Kristin Koch

Begegnung in der Bahn



Es ruckelte ein paar Mal, als sich die schwere und inzwischen künstlich beleuchtete Maschine wieder in Bewegung setzte. Ohne den geringsten Hauch von Interesse durchstreiften beider Augen das Abteil ihres Gefährts. Doch sie erkannten nichts; wollten es nicht, da es hier nichts gab, das ihrer Aufmerksamkeit wert gewesen wäre. Stumm ließen sie auch die dunkle Außenwelt an sich vorbei ziehen, warteten auf ihre Station, an welcher sie dann ihr ebenso ereignislosen Leben weiter fortführen könnten. Bis ein Blitz der Erkenntnis durch beide Leiber fuhr. Ihre Augen hatten sich von den Scheiben gelöst; es waren nicht länger ihre eignen Gesichter, die sie begutachteten.

Sie sahen sich an. Lange und intensiv. Keiner der beiden wusste um die Geheimnisse der anderen. Und doch; erzählten sie sich mit ihren Blicken alles. Man brauchte keine Worte. Man benötigte keiner verbalen Sprache, um zu verstehen, was hinter der Hülle, der jeweils anderen schlummerte. Sie erzählten sich Geschichten, gaben Charakterfetzen von sich preis, deren Offenbarung sich in einem Augenaufschlag, einem Zwinkern oder einem deutungsstarken Starren kund tat. Es ging ein Beben durch beider Köper, als sich die zwei Augenpaare der Musterung der jeweils anderen widmeten. Eine Welle der Erregung nach der anderen schien auf die beiden Frauen einzustürzen, schien ihre Körper in eine aufregende, neue Landschaft der Lust und Begehrtheit zu verwandeln. Jedes Deatil, jede Kurve und jede Nuance einer Bewegung wurden interessiert und hungrig aufgenommen.

Die Distanz zwischen den beiden, der Gang, welcher den Mitfahrern den nötigen Platz zum Stehen und Durchdrängen ließ, spielte nicht einen Moment ihrer Begegnung eine hindernde Rolle. Sie konnten sich sehen, waren vis a vis, saßen sich gegenüber auf altgedienten Sitzen. Und es war magisch. Es war surreal, fremd und verboten. Es war aufregend; aufregend zu wissen einer Unbekannten verfallen zu sein, aufregend sich der Bestättigung sicher sein zu dürfen, eine ebenso mächtige Verlockung für jemand anderen zu sein. Wieder trafen sich ihre Blicke. Braun stieß auf Grau, Warm wurde vom Kalt umspült, Schokolade verschmolz mit Stahl.

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Kristin Koch).
Der Beitrag wurde von Kristin Koch auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 27.06.2013. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Die Autorin:

  Kristin Koch als Lieblingsautorin markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Schwerenöter - Gereimtes und Ungereimtes von Rainer Tiemann



Wenn jemand eine Reise tut, so kann er was erzählen. Nach diesem Motto sind viele Gedanken und Erlebnisse im neuen Buch "Schwerenöter" des Leverkusener Autors Rainer Tiemann festgehalten. Gereimt und ungereimt werden Geschehnisse des täglichen Lebens und autobiografische Erlebnisse mal ernst, mal heiter, aber immer menschlich beleuchtet. Sollten die unterschiedlichen Themen des Buches dazu anregen, sich erneut mit Lyrik zu befassen oder über sich und die Beziehungen zum Mitmenschen nachzudenken, wäre ein wichtiger Sinn dieses Buches erfüllt.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (2)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Zwischenmenschliches" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Kristin Koch

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Flucht von Kristin Koch (Gedanken)
Tod mit etwas Humor aufbereitet. von Norbert Wittke (Zwischenmenschliches)
als ich geboren wurde, war ich ich – ! von Egbert Schmitt (Mensch kontra Mensch)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen