Manfred Bieschke-Behm

Weil es so schön ist, da wo ich bin



Inmitten eines dicht bewohnten Stadtbezirkes liegen, wie auf einer Perlenkette aneinandergereiht, vier kleine Parkanlagen. Umtost vom Großstadtlärm bieten die Parks Ruhe zur Einkehr und die Möglichkeit des Rückzuges. Anselm Herberger kennt „seine“ Parks in und auswendig. Er hat hier viele Stunden seines Lebens hier verbracht, und immer wenn er Sehnsucht oder ein inneres Verlangen verspürt, geht er noch heute die zum Teil verschlungenen Wege. Die von großen alten Bäumen mit ihren Schatten spendenden Baumkronen gesäumten Wegen sind gerade in der Sommerzeit besonders begehrt und wohltuend. Anselm Herberger lässt sich bei seinen Spaziergängen von Erinnerungen tragen und der Hoffnung, noch recht oft hier sein zu dürfen.
Besonders gerne spaziert Anselm Herberger zu dem kleinen Teich, der eingerahmt ist von saftig grüner Uferbepflanzung und markanten Baumstümpfen auf denen einst alte Weiden thronten. Anselm Herberger hat in seinem Leben viele Bäume wachsen sehen und musste miterleben, wie alte, müde und in ihrer Standhaftigkeit gefährdeten Bäume gefällt wurden. Jedes Mal brach es ihm fast das Herz, wenn er miterleben musste, wie ihm lieb gewordene Schattenspender für immer verschwanden. Gleichwohl bleibt er immer wieder gerne am Rand des Teiches stehen, um tanzende Libellen und schnatternde Enten zu beobachten. Seine ganze Aufmerksamkeit hat die Baumgruppe, die Tag für Tag, Monat für Monat und Jahr für Jahr am vorderen Rande des Teiches im Wasser steht und sich immer wieder auf ein Neues behauptet. Im Winter scheinen die Bäume festgefroren und in der warmen Jahreszeit nehmen sie ein ständiges Bad.
Manchmal, wenn ihm danach ist, setzt sich Anselm Herberger seitwärts des Teiches unter dicht verzweigten Nadelhölzern auf eine der Bänke, zu deren Füßen ein eher unscheinbarer Steinbrunnen spärlich Wasser spendet. Er beobachtet wie Spatzen, Tauben und andere Vögel ein Bad nehmen und sich anschließend aufplustern, um die Feuchtigkeit aus ihrem Gefieder zu schütteln. Hin und wieder findet sich auch ein Hund ein, der unüberhörbar und schwanzwedelnd das seicht sprudelnde Wasser aufschleckt, und so seinen Durst löscht.
Im Spätherbst, Winter und Vorfrühling kann Anselm Herberger vom eben beschriebenen Standort die kleine Dorfkirche, die auf einer kaum wahrnehmbaren Anhöhe zwischen dem Teich und dem See steht, sehen, um sich an ihr erfreuen. Er weiß, dass diese Dorfkirche eine lange Geschichte hat und, könnte sie, viel zu erzählen hätte. Am auffälligsten ist der markante Viereckfachwerkturm, der der Dorfkirche einen bäuerlichen Charakter verleiht. Zu Füßen der Dorfkirche befinden sich ein Friedhof mit zum Teil recht alte Gräber. Auch Anselm Herbergers Frau Sonja hat hier vor Jahren ihre letzte Ruhe gefunden.
Jetzt im Sommer lässt sich die Dorfkirche vom Teich aus betrachtet, nur erahnen. Dichte Baumkronen verwehren die Sicht. Nur wenn der Wind mit den Wipfeln spielt, ist ein Blick auf die Kirchturmspitze möglich. Als Anselm Herberger vor vielen, vielen Jahren mit seiner Frau Sonjadie gleichen Wege ging, waren die Bäume noch nicht so groß, mächtig und ausladend. Zu jener Zeit war ein Dorfkirchenblick von allen Seiten jederzeit möglich.
