Peter Somma

Die Abrechnung

 
 
Heinrich war Vertreter für landwirtschaftliche Maschinen und deshalb musste er oft mit seinem Wagen im ganzen Land unterwegs sein, um seine Kunden zu besuchen. Meist gelang das ohne, dass er deshalb hätte übernachten müssen und er freute sich immer, wenn er am Abend wieder bei seiner Frau zu Zause sein konnte.       
 
 Heute war es eine lange, eintägige Tour gewesen, die schon sehr zeitlich in der Früh begonnen hatte und ihn in eines der entlegendsten, aber auch schönsten Täler des Landes geführt hatte, deshalb machte er diese Tour auch recht gerne.. Obwohl er diese Gegend nur einmal im Jahr besuchte und es eine anstrengende Tour für ihn war, verlief diese Fahrt, trotz der wenige Kunden dort, immer recht lukrativ für ihn, denn er wurde hier immer schon von seinen Kunden mit einer Liste von Aufträgen erwartet.
 
nachdem er auch seinen letzten Kunden besucht hatte, hatte er nun die Heimfahrt angetreten. Im Laufe der Jahre hatte er sich angewöhnt, auf dem Rückweg an einem der Parkplätze, die man an den schönsten Stellen der Straße errichtet hatte, einen Halt einzulegen. Fast immer war es da schon spät am Nachmittag und die Berge glühten in der Abendsonne. Er freute sich schon auf  die paar Minuten, die er auf dem, ihm vertraut gewordenen Platz verbringen würde, auf die herrliche Sicht, auf dieses Naturschauspiel, und auf seine Pause die er dort alleine und in Ruhe genießen konnte. Aber als er jetzt dorthin einbog, merkte er, dass er diesmal nicht allein sein werde, denn auf der einzigen Bank dort, sah er einen Mann sitzen. Fast war er schon entschlossen, weiter zu fahren aber die Tatsache, dass er das Naturschauspiel, auf das er sich schon gefreut hatte, nicht versäumen wollte, und der nächste Rastplatz weit entfernt und an einem Ort errichtet worden war, der es bei weitem nicht mit der landschaftlichen Schönheit seines Lieblingsplatzes aufnehmen konnte, veranlassten ihn, dennoch dort anzuhalten. Heinrich wollte nicht im Wagen sitzen bleiben, wollte diese Pause auch dafür nutzen, ein wenig frische Luft zu schnappen und setzte sich neben dem Fremden auf die Bank, der dort schon Platz genommen hatte. Es war, seiner Kleidung nach, jemand der hier aus der Gegend stammen musste und Heinrich hoffte, der Höflichkeit mit einem kurz angedeuteten Gruß Genüge getan zu haben und im übrigen, die Zeit ohne Unterhaltung zubringen zu können. Leider war er aber auf einen jener Zeitgenossen gestoßen, die jeden in ein Gespräch verwickeln zu müssen glauben und die einem dann gleich alles aus ihrem  Leben berichten.
 
         Als Heinrich den Rastplatz verlassen hatte, konnte er die Umrisse der Straße  noch deutlich erkennen, aber es dämmerte schon und er hatte die Scheinwerfer eingeschaltet. Natürlich wäre es besser gewesen, er hätte seine ganze Aufmerksamkeit, der Straße geschenkt, seinen Wagen nicht wie einen Automaten gesteuert, und sich ganz auf das Lenken seines Fahrzeuges konzentriert. Aber die Begegnung mit dem Fremden auf der Bank des Aussichtsplatzes konnte er nicht aus seinem Kopf verdrängen, er konnte nicht anders, als sich Gedanken zu machen, über jene Geschichte die ihm der Fremde erzählt hatte.
 
Eigentlich war es ja eine ganz alltägliche Geschichte gewesen, die er ihm da mitgeteilt hatte, und obwohl sie eigentlich mit ihm gar nichts zu tun hatte, fühlte er sich dennoch sonderbar angesprochen von ihr.
 
         Der Mann erzählte ihm, dass er, gemeinsam mit seiner Frau eine Lebensmittelhandlung im Ort führte, von der sie gut haben leben können und dass er auch eine, im Grund glückliche Ehe geführt hatte. Längst hatten sie keine Schulden mehr, und alles hätte gut sein können, wenn er es hätte lassen können, auch auf anderen Wiesen zu grasen, wenn sich eine Gelegenheit dazu geboten hatte. Er sei dabei immer sehr vorsichtig vorgegangen, sei bemüht gewesen, keine Spuren zu hinterlassen, und war fest davon überzeugt gewesen, dass seine Frau keine Ahnung von seinen Eskapaden hatte, aber vor kurzem hatte sich für ihn, von einem Tag auf den anderen, sein ganzes Leben schlagartig geändert.
 
