Falk Peter Scholz

Hellskittchen - Puppenland

Hellskittchen – Puppenland

 

Hellskittchen hatte sich verändert, doch mich nicht. Und dennoch bin ich jetzt wo ich am Ende meines Lebens stehe, ein völlig anderer Mensch.

Andächtig stehe ich nun vor meiner alten Wirkungsstätte und denke immer wieder an sie, meine kleine Leonie. Tapfere kleine Leonie. Das Krankenhaus in dem ich den Großteil meines Lebens verbracht habe, ist kaum wiederzuerkennen. Ganze Teile wurden abgerissen, neu aufgebaut, wieder abgerissen und umgestaltet. Wenn ich daran denke wie lange schon her ist, werde ich ein wenig wehmütig und vermisse den typischen Geruch des Krankenhauses. Diese unvergleichliche Kombination aus Medikamenten, menschlichen Ausdünstungen und Sterilisationsmitteln, der wie eine schwere Glocke über den Gängen hing. Betreten werde ich es dennoch nicht, denn immerhin war dies ein Versprechen an sie und dieses werde ich um keinen Preis der Welt brechen und ihr Andenken verraten.

Ich erinnere mich genau an den Tag als ich Leonie kennen lernte. Es war ein heißer Tag Mitte Juli und auf meiner Station war die Hölle los. Zu dieser Zeit war ich noch Oberarzt und hatte die ganze Woche Doppelschichten geschoben, da wir sehr viele Ausfälle zu beklagen hatten.

Leonie wurde zur Mittagszeit eingeliefert, denn ich kann mich entsinnen dass ich wegen dem Kantinenfraß; an diesem Tag gab es nur Grießbrei, Blutwurst oder Tofu, meine Pause eher beendet hatte. Die kleine wurde im Zimmer 417 untergebracht, da dieses Zimmer eines der wenigen war die mit Kindgerechten Bildern und etwas freundlicher Farbe versehen waren. Ich hatte Leonie selbst aufgenommen, da ich wann immer es um Kinder geht alles versuche was in meiner Macht steht, es ihnen so so leicht und angenehm zu machen wie es nur irgend möglich ist. Als ich ihre Akte las wurde mir das Herz schwer. Leonie war gerade mal sieben und litt an einer der schwersten Formen von Knochenschwund die es gab. Jedes mal und auch nach all den Jahren zerriss es mich noch innerlich wenn ich so ein schweres Schicksal sah was so ein junges und zartes Würmchen zu erleiden hatte. In Leonies Fall traf es mich besonders hart, da ich aus der Akte erfuhr, dass Leonie eine Weise war. Ihre Mutter war zwei Jahre zuvor an Krebs erkrankt und hatte den schweren Kampf nur ein paar Monate zuvor verloren. Einen Vater gab es ebenfalls nicht und außer einer selbst schwer kranken Großmutter war Leonie ganz allein auf dieser Welt.

