Helmut Wurm

Sokrates und die Nachbarn und Putzfrauen einer Schule


Sokrates geht  gelegentlich im Bereich einer Schule und um eine Schule herum spazieren.

Dabei lässt sich viel beobachten, was die Erziehung der Schüler durch diese Schule betrifft, Erziehung bezüglich Lautstärke, Verhalten, Kleinmüllbeseitigung… Denn Schule heute muss neben dem traditionellen Bildungsauftrag auch verstärkt erziehen - weil immer mehr Eltern weniger oder gar nicht mehr erziehen…

So schlendert Sokrates wieder um eine große Schule herum. Es ist ein schöner Vormittag, die Fenster stehen teilweise offen und viele Anwohner des Schulbereiches arbeiten in den Gärten oder unterhalten sich mit den Nachbarn. 

Sokrates geht gerade an einer offenen Fensterreihe der Schule vorbei. Aus einigen Räumen dringen laute Schülerstimmen, freches Gelächter, Zwischenrufe… Einige Schüler lehnen sich sogar aus einem Fenster und machen spöttische Bemerkungen über den gerade statt-findenden Unterricht und den Lehrer… Sokrates bleibt stehen und horcht. Eine Anwohnerin unterbricht ihre Arbeit am Hauseingangsbereich und sagt:

Die Anwohnerin: Sie staunen über die lauten Schülerstimmen während der Unterrichts-zeit und über die Schüler an offenen Fenstern?… Da schallen manchmal merkwürdige, ja bedrückende Umgangsformen im Unterricht aus den Fenstern. Die Schüler haben heute vor den Lehrern keinerlei Respekt mehr, rufen einfach laut dazwischen, beschimpfen sich gegenseitig, lehnen sich aus den Fenstern, lachen, rauchen, machen freche Bemerkungen zu Passanten, die gerade auf dem Bürgersteig vorbei gehen… Vor kurzem haben Schüler ausgetrunkene Milchtüten mit Wasser gefüllt und als Wasserbomben nach den Passanten aus den Fenstern geworfen… An manchen heißen und gewittrigen Tagen summt es in der Schule wie in einem Bienenhaus, dann haben viele Lehrer die Schüler nicht mehr im Griff… Dann machen wir die Fenster zu, um diesen Lärm und dieses Schimpfen nicht hören zu müssen… Die Lehrer von heute sind offensichtlich unfähig, Ordnung und Disziplin zu halten.

Sokrates (korrigiert): Sicher tolerieren nicht alle Lehrer solch lockeres Schülerverhalten während des Unterrichts, sicher hat ein Teil der Lehrer ihre Schülergruppe im Griff. Aber je uneinheitlicher die Lehrer mit Schülern umgehen und lockeres Verhalten tolerieren, desto negativer wirkt das Schulebild nach außen und um so schwieriger haben es die Lehrer, die einen ruhigen Unterricht anstreben… Ich denke, die Mehrzahl der Schüler verhält sich noch ordentlich, vor allem die Mädchen.

Die Anwohnerin: Die Mädchen sind etwas ruhiger, aber auch nicht mehr so wie früher. Sie werden ebenfalls frecher und lauter und grober… Früher war alles besser, auch das Verhalten der Mädchen.

Sokrates (korrigiert vorsichtig wieder): Ich bin es gewohnt festzustellen, dass man in den Pausen zumindest erkennt, dass die meisten Mädchen ruhiger und pflegeleichter sind…

Ein Anwohner (der sich dazu gestellt hat): Gerade in den Pausen merkt man erst richtig, wie das Schülerverhalten sich geändert hat, auch bei den Mädchen. So ein Umher-Rennen, Gebrülle, Gerufe hat es früher nicht gegeben. Da wird Ball gespielt, geraucht, gerauft, mit Papierkugeln im Sommer und mit Schneebällen im Winter geworfen, das Schulgelände einfach verlassen um einzukaufen oder zu rauchen… Und die Aufsicht führenden Lehrer schauen bei allem möglichst weg, um sich so wenig wie möglich Ärger zu schaffen… Die modernen Lehrer sind doch häufig Weichlinge ohne Ecken und Kanten… Und die Mädchen sind an diesem Schülerverhalten zunehmend beteiligt, die passen sich immer mehr den Jungen an…