         Er war nach einem langen Arbeitstag, an dem er Waren aus seinem Geschäft an Kunden ausgeliefert hatte, die abgelegen wohnten, heimgekehrt, und hatte seine Frau nicht zu Hause angetroffen. Das war er nicht gewöhnt und zunächst war er besorgt gewesen, hatte Angst gehabt, es könnte ihr etwas zugestoßen sein, aber auch nach ein Paar Tagen war sie nicht heimgekehrt. Bis er dann, nach ein paar Tagen, völlig überraschend einen Brief eines Rechtsanwaltes erhalten, aus dem er erfahren musste, dass sie ihn verlassen hatte, die Scheidung eingereicht hatte und immer schon von seinen Seitensprüngen gewusst hatte.
 
 Heinrich hatte die Schilderungen dieses Mannes nur mit mäßigem Interesse begleitet, denn für Männer, die sich bei ihren Seitensprüngen erwischen ließen, hatte er stets nur ein müdes Lächeln übrig gehabt. Er selbst war auch kein Kind von Traurigkeit gewesen, hatte keine Gelegenheit für einen kleinen Seitensprung ausgelassen, war aber immer sehr vorsichtig vorgegangen und er war sich sicher, dass ihm so etwas nicht passieren konnte.
 
Bald nachdem er den Mann verlassen, und seine Fahrt fortgesetzt hatte, war es dunkel geworden. Die Mücken tanzten jetzt schon im Scheinwerferlicht und viele von ihnen hatten auf der Windschutzscheibe ihr Leben lassen müssen. Endlich neigte sich sein langer Arbeitstag dem Ende entgegen und nach einiger Zeit tauchten auch in der Ferne bereits die ersten Lichter der Stadt auf und er würde bald zu Hause angekommen sein.
 
         Die Geschichte, die ihm dieser Mann erzählt hatte, ging ihm im Kopf herum. Den Gedanken, seine Frau könnte ihn – zum Beispiel – heute nicht zu Hause erwarten, sie könnte ihn gar verlassen haben, hielt er für geradezu absurd und dass sie hinter seine kleinen Geheimnisse gekommen sein könnte, fand er einfach völlig lächerlich. Jedes Mal, nach einem seiner Abenteuer hatte er sein schlechtes Gewissen immer mit einem noblen Geschenk, einem kleinen, aber wertvollen Schmuckstück beruhigt und seine Frau hatte sich dann immer sichtlich sehr gefreut darüber. Nein, so etwas wie diesem Dummkopf konnte ihm nicht passieren, war er überzeugt.
 
Schon hatte er die ersten, vertrauten Gassen erreicht und der Motor des Wagens surrte ruhig. Er verspürte schon Hunger, seine Gedanken waren schon bei dem, von seiner Frau liebevoll zubereiteten Abendessen und er freute sich auf ihren herzlichen Empfang. Bald konnte er seinen Wagen in der Garage abstellen und der lange Arbeitstag würde endlich zu Ende sein.
 
        Heinrich fuhr mit dem Lift in den letzten Stock, sperrte die Wohnungstüre auf und merkte, dass niemand zu Hause war. Es kam nur selten vor, dass seine Frau ihn nicht erwartete, aber ihre Abwesenheit beunruhigte ihn nicht. Wahrscheinlich hatte sie eine ihrer Freundinnen besucht, dachte er, und er glaubte sich erinnern zu können, irgend so etwas bei seiner Abfahrt gehört zu haben. Im Kühlschrank, fand er sein vorbereitetes Nachtmahl, holte es heraus, schaltete das Fernsehgerät ein, verzehrte mit großem Appetit sein Essen, streckte sich auf seiner Couch aus und verfolgte das Fernsehprogramm. Erst jetzt bemerkte er den Brief, der auf dem Tisch lag und er las:
 
          Lieber Heinrich!            
Ich war ja immer für dich da, wenn Du nach Hause kamst, habe Dir Dein Nachtmahl auf den Tisch gestellt und Du wirst Dich sicher wundern, mich heute nicht zu Hause anzutreffen. Dass dies einmal anders sein könnte, konntest Du Dir wahrscheinlich gar nicht vorstellen, aber Du wirst Dich jetzt darauf einstellen müssen, in die leere Wohnung zu kommen, Dir selbst Dein Abendessen richten zu müssen. Denn nach Deinen ständigen Verhältnissen mit anderen Frauen, war es Zeit, Dich zu verlassen.
 
         Mit diesem Gedanken habe ich mich ja schon länger befasst, denn natürlich wusste ich längst von deinen Seitensprüngen, die mir auf die Nerven gingen, aber erst jetzt hat sich für mich die beste Gelegenheit für diesen Schritt ergeben.
 
Mein Lieber, Du glaubtest Dich ja immer so sicher, hieltest mich für so dumm, dass ich nie irgendetwas bemerkt hätte, aber ich wusste natürlich schon immer von Deinen gelegentlichen Ausritten. Ja, ich wusste natürlich jedes Mal, was es bedeutete, wenn Du mit einem Schmuckstück daher kamst. Warum ich nie eine Szene gemacht habe? Wozu? Schließlich warst Du ja immer sehr großzügig – nach Deinen Seitensprüngen.
 