Anselm Herberger fühlt sich ausgeruht und setzt seinen Spaziergang fort. Er umgeht die Dorfkirche und folgt dem Weg vorbei an einem gut besuchten Kinderspielplatz, der ihn direkt in den angrenzenden Park führt. Um dem See ganz nahe zu kommen, überquert Anselm Herberger die kleine leicht geschwungene Steinbrücke. Doch bevor er die Brücke vollends überquert, verweilt er ein wenig auf ihr. Egal, ob er sich nach rechts oder links wendet, er kann zu beiden Seiten Enten beobachten, aber auch Karpfen von nicht geringem Ausmaß wie sie um Nahrung betteln.
Schon seit mehreren Jahren hat im größeren Teil des Sees ein Reiher seine Heimat gefunden. Wie erstarrt blickt er über die Wasseroberfläche und hofft ohne großen Kraftaufwand, dass eine gefällige Fischmahlzeit an ihn vorbei schwimmt. Manchmal kann Anselm Herberger beobachten, wie der Reiher eine Runde über den See fliegt und gelegentlich in einer Baumkrone landet. Heute ist der Reiher nicht ausfindig zu machen. Wer weiß, wo er sich aufhält.
Anselm Herberger verlässt die Brücke. Jetzt wollen Mütter mit ihren Kindern die Brücke erobern, um von ihr aus Enten und Fische zu füttern. Während er die Brücke verlässt, überlegt er, ob er zunächst am Ufer des linken Teils des Sees entlang geht oder lieber den rechten Teil. Er entschließt sich für den linken Teil, und das hat seinen Grund. Die linke Hälfte des Sees ist schnell umrundet. Ein kleiner künstlich angelegter Bachlauf, der Kaskadenhaft das Wasser des Sees in Bewegung hält, lässt glauben, dass das Zulaufwasser von ganz weit herkommt. Für einen Moment bleibt Anselm Heuberger stehen und träumt sich in eine andere Gegend. Er denkt an gemeinsame Urlaube mit seiner Sonja und an von beiden so geliebten Gebirgslandschaften.
Eine mächtige Trauerweide verwehrt zunächst den Blick auf den größeren Teil vom See. Aber dieser Zustand hält nur kurz an und schon ist der Blick frei auf die Rosenbeete. Für einen Moment schließt Anselm Herberger seine Augen und sieht sich und seine Sonja gemeinsam zwischen den Rosenstöcken spazieren gehen. Er sieht, wie sie ihrer Jugend endsprechend zwischen den Rosenstöcken unbefangen innehalten, sich lange in die Augen sehen und den unendlich wertvollen Augenblick krönen, indem sie sich heiß und innig küssen. Anselm Herberger spürt die Lippen seiner Sonja auf den seinen und wird ungewollt durch ein lautes Kinderlachen aus seinem Tagträumen gerissen.
Sehenden Auges geht er auf die Rosenstöcke zu und spürt, wie er sich vom Rosenduft gefangen nehmen lässt. Ein gelb gefärbter Schmetterling eilt ihm voraus und setzt sich auf jene Rose, die auch er für die Schönste hält. Tief atmet Anselm Herberger ihren betörenden Duft ein. Früher mit seiner Sonja ist er oft und lange hier auf einer der Bänke gesessen. Auch noch, als längst die Sonne im Begriff war sich durch den Mond ablösen zu lassen. Während sich die Uhr der Dorfkirche nicht davon abhalten ließ, unerbittlich von Minute zu Minute weiter zu wechseln, verkündete die Kirchenglocke erbarmungslos was die Stunde geschlagen hatte der Moment des Abschiedsnehmens rückte immer näher. Noch einmal küssten sich Anselm Herberger und seine Sonja zärtlich und länger, als vielleicht gewollt. Sie wussten, dass dies ihr, bis zum Wiedersehen, letzter Kuss sein wird. Wie so oft genoss Anselm Herberger die Abschiedsworte seiner Sonja: „Weil es so schön ist, da wo ich bin, möchte ich allezeit wieder mit dir hin.“
Anselm Heuberger verlässt schwer atmend den geliebten Platz und tritt seinen Heimweg an. Er weiß, dass er wiederkommen wird, egal ob die Rosen blühen oder nicht. Er hält, solange es ihm möglich ist, den Teichen, der Brücke, den alten Bäumen und seiner Sonja die Treue.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 18.07.2013. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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