Helmut Wurm

Sokrates und das Schulhausmeister-Ehepaar

 
Nachdem Sokrates an einer Schule mit den Schulnachbarn und den Schul-Putzfrauen gesprochen hat, steht er noch eine Weile nachdenklich an dieser Schule. Da sieht er ein älteres Ehepaar aus einem Haus treten, das direkt am Rande des Schulgeländes steht. Er vermutet, dass es sich um das Hausmeisterehepaar handeln könnte, ein Hausmeister-Ehepaar noch alten Stils, das auf oder direkt am Schulgelände wohnt, das sich für „ihre“ Schule innerlich und zeitlich stets verantwortlich fühlt und nicht nur einen „Hausmeisterjob“ mit einer bestimmten Arbeitsstundenzahl ausübt. Mit diesem Hausmeisterehepaar alten Stils möchte er gerne sprechen.Denn Schul-Nachbarn, Schul-Putzfrauen und Schul-Hausmeister haben ein feines Gefühl für Veränderungen im Schulbetrieb, auch wenn sie langsam vonstatten gehen… Sie sind Teile eines Schulsystems vor Ort und beobachten gleichzeitig dieses Schulwesen von außen… Das schärft ihre Beobachtungen…
 
Sokrates: Vermute ich richtig, dass ihr beide das Hausmeister-Ehepaar dieser Schule seid?
 
Das Hausmeister-Ehepaar: Ja, wir sind die Hausmeister dieser Schule,… besser unserer Schule. Das sind wir nun schon über 30 Jahre… In wenigen Jahren müssen wir leider in Rente gehen.
 
Sokrates(verwundert): Wieso leider?
 
Der Hausmeister: Ich fühle mich nicht nur als Hausmeister, ich fühle mich auch als eine Art heimlicher Nebenschulleiter… Denn ohne mich wäre ein geregelter Schulbetrieb nicht möglich. Ich halte die Klassenräume bezüglich der Einrichtung in Ordnung, ich bestelle Handwerker, ich betreue die Heizung, ich weise die Putzfrauen an, ich pflege das Schul-grundstück… Mir braucht niemand Anweisungen zu geben. Ich sehe schon vor den anderen, wo eingegriffen, etwas organisiert, repariert und getan werden muss… Der Chef verlässt sich ganz auf mich, wenn er morgens in die Schule kommt…
 
Sokrates: Da kommen bei dir aber mehr Arbeitsstunden zusammen, also die normale 40-Stunden-Woche?
 
Der Hausmeister: Ganz gewiss habe ich seit Jahrzehnten stets mehr als eine 40-Stunden-Woche gearbeitet. Aber ich schaue nicht auf die Stunden, die ich täglich arbeite. Wer seine Arbeit als Freude und Pflicht auffasst, so wie ich, tut das nicht… Für mich ist meine Arbeit Freude und Verantwortung… Die weiteren Bereitschaften für meine Schule, das kann ich so sagen, gehen weiter bis in den Abend hinein. Ich achte auf die fremden Sportgruppen, die in der Schulturnhalle trainieren und ob sie die Halle wieder abschließen. Ich achte auf die anderen fremden Fortbildungs- und Arbeitsgruppen, die in Klassenräumen ihre Treffen haben, ob diese die Räume sauber hinterlassen… Mein Dienst geht von morgens bis spät abends. Bei Diensten an der Jugend kann es schwer eine feste Arbeitsstundenzahl geben. Das gilt nach meiner Meinung auch für Schulleiter und Lehrer.
 
Die Hausmeisterin: Die Schüler sind für mich nicht nur Schüler, sie sind für mich eine Art Kinder von mir… Die Pausenbrote und Frühstücksbrötchen, die ich anbiete, sind von mir selbst belegt und nicht dazu gedacht, uns eine zusätzliche kleine Einnahmequelle zu öffnen. Sie werden also zum Selbstkostenpreis verkauft… Und regelmäßig bin ich eine Anlaufstelle für Sorgen und Klagen der Schüler. Ich höre zu, tröste, gebe Sorgen und Klagen an die Lehrer weiter, leite Gespräche ein... Ich bin so etwas wie die Mutter der Schulkompagnie… Ich kann mir einen Ruhestand nur schwer vorstellen. Denn dann werden mir einfach meine Schulkinder fehlen…
 
Sokrates: Und deswegen wohnt ihr beide hier in dem kleinen Hausmeisterhäuschen am Rande des Schulgeländes, um eueren Dienst an der Schuljugend besser erfüllen zu können und habt euch kein Haus irgendwo gebaut, von dem ihr morgens zur Schule fahrt und von der Schule nachmittags zurück.
 
Das Hausmeister-Ehepaar(abwechselnd): Wir sind der Überzeugung, dass Hausmeister einer Schule an der Schule wohnen sollen, dass für sie besonders die Residenzpflicht gilt. Diese arbeitsnahe Wohnpflicht sollte übrigens auch für Lehrer und besonders für Schul-leitungen gelten. Aber da haben sich lockerere Einstellungen bei Schulbehörden, Lehrern und Schulleitungen breit gemacht. Wir finden das nicht richtig.
 
Sokrates: Da verkörpert ihr beide einen Typus von Schulhausmeistern, der allmählich ausstirbt. Der moderne Typus denkt lockerer und egoistischer. Man möchte einen Job, der dauerhaft ist, denn Schulen leben in der Regel ja lange, der feste Arbeitszeiten garantiert und mit dem man abends in den eigenen Wänden nichts mehr zu tun hat. Die moderne Arbeitseinstellung ist nicht immer die bessere gegenüber früher.
 
Der Hausmeister: Ich weiß, dass wir zu einer aussterbenden Art von Schulhausmeistern gehören. Wir nehmen für viele andere Hausmeister unsere Aufgabe zu ernst. Für viele andere ist dieser Posten nur ein guter Job mit sicherer Arbeitsstelle, festen Arbeitsstunden und einer von der Schule entfernten privaten Wohnung... So wie immer weniger Lehrer in der Nähe ihrer Schule wohnen... Wir finden das schade.   
 
Sokrates: Hoffentlich bekommt ihr beide für eueren Einsatz regelmäßig ein Lob von der Schulleitung. Denn das habt ihr verdient.
 
Der Hausmeister: Unser Schulleiter tadelt uns mehr, wenn er meint, wir sollten unseren Posten nicht so ernst nehmen und keine Überstunden machen. Er ist ja auch nicht mehr ein Schulleiter von der früheren „Qualitätssorte“, die ihre Stellung nur als Verpflichtung, als Erziehungs- und Bildungsauftrag, als Dienst an der Jugend verstanden haben. Er hat nach diesem Posten gestrebt um sich aufzuwerten und um noch mehr Geld zu verdienen. Seine Frau ist ebenfalls Schulleiterin an einer anderen, weiter entfernten Schule. Die beiden können scheinbar Geld gut gebrauchen oder „kriegen nicht genug davon“, um es profaner auszudrücken. Keiner der beiden wohnt am Schulort, sondern beide wohnen in der Mitte und fahren täglich mit dem Auto zur Schule. Residenzpflicht ist für sie also ein alter Zopf. Dabei sollten doch Schulleiter auf jeden Fall am Ort ihrer Schule wohnen, um das Umfeld der Schüler zu kennen. Auch vor Schulleitern hat die moderne Welle offensichtlich nicht Halt gemacht. Er nimmt alles locker und ist bald nach dem Unterricht weg. Er sagt immer, dass er seine Gesundheit nicht überstrapazieren dürfe… Aber im Grunde ist das nur eine Ausrede, denn nebenher hat er noch andere Pöstchen angenommen…
 
Sokrates: Das ist ja keine Lobeshymne auf euere Schulleitung. Die könnte doch froh sein, ein so tüchtiges Hausmeister-Ehepaar zu haben. Aber schlechte Schulleiter gab es schon zu allen Zeiten, das ist nicht erst eine Entwicklung der letzten Jahre. Deswegen sollte man euere Beobachtung nicht verallgemeinern. Ich habe in den letzten Jahren manchen guten Schulleiter getroffen.
 
Das Hausmeister-Ehepaar(abwechselnd): Wir Hausmeister haben ein feines Gefühl für Veränderungen im Schulbetrieb, auch wenn sie langsam vonstatten gehen… Wir sind Teile eines Schulsystems vor Ort und beobachten gleichzeitig dieses Schulwesen von außen… Das schärft die Erfahrungen… Und wir stellen fest, dass sich etwas bei den Schulleitertypen geändert hat… Mehr Geltungsgründe für die Stellenbewerbungen, mehr Bedürfnis nach Beliebtheit, viele fühlen sich wie Schauspieler vor dem Publikum Schüler, Eltern und lokale Presse… Bei Verabschiedungen von Schulleitern wird immer mehr von der Presse darauf geachtet, ob sie beliebt waren, ob eine Ära mit ihnen abtritt, ob die Schüler bei ihnen gerne zur Schule gegangen sind… Manche Schulleiter pervertieren sogar immer mehr zu lokalen pädagogischen Medienstars…  
 
Unser früher Schulleiter, das war noch ein ganz anderer Typus. Wenn wir den noch hätten…
 
Sokrates: Wie werden denn solche modernen Persönlichkeitstypen Schulleiter? Ich dachte immer, dass nur die pädagogisch Besten solche Positionen erreichen.
 
Der Hausmeister: Mir scheint, dass es heutzutage überwiegend 3 Wege gibt, in solch eine Position zu gelangen. Aber davor ist es notwendig, sich einem pädagogischen Netzwerk anzuschließen, das die eigene Bewerbung fördert. Also die erste Schiene zum Erreichen einer Schulleiterstelle geht über politisch-soziales Engagement, die zweite über kirchlich-soziales Engagement und die dritte über Beliebtheit bei Schülern, Vertrauenslehrer-Posten und Projektleitungen.   
 
Unser früherer Schulleiter wurde ernannt, weil er besonders gebildet war, ständig seinen Bildungsstand erweiterte und sich besonders für Pädagogik interessierte… Das galt früher in den Ministerien offensichtlich mehr als heute.
 
Sokrates: Auch früher gab es schon den Aufstiegsweg, sich bei den Vorgesetzten beliebt zu machen. In der Kaiserzeit gab man sich soldatisch und besonders pflichtbewusst, bei den Nazis undemokratisch und streng national, in der Nachkriegszeit dann demokratisch, antinational, antikommunistisch und amerikafreundlich… 
 
Der Hausmeister(unterbricht): Aber nicht so offen plump-populistisch, öffentlichkeits-aktiv und nach Beliebtheit strebend wie heute. Das ist bei den Schulposten-Aufsteigern neu.
 
Sokrates: Ich würde das an euerer Stelleaber nicht so offen sagen. Ihr macht euch dadurch nur unnötige Schwierigkeiten. So meinungstolerant, wie immer getan wird, ist Deutschland nicht.
 
Das Hausmeisterehepaar(abwechselnd): Wir haben nichts mehr zu verlieren… Und einer muss doch noch ehrlich-kritisch sein… Und wir Hausmeister haben ein feines Gefühl für Veränderungen im Schulbetrieb, auch wenn sie langsam vonstatten gehen… Wir sind Teile des Schulsystems vor Ort und beobachten gleichzeitig dieses Schulwesen von außen… Das schärft die Beobachtung und Erkenntnisse…
 
Sokrates(nachdenklich): Natürlich wird die moderne Zeit auch bei den Bewerbungen um die Schulleiterstellen ihre Einflüsse bemerkbar machen… Schade, dass ihr nicht gewürdigt werdet…
Aber von den Lehrern bekommt ihr doch sicher das verdiente Lob. 
 
Das Hausmeister-Ehepaar(abwechselnd): Auch bei den Lehrern vollzieht sich ein Trend-wandel… Den früheren Lehrertyp, der eine gewisse Respektperson war und sein wollte, der eine gewisse Distanz zu den Schülern aufrecht hielt, der Schüler durch Fordern förderte, der ein Orientierungs-Vorbild sein wollte, den gibt es immer weniger… Immer mehr Lehrer biedern sich immer mehr bei den Schülern an, bauen selber Distanzen zu den Schülern ab, passen sich den Schülern im Verhalten und in der Kleidung an, geben immer mehr bessere Noten… Teilweise sind sie nur ein wenig mehr gebildet als die Schüler der Oberklassen der Schule… Wenn man eine jugendlich aussehende Person in moderner Kleidung und Frisur und mit einem Brusttelefon redend vor der Schule stehen sieht und hört, dann kann es ein älterer Schüler oder jugendlicher Lehrer sein…
 
Und immer mehr Lehrer sind unverwurzelt, wohnen mal hier und mal dort, aber meistens weiter weg vom Schulstandort, sind mal an der einen und mal an der anderen Schule, gehören am ersten Ferientag mit zu den Ersten, die zu einer Urlaubsreise möglichst ins Ausland aufbrechen… Die heutige Elterngeneration hat ihre heimatliche Verwurzelung schon weitgehend verloren, immer mehr Lehrer sind bewusst unverwurzelt und erziehen bewusst die Schüler zu unverwurzelten Menschen in der globalen heimatlosen Gesellschaft und immer mehr Schüler werden dadurch zu heimatlosen, unverwurzelten und unsicheren Menschen…
 
So verstärken Lehrer und Schüler abwechselnd den Trend zu mehr Oberflächlichkeit, weniger Ansprüche, weniger Bildung, weniger Verwurzeltheit… Ob solche Lehrer für Deutschland gut sind?
 
Sokrates(lobend und tadelnd zugleich): Ihr Beide seid ja fast so kritisch wie ich… Aber seid trotzdem vorsichtig. Deutschland hat längst nicht solche Denkfreiheit, wie immer behauptet wird… Das merke ich selbst an den Reaktionen mir gegenüber. Die Menschen möchten, dass ich mich möglichst nur kritisch zur Vergangenheit und zu den anderen äußere, möglichst nicht zur Gegenwart und zu den direkten Gesprächspartnern… Das gilt gerade auch für das Schulwesen. Denn dort sammeln sich derzeit mehr als früher utopische Ideologen und unrealistische „Gut-Menschen“, auch in den höheren Verwaltungsstellen. Die können ganz schön giftig werden, wenn man ihnen kritisch gegenüber tritt. Dann blocken sie komplett ab… Denn Ideologen sind Gläubige und dadurch den Missionaren verwandt… Mit solchen Gläubigen konnte ich seltener kritisch reden.
 
Damit geht Sokrates weiter. Er hat jetzt auch Schulnachbarn, Schulputzfrauen und ein Schulhausmeister-Ehepaar gesprochen. Und diese Gruppen haben ein feines Gefühl für Veränderungen im Schulbetrieb, auch wenn sie langsam vonstatten gehen… Denn sie sind Teile des Schulsystems vor Ort und beobachten gleichzeitig dieses Schulwesen von außen… Das schärft ihre Beobachtungen und Erkenntnisse…
 
 
(Verfasst von discipulus Socratis, der bei dem Gespräch mit dem Schulhausmeister-Ehepaar dabei stand)

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 14.07.2013. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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