Helena Ugrenovic

Grillen für Profis

Sie gehören dem Alterstrupp an, der sich im Datenstrom eines Computers mühelos zurechtfindet, jedoch noch ganz genau weiss, wie eine Schreibmaschine anno dazumal ausgesehen hat. Anno Christi, sagen Pseudocoole. Kult. Sagen Sie.

Ich gehöre dieser Spezies an. Die Entwicklung der Vinylplatte zur CD, Transformation des Walkmans in einen Discman, der Siegeszug eines 2.4 Gygaherz Intel Pentiums4 und das Dahinsiechen einer Olivettischreibmaschine, die Mutation einer Vierkanal-schwarzweiss Glotze in einen selbstdrehenden Bang&Oluffsen und die Faszination für die Drehscheibe einer Mikrowelle, gehören eben so zu meinem Kulturerbe, wie der Tod der Achtzigerjahre Sturmfrisur, Untergang glitzernder Leggins, die Vernichtung neonfarbener Ohrhänger und karottenförmiger Jeanshose.

Als Spezies mit dem Background dieses Kulturerbes, bin ich sowohl gefeit, ein „Observatöör-CD-Aufbewahrungssystem“ aus dem Hause Ikea zusammen zu bauen als auch auf dem Co-Pilotensitz einer Raumkapsel den Mond anzusteuern.

Dachte ich jedenfalls.

An einem nicht mehr ganz so heissen Sommertag beschloss ich, meinen Liebsten und Zuckertaube mit einer genialen Idee zu überraschen. Ich wollte Picknicken. Auf einer grünen Wiese liegen, mich von meinem Liebsten füttern lassen, ihn hinter die Büsche zerren, während Zuckertaube und ihre mitgeschleppte Freundin sich mit dem Ghettoblaster beschäftigten, Ball spielen, der Natur frönen und vor allem wollte ich mich mit gegrilltem Fleisch voll stopfen.

„Brauche ich die Kohle und diese weissen Würfel, oder nur die Kohle oder nur die weissen Würfel?“, fragte ich den Shopverkäufer, dessen Laden ich soeben gestürmt hatte. Eigentlich hätte ich wissen müssen, dass die Chance, eine ehrliche Antwort von ihm zu bekommen, gleich Null stand. Er konnte mich nicht leiden. Ich ihn auch nicht. Doch ich wollte grillen und brauchte Ratschläge. „Hm.....kenne mich auch nicht damit aus. Hm...die weissen Würfel dienen lediglich dazu, dass die Kohle besser brennt.“ „Wenn Kohle sowieso brennt, brauche ich keine weissen Würfel, oder?“ Anstelle in die Würfel, investierte ich das Geld in zwei Heineken, schnappte mir den Kohlesack in der Grösse eines kurz vor dem Platzen stehenden 110-Liter-Müllsackes, und stolzierte davon. In meinem Fahrwasser wehte noch sein nachgerufener Satz „viel Spass beim Grillen“. Vielleicht ist er doch nicht so ein Kotzbrocken, dachte ich. Zwei Stunden später revidierte ich meinen Anflug von Grossmütigkeit.

„Schnappen wir uns diesen Grill, Baby?“, mein Liebster stand vor einem Betonklotz, auf dem sogar ein Rostgitter angeschraubt war. Verächtlich blickten wir auf die klapprigen Gestelle benachbarter Grillorgien. Unserer war das technische Highlight schlechthin und eifrig schütteten wir die Hälfte unseres Kohlesackes hinein. „Mit was zünden wir die Kohle an?“ „Hab’ extra viele Feuerzeuge mitgebracht!“, stolz legte ich meinem Liebsten die pinkfarbene Feuerzeugkollektion vor die Füsse, die ich ein paar Tage zuvor gekauft hatte. „Man kann Kohle nicht einfach so anzünden! Wir brauchen Äste, Papier, irgend etwas, das brennt!“ Ich überlegte, ob ich ihn für diesen typisch-Mann-besserwisser-Ton schubsen sollte, entschied mich aber, wie die Frauen vor meiner Generation, Holz zu sammeln und Zuckertaubes Bravo-Hefte für Brennzwecke zu zerfleddern. Nach einer Stunde Äste abfackeln und in die Kohle halten, Papier anzünden und die Kohle halten, Gesicht neigen und in die Kohle blasen, Steine holen und damit in der Kohle wühlen, brannte der Kohlehaufen in unserem Hightechklotz immer noch nicht.

