Klaus Georg

Ein schöner Tag

Ein schöner Tag
 
 
 
Endlich Urlaub.
Angelurlaub, um genau zu sein.
Den Neuendorfer See im Spreewald hatte ich mir ausgesucht. Schöne Campingplätze gibt es da, hat man mir gesagt, und jede Menge Fische.
Große Fische.
Das gab den Ausschlag.
Die Aussicht auf einen kapitalen Hecht oder den Wels des Jahrhunderts war einfach zu verlockend.
 
Endlich war es so weit: alles gepackt, nur noch den Wohnanhänger hinten dran und ab geht die Post.
Ich.
Alleine mit Wohnanhänger.
Auf große Fahrt.
Die Vorfreude war grenzenlos.

Wie war das?
Was dachten Sie da gerade?
'Das kann ja heiter werden' dachten Sie?
 Ich muss doch sehr bitten.
Als erfahrener Camper habe ich schon mehrfach alle Höhen und Tiefen eines Camperdaseins auskosten dürfen oder müssen.
Was, frage ich sie, sollte mich da noch schrecken?
 
Über die Fahrt brauche ich nicht viele Worte verlieren, außer dass sie, wie bei Campern üblich, nicht begann wann sie beginnen sollte und dem zu Folge auch nicht endete wann sie enden sollte.
Müde und von der herrschenden Hitze ausgelaugt kam ich gegen halb zehn bei Dunkelheit an.
 
Nach 20 Minuten kam die telefonisch herbeigerufene Besitzerin und wies mir freundlich meinen Platz an.
 
Jetzt nur noch den Wohnwagen richtig hinstellen, Stützen runter und Strom anschließen.
Und dann ab in die Koje.
 
Am nächsten Morgen - also Tag 1 von der Jagd nach dem Wels des Jahrhunderts - erwartet mich schon um halb acht brütende Hitze.
Als ich die Tür aufmache und hinausgehen will knallt mir die Sonne direkt ins Gesicht.
Mir schwant Furchtbares.
Drinnen lädt sich der Wohnwagen immer mehr auf bis es kaum noch auszuhalten ist und draußen erwarten mich jetzt schon gefühlte vierzig Grad.
Und treiben mich wieder hinein.
Schöne Aussichten.
 
Ein kurzer Blick sagt mir, dass es ein Fehler war den Wohnanhänger am Vorabend einfach abzustellen ohne nach den Nachbarn zu schauen.
Die haben ihr Wohnmobil oder ihren Caravan nämlich andersherum aufgestellt.
Mit dem Eingang der Sonne abgewandt.
Auf die Idee hätte ich auch selbst kommen können, aber woher soll ich wissen wo hier die Sonne aufgeht?
Im Osten, ja, sehr witzig.
Und wo ist hier Osten, bitte schön?
 
Also auf geht's, hilft ja alles nichts: das Stützrad wieder runter, die Stützen rauf und den Strom kappen.
Und dann den Hänger drehen.
 
Hört sich einfach an.
Ist es auch.
Nur halt nicht im Sand.
Und erst recht nicht wenn das Stützrad defekt ist und nur noch rumeiert statt zu laufen.
 
Nach 10 Minuten Drücken und Schieben gebe ich auf.
Keuchend und am Ende meiner Kräfte sitze ich auf der Deichsel des Wohnanhängers, reiße mir die Kleider vom Leib und erwarte fluchend mein nahes Ende.
Als das nicht kommt wanke ich schweißgebadet erst einmal in Richtung naher See um mich abzukühlen.
 
Bei meiner Rückkehr finde ich meine Nachbarn um meinen Wohnanhänger herumstehen und fünf Minuten später steht dieser genau so, wie ich ihn haben will.
Und ich stehe in seinem Schatten.
 
Jetzt fehlt nur noch eines: richtig, das Vorzelt.
Über das Aufbauen eines Vorzeltes könnte ich leicht eine eigene Geschichte schreiben.
Leicht und locker.
Will ich aber nicht.
 