Ich erinnere mich noch genau wie Leonie ihr Zimmer betrat, so schüchtern zum Fenster ging und ihre großen Kulleraugen gegen die Scheibe drückte. Sie besah sich die Welt auf ihre ganz eigene Weise, doch sie sprach kein Wort. Egal was ich oder die Schwestern der Station auch versuchten, kein Wort verließ ihre Lippen. Tag für Tag sah ich nach ihr und Tag für Tag bescherte mir Leonie eine Enttäuschung da ich es nicht schaffte dem kleinen Mädchen ein paar Worte zu entlocken. Dann eines Abends sollte mir Gevatter Zufall zur Hilfe kommen. Es war Sonntag und ich hatte den ganzen Tag damit verbracht den Keller aufzuräumen. Seit meine Frau mich mit unserer Tochter verlassen hatte, angeblich weil mein Beruf und ihre Vorstellung einer Familie nicht harmonisierten, hatte ich keinen Grund mehr den Keller aufzusuchen. Es war schwer für mich die Trennung hinzunehmen und vor allem meine Tochter fehlte mir sehr. Aus dem Grund hatte ich alles was mich daran erinnerte in den Keller verbannt und den Schmerz mit einem Vorhängeschloss versehen. Doch dann in der letzten Kiste fand ich sie, eine Puppe mit feuerroten Haaren und schwarzen Knopfaugen. Es war das erste Geschenk welches ich meiner Tochter gemacht hatte und nun drückte ich die Puppe fest an meine Brust. Ich beschloss die Puppe mit ins Krankenhaus zu nehmen und der kleinen Leonie zu schenken. Wahrscheinlich rührte diese Entscheidung daher dass sie mich mit ihren großen Kulleraugen an meine eigene Tochter erinnerte. Ich weiß noch wie Sarah die Puppe liebte und verstand nicht wirklich wie sie zurück lassen konnte. Es war wie mit all den schönen Erinnerungen, die ich an unsere kleine Familie hatte. Sie lagerten im Dunkel, verstaubt und vergessen! Den Morgen darauf brachte ich wie ich es mir versprochen hatte die Puppe zum Krankenhaus, überreichte sie Leonie mit einem Lächeln und erwartete eigentlich keinerlei Reaktion des tapferen Mädchens welches nicht sprach. Doch Leonie verblüffte mich vollends, denn sie besah sich die Puppe eine kleine Weile, drückte sie fest an ihr kleines Herz, sah dann zu mir herüber und sagte leise“ Danke“.

Für mich war es in diesem Moment als hätte ich mein Kind zurückerhalten

und mein eigenes Herz füllte sich mit einer tiefen Dankbarkeit. Die Nachricht dass Leonie gesprochen hatte, verbreitete sich wie ein Lauffeuer auf der Station und ein jeder dem ich an diesem Tag begegnete, klopfte mir bewundernd auf die Schulter. Die darauf folgenden Tage vergingen wie im Fluge und wie zuvor besuchte ich Leonie so oft es meine Zeit erlaubte.

Es war ein Segen sie beim Spielen zu betrachten, einfach wundervoll zu hören wie sie mit ihrer Puppe sprach. So erfuhr ich nun das Leonie und Caroline, so der Name ihrer neuen besten Freundin für immer zusammen bleiben würden und sie sich nie wieder trennen sollten. Es war das erste mal seit der Trennung von meiner Familie, dass ich vollends glücklich war und ich beschloss dieses Glücksgefühl zu bewahren. Es hatte den Eindruck als hätte dieses Kind mich gerettet und mich zu einem besseren Menschen gemacht. Nur wenige Tage darauf begann die Urlaubszeit und ich freute mich darauf meine Tochter zu sehen. Ich verbrachte eine ganze Woche mit Sarah und wir unternahmen viele wunderbare Sachen. Es war mir ganz entfallen wie schnell sie heranwuchs und wie lange ich sie nicht mehr gesehen hatte. Dank Leonie hatte sich mein Bewusstsein verändert; denn sie hatte erreicht wozu ich allein nicht fähig war. Selbst meine Exfrau bemerkte meine Wandlung und freute sich über den Vater der sich wieder Zeit für sein Kind nahm. Wir gingen Wandern, schwammen im See, besuchten den Zoo und hielten all die schönen Momente auf Fotos fest, die ich liebevoll in einem pinkfarbenen Fotoalbum arrangierte.

Die letzten zwei Wochen meines Urlaubes verbrachte ich so wie die vergangenen Jahre auf meiner Lieblingsinsel Borkum. Hier fand ich die Ruhe und Entspannung die ich als Ausgleich zu meinem Beruf benötigte. Wie immer wohnte ich bei Heinz, meinem langjährigen Freund und Schachpartner. Auch er bemerkte meine Veränderung und so erzählte ich ihm von Leonie und ihrem harten Schicksal. Heinz war ebenfalls sehr berührt wie er mir versicherte. Es war dann auch seine Idee direkt am nächsten Tag einen Spielzeugladen aufzusuchen. In dem familiären Spielwarengeschäft kaufte Heinz eine Puppe sowie einen dazugehörigen Puppenwagen, den ich in seinem Auftrag an Leonie überreichen sollte.

