Manfred Bieschke-Behm

Heute wegen gestern geschlossen



Ungewöhnlich ist die Geschichte, weil sie aus dem Rahmen fällt und das, weil… Aber der Reihe nach:
 
In einer fränkischen Kleinstadt gibt es eine Straße die trägt den Namen Hanauer Straße. Das an sich ist das nichts besonders. Und auch die Tatsache, dass sich in der Hanauer Straße eine stattliche Kirche befindet, mehrere Restaurants und Straßencafés wären nicht unbedingt erwähnenswert. Da gibt es auch noch eine Sparkassenfiliale und viele kleine Einzelhandelsgeschäfte. Die Einwohner dieser Stadt, aber auch die Touristen, besuchen gerne die Hanauer Straße. Hier bekommen sie alles was gebraucht wird und es lassen sich wunderbar die Leute beobachten während man selbst gemütlich in einem Café sitzt und Sonne, Kuchen und Café genießt.
Es gibt kaum wahrnehmbare und erwähnenswerte Veränderungen in der Hanauer Straße. Und deshalb verläuft jeder Tag mehr oder weniger gleich. Gegen neun Uhr beginnt hier das Leben. Die Händler bereiten sich auf den Tag vor indem sie Ware vor ihren Türen stellen, Tische und Stühle rücken und gelegentlich den Morgentau abwischen. Nach und nach gehen in allen Geschäften die Lichter an und hier und da werden Tür- und Fensterscheiben geputzt. Wenn die Kirchenglocken die zehnte Stunde einläuten, beginnt das Kleinstadtleben in der Hanauer Straße.
Nur gestern, aber eigentlich schon drei Tage vorher, war etwas auffällig anders, als sonst. In der Hanauerstraße Nr.7 stand seit einigen Wochen ein Ladengeschäft leer. Der ehemalige Mieter, der dort einen Seidenblumenladen betrieb, hatte altersbedingt aufgegeben. Die Einwohner und Gelegenheitsgäste haben diesen Zustand sehr bedauert, denn der Laden mit seinen prächtigen Seidenblumen war immer eine Augenweide und wurde gerne und oft besucht. Die eine oder andere Seidenblume wechselte den Besitzer und bescherte beiden Seiten Zufriedenheit. Nun aber stand der Laden leer und und es schien so, als würde dieser Zustand noch lange anhalten. Jeder hatte sich an diesen Zustand gewöhnt.
 
Vor vier Tagen nun tat sich was im Ladengeschäft Hanauer Straße Nr.7. Um die Mittagszeit trugen zwei Männer und eine Frau ein paar kleine Tische und dazu passende Stühle in den Laden. Es sah so aus, als würde ein weiteres Café entstehen, was die umliegenden Bewohner und Ladenbesitzer erstaunte, denn, wie bereits berichtet, gibt es mehrere Cafés in der Hanauer Straße. Jedes neue Cafe würde es schwer haben zu konkurrieren bzw. zu bestehen. Auffällig war, dass, außer Tische und Stühle, kein caféübliches Mobiliar in das Geschäft hinein getragen wurde.
Über dem Schaufenster befindet sich das künstlerisch gestaltete Werbetransparent des Vorbesitzers. „Seidenblumen aus aller Welt“ steht auf dem Transparent in verschnörkelter Schrift geschrieben und blieb der Stadt als Erinnerung an vergangene Zeiten erhalten. Das sollte sich schnell ändern, denn einer der Männer stellte vor das Schaufenster ein Leiter auf, kletterte hinauf und überpinselte den Schriftzug rücksichtslos mit weißer Farbe. Vorbei laufende Passanten sowie Verkäuferinnen und Verkäufer auf den Nachbargeschäften sahen dem Treiben zu, und fanden die ganze Angelegenheit etwas merkwürdig und abwertend. Noch sonderbarer wurde es, als derselbe Mann, der die weiße Farbe auf das Transparent gestrichen hatte später mit grüner Farbe fein säuberlich eine Buchstabenfolge auf den getrockneten weißen Untergrund schrieb.
Einige zufällig Vorbeikommende blieben stehen und sahen dem Schriftmaler zu wie er mit sicherer Hand Buchstabe für Buchstabe auftrug. am Ende stand „Tauschmarkt der Eigenschaften“ auf dem Transparent. Einige Zuschauer sind noch bevor der gesamte Schriftzug zu lesen war kopfschüttelnd weiter gegangen. Andere dagegen blieben länger stehen. Sie erhofften sich Aufklärung, die aber nicht kam.
Frau Brigitte Heinicke, sie wohnt in der Brahmsstraße Nr.5, ist eine derjenigen die all das mitbekam, was in den letzten zwei bis drei Stunden geschah. Sie hielt sich die ganze Zeit über im gegenüberliegenden Friseurgeschäft auf und konnte deshalb das für sie ungewöhnliche Geschehen interessiert und angespannt mitverfolgen. Wieder zu Hause angekommen, klingelte sie bei ihrer Nachbarin, um ihr von dem Erlebten zu berichten. Karin Seifert, ihre Nachbarin, hörte aufmerksam zu und musste bekennen, dass sie von dieser Neuigkeit vorher nichts gehört hatte. Sie versprach aber morgen, spätestens übermorgen selbst in die Stadt zu gehen um sich sachkundig zu machen.
Frau Seifert hat erst am vierten Tag Zeit „in die Stadt zu gehen“ wie sie es nennt, wenn sie zur Hanauer Straße ging. Schon von weitem nimmt sie wahr, dass sich vor dem Geschäft im Haus Nummer 7 einige Menschen versammelt haben. Das Geschäft schein gut zu gehen, denkt Frau Seifert, wundert sich allerdings, dass weder ein Kunde den Laden betritt noch ihn verlässt.
Endlich steht sie selbst vor dem Ladengeschäft. Es kostet sie einige Mühe bis zum Schaufenster vorzudringen. Nun sieht sie das, was andere bereits vor ihr gesehen haben. Im Schaufenster steht ein verhältnismäßig kleines gelbes Schild mit der Aussage „HEUTE geschlossen wegen GESTERN“ – Nicht mehr und nicht weniger ist zu lesen. Von den Tischen und Stühlen, von denen sie von Frau Heinicke erfahren hatte, ist nichts zu sehen. Der Laden ist, bis auf das Schild im Schaufenster, leer.
Frau Seifert reit sich in die Gruppe der Ahnungslosen ein. Jeder fragt sich, und zum Teil die Umherstehenden, was das Ganze zu bedeuten hat. Einige blicken auf das Transparent über dem Schaufenster und glauben so, erklärendes zu erfahren. Aber nichts dergleichen passiert. Im Gegenteil. Der Schriftzug „Tauschmarkt der Eigenschaften“ erzeugt zusätzliche Verwirrung und Irritation.
 