Zehn Minuten hab ich gebraucht, dann stand die Chose.
Etwas schief nach links zwar und das Dach lag auch nicht gerade straff, aber man muss auch mal eine 5 gerade sein lassen.
Wie das halt so ist bei richtigen Campern.
Nur die Außenstücke, die mit den Haken zum Befestigen, die machten mir etwas Sorge.
Die hab ich nämlich nicht gefunden.
 
Weiß der Geier wo die wieder sind, jedenfalls nicht da, wo sie hingehören.
Aber macht nix, besänftigte ich mich, es herrscht Windstille und dann reichen die kleinen Haken allemal.
 
Nach mehrmaligem zufriedenen Schulter klopfen schnappe ich mir zwei
meiner Angelruten und ab zum See.
Pose hat keinen Sinn, denke ich, außerdem sind Schwimmer und Schwäne in der Nähe.
 
Also auf Grund.
Alles schön präpariert, fertig gemacht und ab damit ins Wasser.
Und abwarten.
Und abwarten.
Alles ist perfekt, überlege ich nach einer halben Stunde: Rute, Schnur, Köder, Haken.
Einfach alles.
Dieser blöde Wels müsste längst angebissen haben.
Hat er aber nicht.
 
Kurz darauf steht ein Kerl neben mir, betrachtet sich die ganze Sache und geht dann weiter.
Nach zehn Minuten ist er wieder da.
 
'Schon wat jefangen?' fragt er.
'Noch nicht' antworte ich etwas kurz angebunden und mache Anstalten, eine der Ruten wieder einzuholen.
 
'Hab jestern nen tollen Karpfen jefangen' erzählt er stolz  'zweieinhalb Kilo. Aber nich hier. Hier fängste  nix, jloob mir.'
 
Mein Interesse war erwacht.
'Und wo war das?'
'Da hinten, kurz vor dem Wehr wo die Spree in den See mündet. Da soll et sojar nen Wels von zwei Metern jeben, hab ich jehört. Aber du solltest...'
 
Ich hab nur 'Wels' und 'zwei Meter' verstanden, der Rest des Romans ging irgendwie unter.
Kam nicht mehr an.
Mein Wels wartet.
Ich raffe schnell alles zusammen und mache mich auf den Weg.
 
'Da hinten bis zum Ende vom Platz' ruft er mir noch hinterher 'dann links durch den Wald und immer dem Trampelpfad nach. Kannste jarnich verfehlen.'
 
Im Wald wartet drückende, schwüle Hitze auf mich.
Und zwei Minuten später weiß ich, dass da noch jemand auf mich gewartet hat.
Plagegeister.
Millionen Plagegeister.
Und je näher ich diesem Wehr komme je mehr werden es.
 
Alle zwanzig Schritt halte ich an um die Mücken und Zecken von meinen Armen und Beinen zu vertreiben.
 
Ich erinnere mich dunkel dass er eben noch etwas von 'langen Hosen' und 'Stiefeln' erzählt hat.
Jetzt weiß ich auch warum.
 
Als ich endlich ankomme sehe ich aus wie Quasimodo.
'Mich kriegt ihr nicht klein.' murmele ich zähneknirschend, mache unbeeindruckt meine Ruten fertig und werfe sie mit Schwung aufs Wasser.
 
Die Tatsache dass hier einer mit nackten Armen und Beinen zu angeln versucht, hat sich in Insektenkreisen wahrscheinlich längst herumgesprochen.
Jedenfalls sind sie alle da, vom ganzen See.
Alle.
Jede Bewegung von mir verursacht eine riesige Wolke auffliegender Insekten, die natürlich sofort wieder kehrt machen und in eindeutiger Absicht Kurs auf mich nehmen.
Kein Körperteil wird verschont, so weit so schlecht.
Aber als sie mich sogar in den Hintern beißen oder stechen ist meine Geduld am Ende.
 Das geht zu weit.
Wie auch immer sie da hingekommen sind, das ist kein tierischer Instinkt mehr, das ist eine eindeutige und wohldurchdachte Kriegserklärung.
Die ich natürlich sofort annehme.
 
Mit dämonischem Grinsen bringe ich meine wirkungsvollste Waffe zum Einsatz: Mückenspray und Klebestreifen.
 
Leider ist das eine schon nach zwei Minuten verbraucht und das andere klebt zwar, aber nicht als Mückenfalle an einem Ast sondern zur allgemeinen Erheiterung an meinen Händen und Armen.
Nach weiteren 30 Minuten Kampf mit hunderten Toten, hohem Blutverlust und ohne dass sich im Wasser irgend etwas bewegt hätte komme ich zu dem Ergebnis, dass der Wels woanders sein muss.
 
Zu den leckeren Tauwürmern und Maden hätte er jedenfalls nicht nein sagen können.
 
Außerdem streiten sich die Mücken und Zecken mittlerweile schon um die letzten freien - soll heißen: noch nicht bestochenen - Plätze auf meiner Haut.
 
Schweren Herzens mache ich mich auf den Rückweg und gebe mir größte Mühe, meinen Rückzug nicht wie eine Flucht aussehen zu lassen.
 
Kurz vor Mittag bin ich zurück, werfe meine Angeln in die Ecke und trinke erst einmal meine halben Wasservorräte aus.
In der Eile hatte ich nämlich ganz vergessen etwas zu trinken mit zu nehmen.
Kann doch mal passieren, oder?
 
Draußen sind Wolken aufgezogen und es ist deutlich dunkler geworden.
Und spürbar kühler.
Dankbar für die willkommene Abkühlung lege ich mich aufs Bett und schlafe sofort ein.
 
Peng!
Ein lauter Knall reißt mich unsanft aus allen Träumen.
Ich brauche 5 Sekunden um wach zu werden und dann sagt mir ein kurzer Blick nach draußen dass sich alles verändert hat.
Dunkel ist es geworden, und das um ein Uhr mittags. Und es blitzt und donnert und stürmt und es regnet wie aus Eimern.
 
Woher aber kam der Knall?
 
Vorsichtig öffne ich die Eingangstür und sehe...nichts.
Das heißt, ich sehe schon etwas, aber nicht die gewohnte Umgebung sondern das herunterhängende und im Sturm heftig flatternde Dach meines Vorzeltes.
 
Meine erste Reaktion: Scheiß drauf, hängen lassen.
'Geht aber nicht, du Idiot' sagt meine innere Stimme.
'Halt die Klappe' gebe ich zurück.
Aber leider hat sie recht.
 
Offensichtlich hat sich die am Wohnwagen eingehakte Mittelstrebe aus der Verbindung gelöst, ist gegen den Wagen geknallt und hat so das Dach zum Einsturz gebracht.
Was ist mit den anderen Streben?
Die hängen natürlich auch runter, aber immer noch am Wohnwagen eingehakt.
Könnte ich so lassen, überlege ich kurz, aber wenn ich Pech habe, und in solchen Situationen habe ich eigentlich immer Pech, reißen sie mir irgendwann die Verankerungen am Wohnwagen auseinander.
 
Hilft also alles nichts, ich muss raus.
In den Orkan.
In den Taifun.
In den Wirbelsturm.
Jedenfalls in den Regen.
Hören Sie auf zu grinsen.
 
Mit Brachialgewalt öffne ich die Tür so weit dass ich hinaus kann.
Warum ich die Stufe nicht benutzt habe weiß ich nachher auch nicht mehr. Jedenfalls springe ich runter, rutsche unten selbstverständlich aus und liege als erstes der Länge nach im Matsch.
 
Das Vorzelt bei diesem Sturm wieder aufbauen brauche ich erst gar nicht zu versuchen.
Also baue ich alle Streben so weit ab dass sie keinen Schaden mehr anrichten können und lege sie auf das flatternde Dach.
 
Die kleinen Sicherungshaken waren durch den Sturm alle rausgerissen und hatten das Desaster nicht verhindern können.
Wo waren bloß diese verdammten Endstücke?
Damit wäre das alles nicht passiert.
 