„Es liegt an diesem blöden Betonding! Bei allen andern funktioniert es, nur bei uns nicht!“, meckerte ich und schaute meinen Liebsten vorwurfsvoll an. Er war es schliesslich, der den Betonklotz ausgesucht hatte, also lag es an ihm, das Problem zu lösen. „Vielleicht haben die andern einen Trick, es muss eine einfache Lösung dafür geben. Vielleicht haben wir im falschen Winkel in die Kohle gepustet, aber du hörst ja nie auf mich, wenn ich dir was sage!“ Wie es sich für einen Mann gehört, war auch mein Liebster beleidigt, wenn ich eine seiner Taten in Frage stellte.

Bei den „Andern“ handelte es sich einerseits um eine türkisch-schweizerisch geschlossene Kulturfreundschaft, die sich selber und ihre Kinder in die geheimnisvolle Welt des Multikulturellen Beisammenseins einweihte, und abwechslungsweise vom vorderen Orient und von Ueli dem Knecht zu erzählen wusste. Andererseits hockten zu unserer Rechten etwa 20 kurdische Frauen, die ihre Kinder pausenlos mit etwas fütterten, ihnen Ohrfeigen verpassten, weil diese sich aus dem erlaubten Zweimeter Radius entfernt hatten, Babys wickelten und Hühner rupften. Unterbrochen wurde diese Aktionen lediglich damit, dass 20 kurdische Frauen mit ihren Kindern in Siegesgeheul und beifallendes Klatschen verfielen, als das Feuer in ihrer Grillstelle so hell loderte, wie das beim Hexensabbat während einer Walpurgisnacht. Bei der dritten und grössten Grilleinheit handelte es sich um einen Serbenclan, der mit der gesamten Generationspalette angereist war. Vom schreienden Neugeborenen bis hin zur schwarz gekleideten, im Schatten sitzenden und den Westen verfluchenden Grossmutter, hatte sich der Clan auf etwa 10 flauschigen und Hitze speichernden Wolldecken ausgebreitet. Während Schnapsbecher ihre Runden drehten, gehörten sie zur ultimative Siegerclique. Auf ihrem Rost drehte sich ein kupferfarbenes und knackiges Spanferkel. Doch nicht nur deswegen beneidete ich sie. Ich kochte vor Wut, weil auch sie es geschafft hatten, ein Feuer zu entzünden und aus schwarzer Kohle rote Glut zu erzeugen. Und ihres glühte schon seit cirka 10 Stunden, denn so lange in etwa, braucht es für die Verwandlung eines geschlachteten Schweins in ein gegrilltes Schwein.

„O.K.“, kapitulierte ich:“ ich geh mal zu den kurdischen Frauen und frage sie nach ihrem Geheimnis.“ Fasziniert stand ich vor dem Walpurgisfeuer und blickte in die züngelnden Flammen, und konnte es mir gerade noch verkneifen, die kurdische Feuermachfrau mit einem tiefen Knicks zu begrüssen.
Sie hatten nicht nur Hühner gerupft, ihren Nachwuchs gefüttert oder diesen verhauen. Sie hatten das klägliche Versagen von mir und meinem Liebsten observiert und beratschlagten unterdessen, auf was dieses zurückzuführen wäre. „Da, Du brauchst diese da. Keine diese da, keine Feuer, O.K.?“ Lächelnd streckte mir die Feuermachfrau zwei weisse „diese da“ entgegen. Weisse Würfel, von denen mir am Morgen gesagt wurde, dass sie lediglich dazu dienten, Kohle besser zum Brennen zu bringen und die Information Gemeinerweise unterlassen wurde, dass Kohle nur damit brennen und glühen konnte.

Nach 30 Minuten und einem Münzwurf hatten wir uns entschieden, wo die beiden weissen Würfel am besten platziert werden mussten und betteten sie liebevoll zwischen die Kohlestücke.

„O.K., die Kohle glüht, aber der Rost hängt zu weit oben. Wir brauchen mehr Kohle um einen Turm zu bauen! Alle andern haben zwei Säcke, nur wir nicht!“, schnaubte mein Liebster. Beleidigt, weil ich die Schuldzuweisung an die Picknick-Organisatorin sehr wohl verstanden hatte, machte ich mich vom Acker und steuerte die andern an. Diesmal den Serbenclan.
„Hallo Schwester!“ Zeit meines Lebens war ich stolz darauf gewesen, stets für eine Italienerin, Griechin, Russin, Spanierin, Kroatin oder Portugiesin gehalten worden zu sein. Nie für eine Serbin. Ich kam zum Schluss, dass man Blut riechen konnte. Nachdem ich brav auf alle Fragen wie serbischem Heimatort, Familiennamen, ob ich Ljiljana die Leuchtende oder Miso den Fisch auch kenne, was ich von Milosevic halte, ob ich auch der Meinung sei, dass Carla del Ponte wie ein Kerl und nicht wie eine Frau aussehe, ob ich eine Petition unterzeichnen würde, um das letzte Fleckchen serbischen Strandes unter Nato-Schutz zu stellen und wann ich das letzte Mal in serbischen Breitengrad weilte, beantwortet hatte, trottete ich mit einem geschenkten Sack Kohle zu meinem Liebsten, unserem Betonklotz, Zuckertaube plus Freundin und zu Anastacia zurück. Anastacia schmetterte gerade „paid my dues“ aus den Boxen des Ghettoblasters. Eine Frage hatte man mir vergessen zu stellen. Die, ob ich ein bisschen Spanferkel mitnehmen möchte. Sie wurden langsam geizig, die Serben.

