Birgit Kleinfeld

Zwiegespräche :Pinot Grigio & ich


Da bist du, ein Pinot Grigio golden glitzernd. In einem Glas aus Kristall. Die Sonne lässt es funkeln. Ich schaue dich an. Lange.
"Weißt du", sage ich, „weißt du, ich habe dich nur bestellt und mir zu beweisen, dass ich dich nicht mehr brauche.“; „Ach ..." Es klingt höhnisch irgendwie, "und warum bestellst du mich jetzt, heute, nachdem du mich fast fünfzehn Jahre ignoriert hast?" Kichernd fast fügst du hinzu: "Gib es zu, du hattest Sehnsucht!"
"Ja, ich habe Sehnsucht. Große Sehnsucht: nach Leben, Liebe, Glück und Erfolg!"
"... und nach ihm der dich nicht will "ergänzt du, und fast scheint es mir als würdest du dich mir entgegenneigen, dich mir anbieten. Und tatsächlich, traumverloren streiche ich mit dem Finger über den Rand deines Glases, wische rieche dran und wische ihn sofort und heftig in meiner Bluse ab.
Bilder steigen auf. Bilder, die ich längst vergessen glaubte: zitternde Hände, die nach dem dünnen Stil eine Weinglases greifen, der so dünn ist. Fast spüre ich die Anstrengung, die es kostete, jeden einzelnen Muskel der Hand anzuspannen, damit ich das Glas greifen konnte. Erinnerte mich an die Angst, die ich hatte, den Stil zu zerbrechen und - nein nicht mich zu blamieren vor anderen, sondern die köstlichen Tropfen, die damals so lebenswichtig für mich waren, zu verschütten und verschwenden.
Noch heute ist jeder Tag, ein neuer Anfang, ein neuer Start in ein Leben, das jeden Tag einen Absturz in sich birgt, der wie bei einem PC einen Neustart verlangt. Mal ist das System gefährdeter, mal sicher und vor Angriffen und Zerstörung geschützt.
"Na komm“, unterbrichst du mich, "wir hatte doch auch schöne Zeiten. Hol sie dir zurück!"
Ich muss dir recht geben zu Anfang, als ich noch genießen konnte, ja da war alles schön. Ein gutes Glas Wein, JA, das hatte Stil. Vermittelten den Eindruck von Lebensqualität, entspannte und nahm mir auch meine Schüchternheit. Aber dann, dann wurde aus dem Glas eine Flasche dann noch eine. In Gesellschaft trank ich dann gar nichts mehr, soff mir zu Hause mein Leben schön und meine Selbstachtung in Grund und Boden. Misserfolge, Ablehnungen, Erniedrigungen Enttäuschungen - alles schluckte ich mit deiner Hilfe mit Erfolg runter. Jahrelang.
"Na siehst Du!" Du lässt nicht locker. Doch Gott sei Dank, kommt die Kellnerin mit meiner Essensbestellung, sodass wir beide schweigen müssen.
Fürs Erste ...

Wie, 'Na siehst du?' nehme ich unser Gespräch wieder auf nach dem ich lustlos einpaar Bissen von meinem sonstigen Lieblingsgericht -Rucccola in Himbeeressig mit Entenbrust, Pinienkernen und Himbeeren- gegessen habe,  denn mit meinem Gedanken bin ich bei Frank, der mich vor wenigen Tagen verlassen hat, wegen einer jüngeren Frau.
„Du sagtest doch selbst, ich habe dir geholfen zu vergessen! Also hier bin ich! Vergiss ihn! Prost!" du zwinkerst mir verschwörerisch zu.
"Nein" widerspreche ich energisch, "du verwechselst da etwas. Mit deiner Hilfe habe ich alles runtergeschluckt. Das hab ich gesagt und das, das ist ein Unterschied. Sieh es doch ein, du bist eine Droge." Zur Bekräftigung meiner Worte schiebe ich dein Glas ein wenig weiter von mir weg.
"Nein, fang gar nicht erst wieder an mit deinem wir hatten schöne Zeiten, die waren kurz. Dabei bleib ich. Also halt den Mund"
dann greife ich in meine Tasche zu dem kleinen edlen Notizbuch, dass mir ein Freund für meine Gedanken, Einfälle für Gedichte und Geschichten geschenkt hat.
Schreibe drauf los. Eigentlich wollte ich über meine Traurigkeit schreiben und über Frank aber nun mit dir vor meiner Nase, der du mir doch meine Stärke und Überlegenheit zeigen solltest in dem ich dich NICHT anrühre bleiben sie einfach präsent, die Bilder von damals, kommen sie wieder die Selbstvorwürfe und der Ekel:

