Robert Nyffenegger

Wenn jemand eine Reise tut,so kann er was erzählen Atlantik 6


Mittlerweilen sind wir am Äquator angelangt. Wir schreiben den:
14.02.  17.23 Uhr Äquator:
Es ist schwül (32 Grad), am Eindunkeln, gelblich dräuende Wolken. Nebel über den auftürmenden Wellen (Sichtweite mit Handscheinwerfer knapp 20 Meter), es nieselt, kurz darauf Regen, dann tropisches Gewitter. Der Wind weht aus einem 60 Grad Kreissegment, mal Windstärke zwei dann wieder Böen bis 6. Wir segeln mit gerefftem Gross und ausgebaumten Gennacker. Machen zwischen 3 bis 7,5 Knoten Fahrt. Alle starren auf das GPS: N steht für Nord, das heisst man befindet sich noch auf der nördlichen Halbkugel. S für Süd, man ist also bereits auf die südliche Hälfte gerutscht. Und was steht direkt am Äquator? Alles guckt gespannt: N:  00 Grad  00 Minuten  09 Sekunden dann S: 00 Grad 00 Minuten 00 Sekunden. Am Äquator zeigt es Süden. Eine Flasche Knallmost („Champagner“) wird geköpft, ein Schluck für Neptun, dann ab in die Kajüte, es schifft in Strömen! Doch Neptun kriegte zu wenig: kaum im Trockenen fliegt alles nach back-und also gleich nach steuerbord und wieder zurück, zusätzlich bug- und heckwärts. Das Boot fällt aus dem Ruder. Ein riesiges Tohuwabohu! Flaschen und Gläser wirbeln durcheinander, glücklich wer noch einen Schluck in den Schlund kriegt. Der Wind frischt auf, der Windmesser zeigt 39 Knoten, der Gennacker ist zum Zerreissen gespannt. Bevor es gelingt ihn zu bergen, gibt es einen Riesenknall, er fliegt in Fetzen davon. Der Mohr hat seine Pflicht   getan.
17.02.2005 Fernando de Noronha:
Wir haben brasilianisches Hoheitsgebiet erreicht. Eine wunderschöne Insel unter Naturschutz, da der Mensch aber nicht darunter fällt, wird er ordentlich abgerissen.
Wir bleiben einige Tage, plündern die Bordkasse mit Restaurantbesuchen und Buggy  -Miete. Super. Also Zeit um noch kleinere Kapitel zu erwähnen:
Fauna und Flora auf der See:
Von der Flora bemerken wir nicht viel, wenn man von einigen grünen Büchsen und grünen Flaschen absieht. Man darf aber annehmen, dass die verschiedene Färbung des Wassers durch unterschiedliche Flora bedingt ist.
Sehr häufig begleiten uns Pinguine, ach was Delphine. Man verwechselt sie gerne, da bekanntlich schwarz mit weissem Bauch und beide springen herrlich. Einer will einmal auf der Nachtwache eine Haifischflosse gesehen haben. Walfische rammen wir keine- leider- hätte etwas Abwechslung gebracht. Vögel gibt es einige. Ich frage mich, wie die Seeschwalben ihr Nest auf dem Wasser bauen. Grössere Vögel ruhen sich nachts hin und wieder auf dem Bugkorb aus. Es ist herrlich zu beobachten, wie sie mit auf- und nieder- wippendem Schwanz das Gleichgewicht im Wellengang beherrschen. In der Morgendämmerung fliegen sie ausgeruht wieder weg.
Fliegende Fische gibt es viele, doch nur ein kleinkindmundvollgrosser hat sich aufs Deck verirrt.
Essen:
Das Essen an Bord bei nie funktionierendem Eisschrank hat seine Tücken und Einschränkungen. Keiner von uns ist Mitglied der Körnerfresserszene. Holländisches Essen ist an sich etwas gewöhnungsbedürftig, aber die Köchin gibt sich alle Mühe, einen passablen Frass zusammen zu stellen.
Der Skipper ist der dankbarste Esser, er quittiert immer mit: „Mmmh, lecker, lecker“ und ich tröste mich allenfalls mit einem wunderbaren Schockopulverpudding. Ich denke nicht, dass einer mehr als 2 kg. Körpergewicht verloren hat. Nebenbei bemerkt: warmes Bier ist scheusslich und gelagerte Kartoffeln in nicht gekühlter Eis Box stinken über kurz oder lang gewaltig.
Fischen:
Das ist unsere grosse Passion im Hinblick auf eine Menueabwechslung. Stets ziehen wir eine 200 Meter lange Leine hinter uns her. Am Ende wunderbar blinkende Kunstköder. Einer nach dem anderen wird komplett abgebissen. Nur ein einziges Mal bleibt einer hängen. Nach meiner Meinung eine Goldbrasse. Schade, ein Fischstäbchen wäre mir lieber gewesen. Auch  filetiert  schmeckt sie mir scheusslich. Ich bin echt froh, dass dies der einzige Fang bleibt. Köder haben wir schliesslich keine mehr. Kolumbus hatte vermutlich dieselben Köder, deshalb musste die Mannschaft mit Ratten vorlieb nehmen, was uns aber erspart blieb. Ausser einer kleinen Spinne wurden keine Tiere an Bord mitgeführt.
Landschaft:
Muss eigentlich Seeschaft heissen, tönt aber etwas ungewöhnlich, trifft trotzdem zu.
Backbord Wasser, steuerbord Wasser, achtern Wasser, bugwärts Wasser, unten Wasser und manchmal auch oben Wasser. Soweit das Auge sieht Wasser. Herrlich –gnadenlos waltende Langeweile!? Jeden Tag geht die Sonne auf und wieder unter, der Mond macht es ihr nach, wenn er nicht gerade ausruht. Farbig, gleissend, glitzernd, funkelnd, leuchtend. Man knipst tausend Fotos, zum Verwechseln ähnlich, oft kitschig. Damit hat es sich.
Unterhaltung:
Eine Atlantiküberquerung ist die Urmutter des Müssiggangs.
Wir verstehen uns prächtig, nie Streit, auch nicht die kleinste Meinungsdifferenz.  Keiner leidet an einer verbalen Diarrhöe. Kein moralisierender Schulmeister, kein Oekospiesser, kein Ganztags-Christ.
Wir sind uns wohl zu unähnlich. Karten und ähnliche Gesellschaftsspiele finden keinen Zuspruch, zu mühsam bzw. zu schwierig, bei den stets schlingernden Verhältnissen. Gelesen wird jedoch viel. Leider ist die Bordbibliothek voll gestopft mit esoterischer Literatur. Kastagnette oder wie dieser Esoterikguru heissen mag, versuche ich zu Lesen. Bereits auf der ersten Seite wird mir schlecht und Weiterlesen hätte ein unstillbares Kotzen zur Folge. Ich widme mich meinen mitgebrachten Büchern: „Was Einstein seinem Coiffeur erzählte“ jede Menge Aha-Erlebnisse und „Philosophie eines Nonkonformisten“ richtig, richtig.
Fast ununterbrochen wird man wegen der Wellen und der Dünung hin- und her geschmissen. Verzweifelt sucht man einen Halt. Pech, wenn man in beiden Händen etwas festhält und nicht sich selbst. Auch eine Art Unterhaltung.      
Krankheiten und Unfälle:
Als Placebo und vorbeugend gegen Seekrankheit erhält jeder am ersten Tag einen Vitamin C-Stoss und ein Stugeron 25 mg, ausser mir. Mit dieser Medizin hat  jeder meiner Kameraden nur einen Tag gekotzt. Etwas Halsweh, Husten, Fieber und andere Kleinigkeiten, die mit guten Worten und Bordmittel behoben werden, sind an der Tagesordnung.
Das Eintreten von Glasscherben auf dem Kajütboden wird auch zur Gewohnheit. Denn Porzellan und Gläser stammen aus der Erbschaft der Skippermutter selig.
Rauspicken mit Lupe und Pinzette wird zum Ritual. Blaue Flecken und Beulen treten täglich auf, sodass Voltaren Crème in kurzer Zeit aufgebraucht ist. Schön blau ist schliesslich auch schön. Die Köchin mit der wunderschönen Pfirsichhaut war am Ziel braungebrannt mit Zwetschgenflecken.
Hygiene:
Wird ausgesprochen klein geschrieben. Nicht zuletzt auch wegen des ungewiss  bestimmbaren Wasservorrates. Meine Erfindung: Wasser in Pulverform, hat sich nicht bewährt, da man dieses wiederum  in Wasser auflösen muss, sodass mir die Patentierung verweigert wird. Zähne putzen liegt noch drin. Ich bulgarisiere mich jeden Morgen (Parfum, das mein Sohn mir schenkte), was zu heftigen und damit gesundheitsfördernden Niesanfällen der Mitsegler führt. Das Baden im Meer bedingt ausreichend Körperkraft, wir machen nie unter 4 Knoten Fahrt, vorsichtshalber bindet man sich an der Badeleiter mit dem Sicherheitsgurt fest. Wie man sich dann aber einseifen soll, bleibt Geheimsache.
 Kosten:
Zu Beginn zahlte jeder 200 Euro für den Proviant und 500 Euro in die Bordkasse.
Das hat bis zuletzt alle üblichen Kosten, wie Essen (auch im Restaurant), Liegegebühren, Diesel etc. abgedeckt.
Einige Zahlen:
Zurückgelegte Seemeilen: 3805
Durchschnittsgeschwindigkeit: 4,7 Meilen
Höchstgeschwindigkeit nach GPS: 12,1 Meilen
Laufzeit: 810 Stunden
Zeit unter Motor wegen Flaute: 15 Stunden
Etmal: zwischen 99 und 145 Meilen
Am 26.Februar erreichen wir Camamu, das Festland von Brasilien und am 28.02. Itakaré.
Quintessenz:
Mit den heutigen technischen Hilfsmitteln ist eine Atlantiküberquerung keine Heldentat.
Wenn die Bordelektrik funktioniert und somit ein funktionstüchtiger Eisschrank zur Verfügung steht, zusätzlich vielleicht ein Watermaker (Entsalzungsanlage), ein Radar mit Warneinrichtung und ein Wetterfax, ein funktionierendes Funkgerät, vielleicht auch noch ein Vorausecholot, so entspricht es einem –obwohl etwas längerem- Sonntagsspaziergang. Wegen der Schaukelei etwas mühsam bis masochistisch und eher langweilig, nicht zuletzt auch weil die erwähnten kleine Abenteuer dann ganz ausbleiben.
Jeder hat uns prophezeit, dass wir nach der Atlantiküberquerung nicht mehr dieselbigen sein würden. Wie recht sie hatten: Wir waren 52 Tage älter und kein bisschen weiser.
P.S.: Da der brasilianische Zoll keine Lust  hatte, uns draussen vor Anker aufzusuchen, konnten wir eine unerwartet grosse Menge an Alkoholika unter den Einheimischen verteilen und wurden sehr herzlich empfangen.
P.P.S: Diesen Bericht habe ich an die Clubmitglieder in meinem Yachtklub zum Lesen gegeben. Die Reaktion war durchzogen bis gedämpft. Wieso kann ich mir nicht erklären. Auf jeden Fall habe ich mittlerweile den Austritt gegeben.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 30.08.2013. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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