Zwei Stunden waren seit unserer Ankunft auf der lieblichen Lichtung eines Waldhains vergangen. Hähnchenflügel, Würste und Peperoni brutzelten im Schneckentempo auf unserem Rost, Zuckertaube und Freundin unterhielten sich über blöde Jungs und coole Scater, die kurdischen Frauen sowie der Serbenclan nickten beifallend in unsere Lichtung, hielten die Daumen hoch und mein Liebster und ich waren auf ein weiteres Problem gestossen.

„Hast Du Wasser mitgenommen? Meine Spucke reicht nicht aus, um mir die Kohle vom Körper zu wischen.“ Nein, hatte ich nicht. Dafür eine Flasche Wein, Bier, Cola und Eistee. Wollten wir nicht von einer Bienenkolonie zerstochen und von Ameisen überrannt werden, empfahl es sich nicht, uns damit zu waschen. In unserer verzweifelten Kohleakrobatik war es uns entgangen, dass diese Biester uns schwarz eingefärbt hatten. Okay, also ab zum schweizerisch-türkischen Multikulti-Verband, welchen wir noch nicht angepumpt hatten, um dort Wasser zu kaufen. „Ah...nein, kein Geld, bitte! Wir haben Kanister dabei. Wir haben immer Kanister dabei, hier, füllen Sie ab!“ Eine türkische Frau hielt den Kanister, während ich leere Colaflaschen damit füllte und die schweizerische Frau ein Plädoyer hielt, dass ein Picknick so seine Tücken hatte, man immer auf Unvorhergesehenes vorbereitet sein musste, der Impfschein nicht fehlen durfte weil man sich verletzen und notfallmässig in ein Krankenhaus transportiert werden könnte, eine Landkarte dabei sein musste weil alle Wälder sich verteufelt ähnlich sahen und passte man nicht auf, schwups, im falschen landen und nie mehr nach Hause finden könnte und dass es sich empfahl, viel, viel Wasser, in Kanistern weil sehr effektiv, mit zu schleppen. Zustimmendes Nicken aus der Richtung meines Liebsten.

„Wieso muss immer ich betteln gehen und mir das Geschwätz dieser Leute anhören? Wieso können sie mir nicht einfach einen Sack in die Hand drücken, Wasser abfüllen und mich in Ruhe lassen? Ich habe ihnen nichts getan!“, jammerte ich, ignorierte das schadenfreudige Grinsen meines Liebsten und beschloss, das Wasser zuerst für mich zu gebrauchen.

Und endlich lagen wir auf unseren Matten, pulten Fleischstückchen zwischen den Zähnen hervor, knabberten Kartoffelchips, tranken den Wein leer und winkten so dann und wann zu unseren kurdischen, türkischen, schweizerischen und serbischen Nachbarn.

„Wo geht ihr hin?“ „Auf’s Klo.“ „Hier hat es aber kein Klo.“ „Deshalb müssen wir hinter die Büsche.“ Verfolgt von den Augen unseres minderjährigen Frauenclubs, spazierten mein Liebster und ich über die Wiese. Im Augenschein die Stellen des Waldes, durch die nicht mal mehr ein Einhörnchen hindurchhüpfen konnte, und aus welchen die grössten Büsche ragten.

Wir hatten sie uns verdient. Die Belohung. Und diese erforderte keine weissen „diese da“, damit es brannte, glühte oder loderte.

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Mit dem Schreiben und Dichten, ist das so eine Sache.So war ich oft der Meinung, nur lyrisch Schreiben zu können, falls ich mich in einem annähernd, seelischen Gleichgewicht befände, erkannte aber bald die Unrichtigkeit dieser Hypothese.Wichtig allein, war der Mut des Eintauchens.Das Eins werden mit dem kollektiven Fluss des Ganzen. Meine Gedanken, zärtlich zu Papier gebrachten Gefühle,schöpfte ich stets aus diesem Fluss.

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