Siegfried Kopf

Mitten im Leben, oder: Der Rosenverkäufer


Mitten im Leben
oder
Der Rosenverkäufer________________________/////_______

 

Still und weiß liegt der sich neigende Tag der Sonne zu Füßen.
Der Horizont glüht in den schönsten Farben aus Luft und
Wasser, doch mit der Abenddämmerung fegen schwere Wolken
landeinwärts – so, als wollten sie der Sonne entfliehen.

Tanja’s Schrei reißt ein Loch in diese Stimmung und über Tanja
reißen die Wolken auf, geben einen Kondensstreifen frei,
der so hoch liegt, dass er das Licht der untergehenden Sonne
hell reflektiert. Tanja’s Blick ist starr. Starr folgt er auch dem
schweifausspuckenden Stern, bis dieser am Horizont in die
noch sichtbare Glut der Sonne eintaucht – und mit dem Stern
geht die Sonne unter. Der Schweif selbst treibt mit dem Wind
und den Wolken landeinwärts, wird breiter und breiter, bläht
sich auf bis zur Unkenntlichkeit.

Mehr als die Schwere der Wolken liegt über Tanja. Sie liegt
auf dem Rücken. Unter ihr liegt die Kälte des Winters.
Der Schnee, auf dem es sich so kalt liegt, beginnt zu schmelzen.
Der Schnee durchfeuchtet Tanja’s Kleider, kriecht ihr bis
in den Unterleib, in dem sie erst jetzt den Schmerz spürt, aus
dem jetzt erst endlich der Ekel rinnt. Und das Blut des Mannes
rinnt über ihren entblößten Körper.

Mit einem lang anhaltenden Schrei des Begreifens befreit sich
Tanja von dem schweren leblosen Männerkörper, rafft sich
mühsam auf, rennt der untergegangenen Sonne hinterher. Sie
will der anbrechenden Nacht entkommen.

Weit noch vom Horizont entfernt wird Tanja von der Dunkelheit
eingeholt, die sich zugleich kalt und feucht um ihren aufgeheizten
Leib hüllt. Enttäuscht und entkräftet lässt sie sich in den weichen
Schnee fallen. Wieder auf dem Rücken liegend, wieder in den
Himmel starrend, schleichen sich Bilder der Gewalt zwischen
Himmel und Erde – warum?

Aus den schweren Wolken bricht endlich Schnee. Tanja lässt
sich zudecken von den tanzenden weißen Schneeflocken. Ohne
ihren Widerstand kann der wärmende Schlaf in sie eindringen.
Schneeknirschende Schritte nähern sich langsam der einge-
schneiten Hilflosigkeit. Tanja’s Beine, welche halbwegs auf dem
Bürgersteig liegen, unterbrechen die Regelmäßigkeit dieser
Schritte. Der Mann dieser Schritte stürzt in den Schnee und über
Tanja fallen rote Rosen.

Tanja spürt von alledem nichts. Sie hat sich tief in ihr Inneres
zurückgezogen, sie ist unterkühlt, sie ist schon fast erfroren.
Die Fragen und Rufe des Rosenverkäufers vermögen es nicht,
in diese Tiefe einzudringen. So verstummt er dann endlich,
nimmt den reglosen Körper behutsam in seine Arme und eilt
der nahe gelegenen Stadt entgegen ...
 


© Siegfried Kopf
Aus meinem Lyrikband "Zeit ist ewig neu"

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Siegfried Kopf).
Der Beitrag wurde von Siegfried Kopf auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 09.07.2013. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Der Autor:

  Siegfried Kopf als Lieblingsautor markieren

Buch von Siegfried Kopf:

cover

Zeit ist ewig neu von Siegfried Kopf



Themenbezogen und nachsinnend werden in lyrischer Form viele Facetten des Lebens behandelt und mit farbigen Illustrationen visuell dargestellt. Begeben sie sich mit außergewöhnlichen Texten und Bildern auf eine Reise durch die Zeit, das Leben und die Liebe ...

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (3)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Wie das Leben so spielt" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Siegfried Kopf

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Der Steuerprüfer von Siegfried Kopf (Wahre Geschichten)
Ein Tag der besonderen Art von Susanne Kobrow (Wie das Leben so spielt)
Meine Bergmannsjahre (dritter Teil) von Karl-Heinz Fricke (Autobiografisches)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen