Helmut Wurm

Sokrates und der hämisch-frohe Privatschul-Direktor



Sokrates sitzt wieder einmal im Park von einem Schulministerium. Er sitzt dort öfter, offen für alle Eindrucke, neugierig, erwartungsvoll, gespannt und beobachtet die Gesichter der Personen, die dort ein- und ausgehen. Menschenkenner können nämlich an den Gesichtern oft einiges über die Ereignisse ablesen, die sich hinter diesen Mauern abspielen. Und in den letzten Jahren haben wichtige Veränderungen im Schulwesen begonnen, z.B. nämlich die schrittweise Einebnung der Schullandschaft hin zu einer flächendeckenden staatlichen Gesamtschule oder Einheitsschule oder Nivellierungsschule oder Für-Alle-Gleichschule oder Gleiche-Chancen-Schule… Man kann verschiedene Bezeichnungen dafür finden - je nach der Meinung, die man dazu hat.
 
Sokrates hat nicht gezählt, ob er mehr frohe oder mehr bedrückte oder sogar wütende Gesichter in den letzten Jahren gesehen hat. Es hat jedenfalls Personen gegeben, die mit strahlenden Gesichtern, sich die Hände reibend, wieder herausgekommen sind, und solche, die mit wütendem Gesichtsausdruck das Schulministerium verließen und sich vor der Tür noch einmal umdrehten und die Fäuste schüttelten. Wer alles wird heute und mit welchem Gesichtsausdruck herauskommen?
 
Sokrates (sinniert): Sicher kann man diese Schullandschafts-Nivellierung unterschiedlich bewerten - positiv wie negativ, als naiv-idealistisch oder als gefährlich-leistungsmindernd. Früher hatten die verknöcherten, phantasielosen Traditionserhalter das Sagen, heute die Idealisten und Gutmenschen. Jeder übertreibt auf seine Weise. Aber für meinen privaten Schultraum von einer Einheitsschule für alle, die wiederum nicht so einheitlich ist,    
konnten sich bisher selbst diese Idealisten und Gutmenschen nicht erwärmen, nämlich für eine Schule, in die alle Schüler gehen, die aber in jedem Fach, wirklich in jedem Fach, in verschiedene Leistungskurse aufgespalten ist, die jeder Schüler gemäß seinen Interessen und seinen Leistungsfähigkeiten besuchen kann und in der man mit der Altersstruktur variabler ist als im bisherigen starren Altersstufen-Zuordnungssystem. Sicher sind damit die Klassen abgeschafft und auch in den Fachkursen gäbe es keine einheitlichen Alters-strukturen mehr… Aber dafür wäre die individuelle Förderung am günstigsten…
 
Ah! Da kommt ja einer aus dem Schulministerium, strahlend und sich die Hände reibend. Sicher so ein Vertreter der Einebnung, der gerade wieder eine solche Einheitsschule an seinem Schulstandort durchgesetzt hat, der mit dem Strom des Schulentwicklungstrends schwimmt. Den werde ich mal ansprechen…
 
Wirklich kommt gerade ein Mann aus dem Schulministerium, der auffallend fröhlich ist, fast schadenfroh grinst, so scheint es, und sich die Hände reibt. Als er an Sokrates vorbei geht, spricht dieser ihn an.   
 
Sokrates: Sie kommen ja sehr froh aus dem Schulministerium. Sie haben vermutlich gerade eine der neuen Schultypen angemeldet.
 
Der Mann (bleibt stehen): Angemeldet ist nicht ganz richtig, ich habe die Einrichtung nur mitgeteilt. Wir brauchen nicht um Genehmigung zu flehen, wir errichten einfach und teilen das mit - nicht zur Freunde der modernen Schulreformisten.
 
Sokrates (erstaunt): Ich hielt Sie für einen möglichen Schulreformer, der vielleicht gerade die Umwandlung seiner Schule z.B. in eine IGS, Integrierte Gesamtschule, durchgesetzt hat. Aber jetzt machen Sie mich neugierig. Sind Sie denn kein Schulreformer?
 
Der Mann: Nein, ich bin kein Schulform-Reformist der aktuellen Prägung, ich bin ein Schulform-Realist. Und unsere Schulrichtungen kommen gerade in den Aufwind. Bisher führten wir in Deutschland eher ein Schattendasein - im Unterschied zu vielen anderen Ländern. Noch zu wenige Eltern in Deutschland wollten bisher das Schulgeld aufbringen. Aber jetzt beginnt die Bereitschaft dafür zuzunehmen.
 
Sokrates: Sie sind ein Schulform-Realist und befinden sich im Aufwind? Könnten Sie mir das genauer erklären?
 
Der Mann: Ich habe gerade die Errichtung einer neuen Privatschule im Schulministerium mitgeteilt, deren Schulleiter ich sein werde.  Die Gesichter da drin im Gebäude waren nicht gerade freundlich und fröhlich. Aber die sind ja selber schuld daran, dass es zunehmend so kommt. Die Einebnung der Schullandschaft ist Wasser auf die Mühlen des Privatschul-wesens. Das werden die Schulidealisten, die Schulphantasten und die Schul-Gutmenschen noch erfahren. Die können sich nicht vorstellen, dass Schüler und Eltern mehr vom Schul-system erwarten als nur glückliche Gleichheit und Mittelmäßigkeit.
 
Diese Einebnung findet wenig Zustimmung in der Wirtschaft, bei den Universitäten und auch in der Elternschaft gibt es teilweise Ablehnung. Denn die neue Einheitsschule senkt das Niveau in den weiterführenden Schulebenen, sie differenziert nicht nach Begabungs-stufen, sie erschwert die Förderung von besonders begabten Schülern und von solchen, die eine spezielle schulische und pädagogische Betreuung benötigen, sie lässt keinen Raum für anders orientierte Schulen, sie schafft nur einen mäßigen Bildungs-Einheitsbrei...
 
Alle diese Unzufriedenheit fangen wir im Privatschulwesen auf. Wir differenzieren das Schulwesen in verschiedenen Richtungen, wir lassen Freiräume für besonders orientierte Schulen, wir schaffen Lernorte für besonders begabte und ehrgeizige Schüler, wir berück-sichtigen verschiedene Interessensgebiete und Berufsrichtungen… Wir sind sogar noch besser als das bisherige gegliederte Schulwesen.  
 
Sokrates: Aber dieses Privatschulwesen kostet Geld, teilweise erhebliches monatliches Schulgeld für die Erziehungsberechtigungen, denn die Lehrer an diesen Schulen werden nicht oder nur teilweise vom Staat finanziert und die ganze Schuleinrichtung muss privat finanziert werden.
 
Der Privatschul-Direktor: Das war bisher die Hürde, die in Deutschland eine Ausweitung des Privatschulwesens verhinderte. Aber mit der steigenden Unzufriedenheit vieler Eltern und von Wirtschaft, Verwaltung und Universitäten sind immer mehr Eltern bereit, diese Kosten zu tragen und die Wirtschaft wird hoffentlich immer mehr Zuschüsse geben, wenn sie dafür besser vorgebildete Azubis bekommt. Und die Universitäten werden künftig die Abgänger von leistungsorientierten Privatschulen bevorzugen, so wie das in den USA, in Großbritannien und Frankreich schon länger der Fall ist. Ich bin in dieser Richtung guter Hoffnung…
 
Sokrates: Das Privatschulwesen profitiert also von den Fehlern der derzeitigen Schul-Idealisten und Schul-Reformer. Da kannst Du Dich in der Tat freuen. Die derzeitigen Schul-Einebnungen sind tatsächlich Wasser auf die Mühlen des Privatschulwesens.
 
Der Privatschul-Direktor (lachend, reibt sich die Hände und zeigt nach rückwärts): Ich glaube fast, die merken das hier in ihrem Schul-Idealismus-Turm gar nicht. Na, mir kann das nur recht sein.
(Er geht weiter)
 
Sokrates (für sich): Ob meine Kurse-Schule eine Chance als Privatschule hätte? Ich müsste mich mal umhören.
 
(Verfasst von discipulus Sokratis, mit dem Sokrates am Abend ausführlich über sein Wunschmodell "Kurse-Schule" diskutierte und dabei auch das Gespräch mit dem hämisch-frohen Privatschul-Direktor erwähnte)
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 01.09.2013. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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