Nach zwei Stunden war der ganze Spuk vorbei und die Sonne war wieder da.
Und mit ihr würde langsam aber sicher auch die Hitze zurückkehren.
Provisorisch baue ich das Vorzelt wieder auf und dann ab zur Rezeption und die Schlüssel holen.
 
Welche Schlüssel, fragen Sie?
Die von den Ruderbooten natürlich die an der Mole verankert sind.
Irgendwo da draußen wartete ein zwei Meter langer Wels auf mich, schon vergessen?
Und wenn er partout nicht zu mir kommen will muss ich wohl oder übel zu ihm.
Logisch oder?
 
Kurz darauf stand ich schwer bepackt und ebenso atmend auf der Mole.
Als erstes die Ruten ins Boot, das Boot losmachen und dann nur noch der Angelkoffer und ich. Ohne lange zu überlegen - der Wels wartet schließlich auch nicht ewig - betrat ich das Boot.
Mein erster Fehler.
 
Sofort neigte sich das Boot heftig zu meiner Seite hin und begann gleichzeitig, von der Mole abzurücken.
 
Ich verlor das Gleichgewicht bevor ich es überhaupt hatte, warf aber gedankenschnell den schweren Koffer aufs Boot weil ich befürchtete, unser beider Gewicht würde das Boot unter Wasser drücken.
 
Dann warf ich mich herum, packte einen senkrecht an der Mole befestigten Holzbalken und versuchte mit aller Kraft, das Boot an der Mole festzuhalten.
Mein zweiter Fehler.
 
Das Boot ließ sich nämlich nicht mehr halten und es war absehbar dass ich in wenigen Sekunden zwischen Mole und Boot ins Wasser klatschen würde.
Also warf ich mich notgedrungen ein weiteres Mal herum und landete diesmal unsanft da, wo ich ja eigentlich auch hinwollte: im Boot.
 
Wobei das Wort 'unsanft' den wahren Sachverhalt nur äußerst unzureichend wiedergibt.
Als erstes knallte ich mit dem linken Schienbein gegen die scharfe Unterkante des liegenden Angelkoffers.
Ich hätte schreien können.
Dann schlug ich mit dem linken Knie auf dem Boden auf und zwar genau da, wo der Koffer in Folge meiner unsanften Behandlung Sekunden vorher einen Teil seiner Ladung verloren hatte.
Gut, es waren nur drei Haken, aber gefühlt waren es zwanzig.
Mindestens.
Zum Stillstand kam ich aber erst, nachdem ich mit der rechten Schulter die gegenüber liegende Bordwand auf ihre Festigkeit geprüft hatte.
Fazit meines Bordganges: eine geprellte Schulter, eine tiefe blutende Kerbe im Schienbein und ein stark blutendes Knie.
 
Den Wels hab ich anschließend mehr als zwei Stunden gesucht, aber leider nicht gefunden.
Wahrscheinlich hat er nicht warten können.
 
Mittlerweile ist es kurz nach 17 Uhr und ich fühle mich müde und schmutzig.                                                                                Also ab zur Dusche und wieder Mensch werden.
 
Unterwegs begegnet mir wer? Richtig, mein Tippgeber.
 
'Na' fragt er scheinheilig 'wat jefangen heute?'
 
'Aber sicher doch' gebe ich mit ernster Mine zurück 'vor zwei Stunden. Da draußen. Einen schönen Karpfen, ungefähr so.'
Dabei halte ich meine Hände etwa 15 Zentimeter auseinander.
 
'Na ja' meint er 'allzu lang is der ja nu ooch nich.'
 
Ganz erstaunt schaue ich ihn an.
'Länge? Wer spricht von Länge? Den Augenabstand meine ich, den Augenabstand'
 
Damit gehe ich grinsend weiter.
Als ich mich nach zehn Metern noch einmal umdrehe steht er  immer noch da und starrt mir mit offenem Mund hinterher.
 