„Caroline muss doch eine Puppenfreundin haben“, erklärte er mir mit feuchten Augen. Und außerdem fügte er hinzu: „Die beiden müssen doch standesgemäß reisen können“. So viel Mitgefühl rührte mich. Der Rest des Urlaubes verging wie ein Wimpernschlag, so sehr freute ich auf Leonie und auf ihre Reaktion auf Heinz Geschenke. Es war ein wenig beschwerlich den Puppenwagen zurück zu transportieren, aber für diese Überraschung nahm ich gerne die Umstände in Kauf.

Der Anblick der mich erwartete als ich aus dem Fahrstuhl stieg, hatte die Bezeichnung „Unbeschreiblich“ wahrhaft verdient. Ich war gezwungen die Leute zu bitten mich durchzulassen, so ein Menschenauflauf hatte sich auf Station 4 gebildet. Ich fragte mich was hier wohl los war, als ich mir mit dem Kinderwagen einen Weg durch die Menge bahnte. Als ich nach einer gefühlten Ewigkeit vorm Zimmer 417 ankam und mich noch einmal umdrehte, sah ich warum die Menschen die sich auf meiner Station drängten; gekommen waren. Erst jetzt bemerkte ich die Puppen die viele von ihnen mitgebracht hatten. Es waren vor allem Frauen die Puppen in den Händen hielten, doch ich erkannte auch Männer die viele unterschiedliche Puppen in ihren starken Armen wiegten. Jemand tippte mir auf die Schulter und ich erkannte Schwester Marion die so wie ich vor lauter Rührung mit den Tränen kämpfte. „Das geht schon seit Tagen so“, versicherte sie und bestaunte den Puppenwagen. „Sie werden Augen machen“, sagte sie und öffnete mir die Tür zu Leonies Zimmer, in dem ich jetzt stand und vor Erstaunen fast vergaß zu atmen. Es war ein Anblick den ich nie wieder vergessen sollte. Puppen stapelten sich an den Wänden hoch, Puppenhäuser standen im ganzen Zimmer verteilt, eine riesengroße Kiste mit Puppenkleidchen stand vor Leonies Bett und 5 Puppenwagen thronten wie ein Fuhrpark vor dem Fenster. Leonie kam angelaufen und umarmte mich. Sie hatte mich direkt erkannt und drückte mir einen sanften Kuss auf die Wange. „Sehen sie nur, mein eigenes Puppenland!“

Dann erblickte Leonie den Puppenwagen den Heinz gekauft hatte und strahlte. „Für mich?“ Ich nickte. „Ich habe auch eine Freundin für Caroline mitgebracht. „Sie kommt von sehr weit her und braucht ein neues Zuhause“. Leonie nahm die Puppe die Heinz so liebevoll ausgesucht hatte und legte sie zu Caroline die sie in ihrem Bett auf das Kopfkissen gelegt hatte und deckte beide Puppen zärtlich zu.

Jetzt hat Susi ein neues Zuhause“, verkündete sie voller Stolz und ich kämpfte wieder mit den Tränen. In den nächsten Wochen vergrößerte sich ihr Puppenland immer mehr, da immer noch Leute kamen um der Kleinen Puppen zu bringen. Die Stationsschwestern hatten ihr sogar ein Schild gebastelt. „Leonies Puppenland“, verrieten leuchtende Buchstaben.

Was war mir dieses Kind ans Herz gewachsen und wie sehr hatte ich mich verändert seit ich sie kannte. Im späten Herbst des selben Jahres hatte ich den schwersten Gang, den Leonie verstarb! Nur ein Lächeln welches ihr kleines Gesicht mit den geschlossenen Augen zierte und die beiden Puppen im Arm ließen mich die unbändige Trauer ertragen. Sie hatte ihr Versprechen gehalten und mir auch noch das Leben gerettet.

Und ich werde sie für immer im Herzen bewahren und mich erinnern.

An Leonie und ihr Puppenland!

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 16.08.2013. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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