„Wissen Sie weshalb dieser Laden nach nur drei Tagen wieder dicht gemacht hat und was das überhaupt für ein Ladengeschäft war“ möchte Frau Seifert von der zufällig neben ihr stehenden Frau wissen. Die Angesprochene schüttelt nur den Kopf und gibt so die Frage an einen Herrn weiter der unbekannt auch hier verweilt. Dieser Mann scheint mehr zu wissen, denn, nachdem er sich geräuspert hat, versucht er sich Gehör zu verschaffen in dem er sagt: „Also“, hebt der Mann an, „also dieses Geschäft war kein normales Ladengeschäft. Hier wurde keine Ware verkauft und es ließ sich auch nichts mit Geld bezahlen, dennoch wurde gehandelt.“ Alle Zuhörer bekommen lange Ohren und schauen sich zum Teil ungläubig an. Manche Passanten fangen an sich zu unterhalten weil sie sich versichern wollen richtig gehört zu haben was der Wissende soeben gesagt hat. Der bis eben noch allein redende Herr, bittet um Ruhe um weiter zu berichten. Sofort verstummen die sich Unterhaltenden und der Mann hat die Ruhe, die er braucht um sich weiter mitzuteilen. „In diesem Laden“, fährt er fort, „konnten Bedürfnisse und Eigenschaften getauscht werden.“
Nach dem eben gesagt und gehörtem ist spürbares Unverständnis wahrzunehmen. Einige Zuhören entfernen sich. Sie glauben dass sie genug gehört haben und wollen ihre Zeit nicht noch mehr mit Unsinn verplempert, wie es ein weggehender Mann formuliert. Die Menschenansammlung wird allerdings nicht kleiner. Weggehende werden durch Hinzukommende aufgefüllt, so dass der wissende Herr noch genügend Zuhörer hat und fortfährt: „Wer in diesen Laden ging… (es folgt ein kleine Pause) …der hatte von bestimmten Eigenschaften und Bedürfnissen entweder zu viel oder zu wenig. In diesem Laden bestand die Möglichkeit den eigenen Bedarf durch ein Tauschgeschäft abzudecken.“ „Können sie uns zur Verdeutlichung Beispiele nennen?“, fragt eine Zuhörerin. „Ja, das kann ich. Da gab es zum Beispiel ein Kunde der von sich behauptete zu viel Eitelkeit zu besitzen. Er wollte die Chance nutzen davon etwas abzugeben und als Gegenleistung ein Stück Uneitelkeit erhalten. Tatsächlich traf dieser Kunde im Laden auf jemanden, der Uneitelkeit zum Tausch anbot. Beide traten in Verhandlung und letztendlich passierte, was von Beiden gewünscht war: Der Eitle konnte ein Stück Eitelkeit loswerden und bekam dafür ein Stück Uneitelkeit. Beide Tauschpartner waren zufrieden. Sie glaubten nach dem Tausch künftig besser mit sich und ihrem Umfeld klar zu kommen.“ „Haben sie noch ein Beispiel?“, will eine Stadtbewohnerin wissen.
 
Natürlich hat der wissende Herr noch ein Beispiel und fängt sogleich an zu berichten: „Eine älterer Herr betrat den Laden und sah sich im Ladengeschäft um. Er suchte einen Tauschpartner, um Toleranz zu erwerben. Der Suchende hatte den Anspruch seine Intoleranz komplett gegen Toleranz einzutauchen. Das gelang ihm so nicht. Er fand zwar einen Tauschpartner, der aber war nicht bereit, seine vorhandene Toleranz in vollem Umgang gegen Intoleranz zu tauschen. Es bedurfte einiger Mühe den Intoleranten davon zu überzeugen, dass das Tauschgeschäft nur gelänge, wenn Anteile der jeweiligen Anbieter den Besitzer wechseln. Letztendlich wurden sie sich handelseinig. Der Intolerante meinte gleich nach dem Tausch zu spüren, dass sich seine Einstellung zu bestimmten Dingen geändert hat. Und auch der Tolerante war zufrieden, denn er glaubte, dass es in bestimmten Situationen angebracht ist ein wenig intolerant zu sein und nicht für alles Verständnis zu haben. - Es wurden noch Anteile von Geiz und Großzügigkeit getauscht und Gelassenheit und Unruhe und einiges mehr. Ganz zum Schluss, der laden war so gut wie leer, saßen sich nur noch zwei Personen gegenüber….“ „Und was hatten die im Angebot?“, fiel jemand dem Erzählenden ins Wort. „Einsamkeit und Zweisamkeit“, bekam der Fragende und die Anderen zu hören. „Einsamkeit und Zweisamkeit sind doch keine Tauschobjekte“, tönte es aus der Menge.

„Doch – ich werde es gerne erklären. Ich war der Einsame, der neugierig den Laden betrat. Ich sah mich um und war zunächst skeptisch dem gegenüber was ich sah und hörte. Doch dann entdeckte ich an einem Tisch sitzend eine Person vor der ein Blatt Papier lag auf dem stand „Ich biete Zweisamkeit an“. Was für eine nette Idee, dachte ich. Ich, der Einsamkeit zum Tausch anbieten wollte findet jemanden der Zweisamkeit im Angebot hat. Schnell kam ich mit dem Anbietenden ins Gespräch und erfuhr, dass diese Person bereit war sich für eine Zweisamkeit zur Verfügung zu stellen. Ich dagegen war bereit meine Einsamkeit aufzugeben und und gegen eine Zweisamkeit einzutauschen.
„Was für eine glückliche Fügung.“ „Was für eine schöne Geschichte.“ „Es ist ja kaum zu glauben?!“ und „Schade, das ich nicht eher von der Geschäftsidee wusste, ich hätte auch etwas im Angebot“ Diese und noch andere Stimmen sind zu vernehmen nachdem der Berichtende mit seinen Aussagen zu Ende war.
„Und weshalb stehen wir heute vor einer verschlossenen Ladentür?“, möchte Frau Seifert aus der Brahmsstraße Nr.5 wissen. Der Berichtende antwortet: „Der Ladenbetreiber hatte mir gestern Abend erzählt, dass er grundsätzlich immer nur drei, maximal vier Tage an einem Ort bleibt und dann mit seinem „Tauschmarkt der Eigenschaften“ weiterzieht. Bevor er die Ladenschlüssel an den Ladenbesitzer zurückgibt stellt er jedes Mal das Hinweisschild mit dem Text „Heute geschlossen wegen gestern“ in das Schaufenster und erreicht damit, dass sich Neugierige sammeln, Fragen und Wissen austauschen und vielleicht seine Geschäftsidee ohne Ladengeschäft weiterführen.
 
PS: Das übermalte Transparent mit dem Schriftzug „Tauschmarkt der Eigenschaften“ blieb noch eine ganze Weile für alle sichtbar über dem Ladengeschäft hängen. Eines Tages jedoch war der Schriftzug verschwunden und wurde durch einen neuen ersetzt. Jetzt steht auf dem Transparent „Begegnungsstätte für Suchende“.
Die Einwohner und Gäste der fränkischen Kleinstadt sind gespannt welche Idee dahinter steckt und freuen sich auf den Tag der Eröffnung. Sie wollen unbedingt dabei sein - auch Frau Heinicke und Frau Seifert aus der Brahmsstraße Nr.5.
 

In meiner Geschichte habe ich eine kreative Psychodrama-Methode (Originaltitel "Zauberladen“), die sich hervorragend als Stärken-/Schwächen Profil in Workshops eignet, verwendet Ich selbst habe diese Methode vor Jahren kennengelernt und ausprobieren dürfen. Ich war begeistert. In von mir geleiteten Workshops habe ich diese Methode mehrfach angeboten. Sich "spielerisch" mit der Materie auseinander zu setzen erlaubt Überlegungen etwas an seinen Ansichten und Einstellungen zu ändern.

PS: Bei mir hat es funktioniert
Manfred Bieschke-Behm, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 08.05.2013. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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