Bis zu meiner Abfahrt eine knappe Woche später habe ich von ihm keinen Tipp mehr bekommen.
 
In der Dusche stelle ich fest, ich brauche Geld.
Einen Euro.
Meine Hosentasche sagt: hier isser, aber nur einer.
 
Meine Utensilien stelle ich schon mal an die Seite der Duschwanne, Nummer 5 lese ich verschwommen weil ohne Brille.
Jetzt zum Automaten und rein mit dem Euro.
 
Mist.
Falscher Automat.
Hab das Geld bei Nummer 6 rein geworfen.
Egal, Duschzeug zusammenraffen und dann eben rein in Nummer 6.
 
Wunderbare Erfindung so eine Dusche.                                                           Schön einseifen und abduschen.
Und noch mal einseifen und noch mal abduschen.
Wie lange hält der Euro eigentlich?
Ein letztes Mal richtig schön einseifen und...
Es kommt kein Wasser mehr.
Das glaube ich jetzt nicht.
Ich stehe tatsächlich unter der Dusche, kann meine Augen nicht öffnen weil mein ganzer Körper einschließlich Kopf vor Seife trieft und es kommt kein Wasser mehr.
 
Vorsichtig taste ich mich nach vorne und öffne den Vorhang.
Vielleicht kann mir einer der Anderen ja einen Euro...
Ich bin alleine.
Und frage mich ob Anderen so etwas auch passiert.
'Muss ich darauf antworten?' fragt mich meine innere Stimme süffisant.
 
Also raus aus der Dusche und langsam zu den Waschbecken vortasten.
'Und rutsch nicht schon wieder aus' schießt sie mit deutlich hämischem Unterton noch hinterher.
 
Dann den Kopf so gut es geht unter den Wasserhahn halten und nach zwei Minuten und mehrfachen schmerzhaften Kopfstößen kann ich wieder die Augen öffnen.
Den Rest befreie ich so gut es geht von der Seife und ziehe mich an.
 
Es ist kurz nach 18 Uhr.
Ich sitze unter meinem notdürftig hergerichtetem Vorzelt und versuche mein linkes Bein zu verarzten.
Seit meiner Duschaktion schmerzt und blutet es wieder.
 
Wo habe ich bloß das Wundpflaster hingetan?
Da wo es sein sollte ist es jedenfalls nicht. Und ich vermute stark: da wo es ist, sollte es eigentlich nicht sein.
 
Moment, da war doch noch eine Kiste im Kofferraum wo...
 
Und da war es auch, das Pflaster. 
Und was war da noch?
Richtig, die Endstücke mit den Haken.
Ich werde vermutlich nie herausfinden wie die Dinger da hingekommen sind.
Selbst wenn ich wollte.
 
Eine halbe Stunde später steht das Vorzelt jedenfalls so wie es sein sollte: alles richtig verbunden, gut verzurrt und mit Spanngurten abgesichert.
 
Der nächste Sturm kann kommen.
 
Jetzt fehlt eigentlich nur noch eines: ein Fisch zum Abendessen.
Am besten der Wels.
 
Ein letztes Mal für heute mache ich meine Ruten fertig und gehe an den See.
Ein frischer Tauwurm, leckere Maden und duftender Mais.
Alles da.
Wenn er jetzt nicht anbeißt weiß ich auch keinen Rat mehr.
 
Manchmal strafft sich die eine oder andere Leine ein wenig und ich bin versucht, langsam einzuholen.
Oder zu reißen damit der Haken sitzt.
 
Aber dann beruhigt sich alles wieder und vielleicht war ich auch einer Täuschung aufgesessen.
 
Wie auch immer, nach einer halben Stunde fällt mir ein dass eine leckere Erbsensuppe zum Abendessen auch sehr schmackhaft sein könnte.        Und nach weiteren 20 Minuten ist sie es dann auch.
 
Also die Ruten wieder einholen und auf ein neues morgen früh.
 