Ihren Kleinmüll lassen die Schüler einfach auf den Boden fallen, oft direkt neben die vielen Mülleimer. Ich habe gehört, wie ein Schüler einem Aufsichtslehrer, der ihn fragte, ob er denn nicht seinen Kleinmüll beseitigen wolle, frech gesagt hat: Ich finde die Müllbeseitigen schon ganz gut, aber an der Stelle, wo ich meinen Trinkbecher entsorgen wollte, stand gerade kein Schulmülleimer… Und außerdem, wofür wird denn der Hausmeister bezahlt? Der langweilt sich doch nur… 

Andere Schüler hocken tatsächlich still in den Schulhofecken und sind am Telefonieren, Mailen, Surfen… Vernünftige Gespräche wie früher werden immer seltener geführt. Die heutige Jugend verlernt das geordnete Sprechen selbst in der Schule… Nur die Motorik wird immer heftiger.

Sokrates (versucht wieder zu korrigieren): Schüler waren in den Pausen schon immer lebhaft, voller Bewegungsdrang, denn 2 Schulstunden lang still zu sitzen fällt schwer… Und gerauft haben sich schon die Schulkinder zu meiner Zeit…

(dann für sich) Aber das rechtfertigt natürlich nicht diese Gleichgültigkeit bezüglich der Kleinmüll-Beseitigung. Hier fehlt offensichtlich eine konsequente Erziehung sowohl von Elternseite als auch von Lehrerseite.

Sokrates schlendert weiter Richtung Haupteingangsbereich der Schule. Ein Anwohner ist gerade dabei, seine Hecke entlang des Bürgersteigs von Kleinmüll, Brotresten, leeren Milchtüten, Zigarettenschachteln, Schokobechern, Taschentüchern usw. zu reinigen. Er richtet sich auf, als Sokrates vorbei kommt.

Der andere Anwohner: Sie müssten mal beobachten, wenn die Schüler morgens hier entlang zur Schule gehen und nach dem Unterricht wieder nach Hause gehen. Da hört man manche Schülergruppe schon von weitem kommen und gehen. Müssen denn die heutigen Kinder so laut sprechen und sich ständig über die Straße etwas zurufen?

Oder sie gehen wie in Trance und bedienen gerade diese modernen kleinen Geräte zum Telefonieren und Nachrichtenschicken. Dann sind sie wie in einer anderen Welt. 

Natürlich wird auf dem Schulweg geraucht und die Zigarettenkippen werden einfach auf den Bürgersteig geworfen. Manchmal muss ich jeden Nachmittag vor meinem Haus kehren, um die Spuren der rauchenden Schüler, die Raucherschneise, zu beseitigen. 

Und viele Schüler werfen alles, was sie gerade in der Hand haben und nicht mehr essen wollen oder nicht mehr brauchen, einfach auf die Straße oder auf den Bürgersteig. Ihren Kleinmüll nehmen sie nicht mit zu einem der nächsten Mülleimer auf dem Schulhof oder an der Bushaltestelle. Da liegen dann halb gegessene Schulbrote, Pommes-Schalen teilweise noch halb mit Pommes-frites gefüllt, Kaugummifolien… Vor kurzem hat vor meiner Hecke eine ältere, sehr vornehm gekleidete Schülerin ihren gerade geleerten Trinkbecher mit geradezu fraulicher Grazie einfach auf die Straße vor ein Auto geworfen. Und als der Autofahrer hupte, hat sie abschätzig nur pahh! gemacht.   

