regen hatten überall Spuren hinterlassen: Tiefe Wasserlacken standen in den Straßen, abgebrochene Äste lagen allerorts herum und auf den Gehsteigen sammelte sich der Sand, den der Wind von den Dünen in die Gassen des Ortes getrieben hatte, wo er jetzt in dichten, feuchten Schichten auf den Wegen lag. Der Strand war hart gewalzt, das gelb-graue Meer war immer noch bewegt und am Himmel blinzelte nur durch kleine Wolkenlücken die Sonne.

 

Und auch im Speisesaal hatte sich etwas verändert. Herr Konrad hatte am Tisch von Fräulein Klara Platz genommen und am frühen Vormittag wartete Fräulein Klara neben ihren Gepäckstücken in der Hotelhalle auf die Ankunft des Autobusses, der sie nach Hause bringen sollte. Ihr Urlaub war zu Ende gegangen. Herr Konrad verließ gegen Mittag in seinem Auto das Hotel. Aber niemand wusste, ob ihn das Gewitter vertrieben hatte, oder ob er andere Gründe hatte seinen Aufenthalt abzubrechen. Hatte ihn das Gewitter vertrieben, oder hatte er andere Gründe seinen Aufenthalt abzubrechen? Auf diese Frage sollte ich erst im darauf folgenden Jahr eine Antwort finden.

 

        Ein Jahr war vergangen und ich kehrte an meinen Urlaubsort zurück, den ich seit Jahren frequentierte. Es hatte sich nicht viel verändert. Da und dort entdeckte ich einen neuen Anstrich und die Tische auf der Hotelterrasse waren in einer anderen Farbe gedeckt. Unter den Hotelgästen erkannte ich viele, die ich auch voriges Jahr hier angetroffen hatte. Fräulein Klara saß wieder an ihrem Tisch, der aber jetzt für zwei gedeckt war. An  einer Seite stand ein Stuhl für ein Kleinkind und auf dem Tisch sah ich ein Fläschchen und eine Rassel. Als Herr Konrad den Speisesaal betrat, hatte er ein süßes Baby im Arm und nahm am Tisch von Frau Klara Platz.

         Kein Wölkchen trübte an diesem Tag den blauen Himmel und schon sehr zeitlich am Morgen strahlte eine milde Sonne auf den taunassen Sand. Die Hotelgäste beeilten sich den Badestrand aufzusuchen, denn die Wettervorhersage war günstig. Man durfte sich einen herrlichen Badetag erwarten, denn weit und breit war kein Gewitter in Aussicht.



[1] schellten

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 26.04.2013. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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