         Wir waren erst zwei Jahre verheiratet, als ich anfing, misstrauisch zu werden, denn immer wieder fanden sich an Deiner Kleidung und anderswo Hinweise, dass Du bei Deinen Geschäftsreisen nicht allein warst, und prompt kamst Du dann auch mit einem Ring oder einem anderen Schmuckstück an. Es hat Dich auch nie interessiert, ob ich Deine Schmuckstücke überhaupt trage, ob ich überhaupt eine Freude damit hatte! - Dein Gewissen war beruhigt und das genügte Dir.
 
Es ist Dir auch nie aufgefallen, dass die einzigen Schmuckstücke, die ich trug, die waren, die Du mir anlässlich der Geburt unserer Kinder - um die Du Dich übrigens herzlich wenig gekümmert hast  - geschenkt hast.
 
Im Laufe der Zeit waren Deine Geschenke immer großzügiger geworden, was ich durchaus zu würdigen wusste. Ich habe Deine Geschenke stets verkauft und habe immer einen guten Preis dafür erzielt. Das Geld - Felix war mir ein sachkundiger Berater – habe ich in Wertpapieren angelegt, die im Laufe der Jahre prächtig an Wert gewonnen haben. Heute verfüge ich über ein ansehnliches Vermögen, das mich, auch von Felix, zu dem ich gezogen bin, unabhängig macht.
 
        Dass ich Dich betrügen könnte, konntest Du Dir nicht vorstellen, ja es kam Dir geradezu lachhaft vor. Ich habe es auch zunächst nicht getan, nicht Deinetwegen, sondern, weil mich meine Kinder brauchten. Seit zwei Jahren sind unsere Kinder nun aus dem Haus und Deine häufige Abwesenheit erleichterte es mir, eine neue Beziehung aufzubauen. Dein Freund Felix – „Onkel Felix“ nannten ihn unsere Kinder - Du nanntest ihn immer „den Versager“ hat sich immer um mich bemüht, aber erst nach der Hochzeit unserer Tochter habe ich seinem Drängen nachgegeben. - Du wirst übrigens morgen in der Firma erfahren, dass er den Posten in der Firma bekommen hat, auf den Du schon so lange gewartet hast und er ist ab morgen Dein Vorgesetzter. 
 
        Ja, Heinrich, so stehen die Dinge. Dein Nachtmahl, das ich dir als letzten Liebesdienst noch zubereitet habe, steht im Kühlschrank, Du hast es sicher schon gefunden. Wir sehen uns ja dann noch bei der Scheidungsverhandlung. Sei nicht all zu traurig und werde glücklich mit Deinen Affären                 
 
                 
                                                                                         Deine Beate!
 
                                                                 
 
.
 

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Peter Somma).
Der Beitrag wurde von Peter Somma auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 03.09.2013. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Der Autor:

  Peter Somma als Lieblingsautor markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Das Mädchen aus Oberschlesien von Brigitte Hanisch



Das kleine Mädchen Brigitte wächst wohlbehütet in einer Großfamilie im katholischen Oberschlesien auf. 1938 siedeln die Eltern mit Brigitte nach Kiel um. Dort wird Ihre Schwester Eva-Maria geboren. 1939 beginnt der Krieg und Kiel wird besonders gebeutelt. Entsetzliche Jahre für das kleine Mädchen. Tag und Nacht Bombenangriffe. Hungersnot und immer die Angst um den Vater. Das Mädchen ist seelisch in einem so schlechtem Zustand, dass die Eltern Brigitte nach Oberschlesien zur Schwester der Mutter schicken. Dort wird sie eingeschult und geht auch in Schomberg zur ersten heiligen Kommunion. In den nächsten Jahren pendelt sie hin und her. Kinderlandverschickung nach Bayern, Kriegserlebnisse in Kiel, danach wieder zurück nach Oberschlesien zur Erholung. Dort aber hat sie große Sehnsucht nach ihrer Schwester und den Eltern und fährt deshalb Weihnachten 1944 nach Kiel zurück. Das ist ihr Glück, denn im Januar 1945 marschieren die Russen in Beuthen ein.
Die Nachkriegsjahre und der Aufbau der jungen Bundesrepublik prägen Brigitte. Sie lernt einen Flüchtling aus Pommern kennen und lieben. Sie heiratet ihn nach vielen Hindernissen 1954. Ein Jahr später ziehen sie nach Stuttgart. Dort endet das Buch.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (2)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Sonstige" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Peter Somma

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Seifenblasen von Peter Somma (Zwischenmenschliches)
Pilgerweg...letzte Episode von Rüdiger Nazar (Sonstige)
Bennys Weihnachten von Monika Klemmstein (Abschied)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen