Enno Ahrens

Phänomenal

Karin Busulzke traf mindestens 70 % Schuld, dass jene mysteriöse Erkrankung sich in mir einzunisten vermochte und hartnäckig den Anker warf. Die restlichen Prozent mögen aus meiner dispositionierten Empfänglichkeit resultiert haben.

 

Karin, eine Arbeitskollegin, hatte nach unserer Betriebsfeier, und nachdem ein paar Tage später einige Herren heimlich über Juckreiz im Genitalbereich geklagt hatten, die Diagnose Scheidenpilz verbreitet, dessen Überträgerin unsere nymphomanisch veranlagte Büroschnirkse Ingrid Stegmüller gewesen sein sollte.

 

Karin Busulzkes geradezu dichterische Begabung zu Beschreiben, wirkte derart überzeugend auf mich, dass ich fortan unter einem unerträglichem Juckreiz litt. Doch die Symptome entbehrten einer physischen Grundlage, denn zum einen hatte ich nicht mit Ingrid Stegmüller gepoppt, obwohl sie es gerne gehabt hätte, zum anderen war mein bestes Stück bar jeglicher Parasiten und Pilze.

 

Mein Hausarzt schickte mich zu einem Neurologen und Psychiater, der mir nach einem halben Jahr vergeblicher Therapie riet:

„Versuchen Sie es meinetwegen mit Naturheilverfahren oder Homöopathie. Aber bitte kommen Sie nicht mehr wieder.“

 

Der Homöopath erhoffte sich sogar eine Heilungschance, gab mir ein Mischpräparat in einer höheren Potenz, in der wohl kaum noch ein Molekül des Ausgangsstoffs enthalten war. Durch ein zehnmaliges Schütteln bei der Herstellung solle sich eine Art energetische Information ausbilden, die sich auf den Erkrankten positiv übertrage.

 

Ich glaubte nicht an die Wirksamkeit, und so war ein Placeboeffekt ausgeschlossen. Der Spezialist beteuerte, viele Erfolge erzielt zu haben, und ich redete mir schließlich ein, wenn ein wissenschaftlicher Beweis fehle, so läge es vielleicht an der Wissenschaft. Außerdem blieb mir nur dieser Strohhalm zum Anklammern.

 

Ich bekam sogar gratis ein Etui, worin ein Homöopathiepatient, der etwas auf sich hält, wohlbehütet seine Medizinfläschchen mit sich führt.

 

Nach der zweiten Einnahme des Medikaments, und nachdem mein Phantomjucken sich unbeeindruckt davon verhielt, zog ich das Etui mit dem Fläschchen aus meiner Brusttasche und warf es an die Wand, suchte erneut den Homöopathen auf.

„Diese Mittel entfalten erst über eine längere Zeit der Aufnahme ihre Wirkung“, erklärte er.

 

Ich schluckte also weiterhin die Flüssigkeit, schmiss, frustriert über ein Ausbleiben einer Heilung, wiederum das Etui samt Fläschchen an die Wand.

 

Jene Aussichtslosigkeit, meiner Hysterie beizukommen, ließ mich mit der Zeit gleichgültig werden. Ich vergaß ganz einfach meinen Phantompilz und meine Wunden heilten. Zudem besann ich mich darauf, ein Mann zu sein.

 

Drei Wochen danach suchte mich der Doktor auf. Er gebärdete sich aufgeregt.

„Es ist mir äußerst peinlich, Ihnen mitteilen zu müssen, dass ich Ihnen ein Präparat ausgehändigt habe, welches nicht geschüttelt wurde. Wir stellen die Medikamente selber her und meine Praktikantin hatte es vergessen.“

„Herr Doktor, und ich muss Ihnen gestehen, ich habe das Fläschchen mit der Substanz einige Male an die Wand geworfen, und etwa nach dem vierten Mal ging mein Juckreiz weg.“

„Das beweist mal wieder, wie wichtig das Schütteln ist.“

„Und ich hatte schon gedacht, Herr Doktor, es würde daran gelegen haben, dass Männer gar keinen Scheidenpilz kriegen könnten, so ohne Scheide.“

 

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