Erst die Maisrute: kein Knabbern, kein Biss, nichts zu sehen.
Dann die Madenrute: Maden tot, Rest wie gehabt.
Zuletzt die Wurmrute.
 
Halt.
Ich hab sie schon in der Hand und will sie einholen da strafft sich die Leine.
Und wie sie sich strafft.
Da hängt was ganz großes dran, das spüre ich sofort.
Adrenalin schießt durch meinen Körper.
Langsam gebe ich etwas Leine nach um dann plötzlich wieder anzuziehen. Der Haken muss fest sitzen, darf sich um Himmels Willen nicht mehr lösen.
 
Langsam hole ich Leine ein, ich muss Kraft aufwenden und die Rute biegt sich fast halbrund.
'Er ist es' jubele ich lautlos.
Ich habe ihn, endlich habe ich ihn.
 
Vorsicht jetzt, rufe ich mich selbst zur Ordnung, bloß nichts überstürzen.
Wenn ich nicht höllisch aufpasse wird er mir die Rute in Stücke reißen und verschwinden.
Also ruhig bleiben und nachgeben wenn es an der Zeit ist.
Es ist an der Zeit.
Also gebe ich nach, und hole wieder ein.
Gebe nach und hole wieder ein.
 
Dann ein Surren und die Leine wird abgespult.
Meter um Meter.                                                                                                   Der Fisch will verschwinden.
Mein Gott, das muss ein wahrer Riese sein wenn er mir in Sekunden so viel abspulen kann.
Da ziehen mindestens 30 Kilo Fisch an der Leine.
Ich werde Hilfe brauchen, fährt es mir durch den Kopf, sonst bekomme ich den nie und nimmer aus dem Wasser.
 
Ein kurzer Blick zur Spule und ich könnte heulen.
 
Die Bremse war viel zu lasch eingestellt, Bremsstellung fast null.                                                                                                                          'So geht dir selbst ein eingelegter Hering durch die Lappen, du Blödmann.' tönt es schadenfroh von innen.
 
Meine Geduld ist zu Ende.                                                                                                                                                                              'Es reicht' murmele ich zähneknirschend 'jetzt bringen wir's zu Ende.'
So oder so.
Die Rute anziehen, loslassen und aufspulen.
Anziehen, loslassen, aufspulen.
Immer wieder.
Langsam werde ich müde.
Der Fisch auch, das spüre ich am nachlassenden Widerstand.
 
Ich weiß nicht wie lange der Kampf gedauert hat, gefühlsmäßig waren es Stunden.
Meine Armbanduhr versucht mir weis zu machen es seien nur drei Minuten gewesen, aber das ist natürlich blühender Unsinn.
Mir fällt ein dass sie das bei einer anderen Gelegenheit schon mal versucht hat.
Vergeblich natürlich.
 
Jedenfalls ist der Kampf zu Ende.
Und ich sehe ich ihn.
Dicht vor mir liegt der Fisch nach Luft schnappend im Wasser.
 
Gut, ein Wels ist es nicht gerade.
Nicht mal ein Karpfen.
Es ist eine Rotfeder, 15 Zentimeter lang.
Immerhin.
Mit dem Käscher hole ich sie aus dem Wasser und schaue nach.
Der Haken sitzt direkt vorne im Maul, hat sich in die knorpeligen Vorderlippen gebohrt.
 
'Hast tapfer gekämpft, Fisch.' sage ich leise während ich den Haken löse 'hast dir dein Leben verdient. Mach was draus.'
 
Damit setze ich ihn vorsichtig wieder ins seichte Wasser zurück.
Langsam und ohne jede Eile schwimmt er in Richtung tieferes Wasser davon.
Und ist dann mit einem Schwanzschlag verschwunden.
 
Aber vorher, ganz kurz bevor er endgültig verschwand, meine ich gesehen zu haben, dass er mir noch kurz zugezwinkert hat.
 
Ich lächele und atme tief durch.
Der Tag neigt sich dem Ende zu.
Ein ereignisreicher Tag.
Und, alles in allem, ein schöner Tag.
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 25.08.2013. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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