Dafür sind andere phantasievoll in der Beseitigung ihres Kleinmülls. Den verstecken sie in meiner Hecke. Fast täglich muss ich meine Hecke von Brotpapier, leeren Bechern, Folien usw. befreien. Erst im Herbst, wenn das Laub abfällt, sieht man so richtig, was alles in meiner Hecke entsorgt wurde…

Sokrates: Das ist in der Tat ärgerlich. Unternimmt den die Schulleitung nichts dagegen? Das Verhalten der Schüler auf dem Schulweg gehört doch in gewisser Weise auch zu ihrem Verantwortungsbereich.

Der andere Anwohner (verächtlich lachend): Lehrer und Schulleitung wollen sich doch keinen Ärger schaffen… Die gehen an den rauchenden und ihren Kleinmüll wegwerfenden Schülern lächelnd oder gleichgültig vorbei. Ab und zu wird dann nur ein Rundschreiben an alle Schüler verfasst, dass Rauchen gesundheitsschädlich und deshalb untersagt ist und dass Kleinmüll in die entsprechenden aufgestellten Behälter entsorgt werden soll - und das war es. Man hat sich juristisch abgesichert und geht das nächste Mal wieder lächelnd oder gleichgültig aneinander vorbei. Die Schüler wissen das, die Lehrer wissen das - kein Lehrer und kein Vertreter der Schulleitung spricht die betreffenden Schüler regelmäßig konkret an. Dabei würde es auf die Dauer das Fehlverhalten vieler Schüler mindern, wenn man ihnen durch regelmäßige sofortige Ansprache durch Lehrer und Schulleitung lästig würde…

(Und dann zeigt der Anwohner auf den Fußgänger-Übergang am Eingang der Schule) Diesen Fußgänger-Übergang benutzen viele Schüler nicht, sondern überqueren die Straße unterhalb oder oberhalb, so wie sie es gerade für richtig halten. Das macht das Autofahren zu Beginn und Ende der Schulzeit schwierig. Auf herannahende Autos wird kaum Rücksicht genommen. Es ist gelegentlich sogar eine Art Mutprobe, vor herannahenden Autos die Straße zu überqueren… Die Autofahrer müssen ja vor Schülern halten… Einmal saß ein Schüler als Folge einer solchen Mutprobe auf der Kühlerhaube eines größeren Autos, das nicht schnell genug bremsen konnte.   

Sokrates: Mutproben haben Schüler schon zu meiner Zeit gemacht. Aber diese geschickte  und bequeme Ausweichstrategie von Schulleitung und Lehrern gab es bei uns nicht. Da hatten Lehrer noch Mut und Ecken und Kanten…

Bei diesen Bemerkungen des Schul-Anwohners sind gerade die Frauen der Schulreinigungs-firma, die sehr wichtigen Putzfrauen also, an den Schuleingang gekommen. Sie kennen den Anwohner direkt gegenüber des Schuleingangs, grüßen diesen, erfahren von der Klage des Anwohners und fügen noch einige Erfahrungen aus dem Inneren der Schule hinzu.

Die erste Reinigungsfrau: Wir können auch ein Lied von den heutigen Schülern und ihrer Lockerheit und Gleichgültigkeit singen. Wenn ich jetzt schon an die beschmierten Tafeln denke, die nach Weggang der Lehrer als künstlerische Kreativwände von zurückbleibenden Schülern genutzt wurden… Und dann an die vielen Kaugummis, die täglich unter die Tische geklebt werden. Die mache ich nur mit Gummihandschuhen weg… Und obwohl in jeder Klasse 3 Behälter für Mülltrennung stehen, liegt der Boden unter den Tischen immer voller Kleinmüll, benutzte Tempotaschentücher, Essensreste, Papierreste… Und dass täglich neu auf die Tische nicht nur mit Kuli geschrieben wird, sondern sogar mit dem Taschenmesser Sprüche eingeritzt werden, zeugt für mich von völliger Rücksichtslosigkeit gegenüber dem Allgemein-Besitz… Den heutigen Wohlstandskindern ist nichts mehr wertvoll

Die nächste Reinigungsfrau: Und ich denke schon mit Grauen an die Toilettenreinigung, besonders an die Mädchentoiletten. Da sieht es schlimmer aus als in den Jungentoiletten. Und fast jeden Monat einmal ist eine Mädchen-Toilette durch hineingestopftes WC-Papier völlig zu. Manchmal wird die Täterin durch Hinweise ausfindig gemacht. Denn man glaubt es kaum, es sind an dieser Schule überwiegend Mädchen, die so etwas machen… Die letzte Täterin oder unreife Pubertierende sagte als Begründung, sie fände es witzig, wenn andere Mädchen, die auf die Toilette gingen, aus Mangel an Gelegenheit in die Hose machten…  

Die dritte Reinigungsfrau: Und wie sich Schüler und Eltern uns gegenüber benehmen…Wir gelten als wenig werte Hilfskräfte für die Dreckbeseitigung, als die unterste Stufe der schulischen Sozialleiter. 

Wenn wir uns z.B. bei der Schulleitung über bestimmte Schülerplätze beschweren, dann ist es schon vorgekommen, dass die betreffenden Schüler oder deren Eltern beim Hausmeister oder bei der Schulleitung angerufen und gesagt haben, die Putzfrauen sollten sich nicht so beschweren, sie bekämen ja schließlich Geld für das Dreck-Wegmachen… 

Und gerade die heutigen Mädchen sind oft nicht bereit, unter ihren Bänken z.B. beim Essen in der Pause von ihnen selbst zertretenes Brot oder Obst selber wieder wegzumachen. Ich habe mehrfach erfahren, dass Mütter gegenüber der Schulleitung oder dem Klassenlehrer gesagt haben, ihre Töchter machten keine zertretene Weintrauben weg, auch wenn sie die selber zertreten hätten - dafür würden ja schließlich die Putzfrauen bezahlt. 

Die vierte Reinigungsfrau: (Sie erzählt einige Beispiele von solcher Frechheit ihnen gegenüber und von solchem Müll und Dreck und Beschädigungen an Mobiliar, Wänden und Böden, dass sich mancher Leser vielleicht überfordert fühlen wird)…

Sokrates (nachdenklich): Schüler neigten schon zu allen Zeiten zu dummen Streichen, zu Lockerheit, Grenzen testen, Unüberlegtheiten, Widerstand… Aber derzeit ist eine Grenze offensichtlich überschritten, derzeit fallen die Deutschen in ihrem Schulsystem zunehmend  in ein anderes Extrem, nämlich zu wenige Ansprüche zu haben, zu viel zu tolerieren, zu viel Verständnis zu haben, zu wenig zu reagieren… Aber das ist ja typisch deutsch, dieser ständige Wechsel von einer Einseitigkeit zu einer anderen.

Aber glücklicherweise habe ich auch Schulen kennengelernt, in denen noch erzogen wird, in denen Anforderungen aufrechterhalten werden, in denen die Schulleitung und die Lehrer noch Ecken und Kanten haben und in denen das ganze Kollegium eine einheitliche  Verhaltensweise den Schülern gegenüber verfolgt.

Damit beendet er, noch längere Zeit nachdenklich, seinen Spaziergang rund um diese Schule. Heute hat er nicht viel Erfreuliches erlebt. 

 

(Niedergeschrieben vom discipulus Socratis, der mit Sokrates um diese mäßig-gute Schule geschlendert war und der versichern kann, dass keines dieser Beispiele erfunden ist und alle vielfältig in Deutschland vorgekommen sind und noch vorkommen werden - wenn sich im deutschen Schulwesen künftig nicht etwas ändert) 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 27.04.2013. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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