Ich sehe meinen nun erwachsenen Sohn vor mir, damals grade mal 5 war an einem dieser Luxusfoodstände, an denen man mitten in einem edlen Einkaufszentrum zwischen "Douglas" und einem Antiquitätenladen, Hummer, Scampi, Champagner, Wein und andere eigentlich fast unbezahlbare Köstlichkeiten zu sich nehmen kann. Ich musste ihn bitten mir das Glas- ja natürlich Wein - aber ich glaube es war ein Sancerre- an den Tisch zu bringen. Ja, genau -es war eine "ich habe Angst den Stil zu zerbrechen“ Situationen. Ein anderes Mal - ein einziges Mal nur- da bin ich sicher- habe ich im Suff auf ihn eingeschlagen. Es schmerzt mich immer noch und es wundert mich und tut mir auf unerklärliche Weise weh, da es die Scham noch vergrößert, dass er mir spreche, ich ihn darauf an, immer wieder versichert er erinnere sich nicht daran.
Und noch ein anderes Mal musste dieser tolle kleine Junge vor dem Regen Unterschlupf bei Nachbarn suchen, da ich zu weggetreten war, um ihn zu hören. Und auch da- ja selbst da. Ja, selbst da hielt er zu mir: "Sie wollte spazieren gehen und ich habe leider meinen Schlüssel vergessen". Fünf oder sechs war er damals.
„Mir kommen die Tränen“, höhnst du", "was quälst du dich mit solchen Sachen nach so vielen Jahren. Na komm gönn ..." Ich hör dir nicht weiter zu und halte auch einen Augenblick mit dem Schreiben inne.

Denn ich höre ein Lachen. Es ist Franks Lachen, da ist er mit seiner neuen Freundin, Bianca, heißt sie. Mir dreht sich der Magen um, als ich die beiden sehe. Sie ist schön wirklich schön, nicht aufgetakelt, wie ich sie mir vorstellte, sondern eine natürlich schöne Frau. Sie trägt Jeans, eine weiße Bluse und goldene Pumps, passend zu ihrer Tasche. Doch so wie sie es trägt, wirkt es alles andere als aufgesetzt. Auch er trägt Jeans. Natürlich trägt er Jeans und jenen Pullover, den ich ihm schenkte. "Weißt du, Schatz", hatte ich damals gesagt" "der schreit gerate zu nach dir".
Sie sind so glücklich. Unendlich glücklich. Und wie sie ihn anschaut.
"Meine Güte" denke ich, "sie liebt ihn genau so sehr, wie ich es tat."
Es ist eine Erkenntnis, die mich freut für Frank und gleichzeitig verletzt. Selbstmitleid kommt hoch, Selbstmitleid, das du noch anstachelst: "Siehst du! Was hat es dir gebracht, dass du mich verschmähst? D u hast auch jetzt keinen Mann, keinen vernünftigen Job immer noch nicht mehr freunde als damals und auch nicht mehr Anerkennung!"
Einen Moment glaube ich dir, den Blick immer n och auf Frank und Bianca die ungeniert miteinander turteln gerichtet. Auch wir haben einst so hier gestanden genau an der Stelle, genau vor dem Supermarkt. Ob es der gleiche Obdachlose ist, der dort sitzt? Der gleiche wie, der vor sechs Monaten? Ich schaue ihn mir genauer an. Er hockt dort, ist sicher jünger als er aussieht, trägt eine graue Cordhose eines dieser Manga-Hemden, die vor einigen Jahren so modern waren. Das seine sieht verdreckt aus selbst von hier. In der Hand hält er einen Tetrapack Wein Mir scheint es als stiege mir der billige saure Geruch in die Nase. Ein Geruch, der zu einem Geschmack gehört, den ich damals nur aus wildester Verzweiflung aus dem tiefsten Wunsch heraus, trotz Geldmangels zu vergessen, aushalten konnte.

Ich wende mich ab, um weiterzuschreiben. Aber es klappt nicht wirklich. Ich habe den Geschmack im Gaumen und auch das Gefühl von damals. Stehlen musste ich nie, aber Pfennige habe ich zusammengekratzt, jeden einzelnen, gerechnet und überlegt wie ich es schaffe meinem Kind etwas zu essen zu kaufen, ohne auf meinen Wein verzichten zu müssen. Dem Wein, der schon lange nicht mehr Pinot Grigio aber auch erst ganz zum Schluss Tetrapack hieß. Dessen ersten Schluck ich nach der Arbeit am frühen Abend ersehnte- jeden Abend. Denn auch wenn er, da ich morgens im wahrsten Sinne des Wortes Galle gespuckt hatte, in meiner wunden Kehle brannte, so wärmte er doch Magen und Seele, ließ das Würgen und das Zittern verschwinden, bis es ersetzt wurde durch Selbstmitleid und Trauer und immer wieder Ekel, Ekel, Ekel.
"Ich habe Selbstachtung" beantworte ich mit Verspätung deine Frage, " und selbst wenn Frank mich nicht mehr will. Ich habe dem Mann, der mich will ..."
Wieder unterbreche ich mich selbst. Denn ich spüre ihn spüre Franks Blick nur kurz, als er sich umdrehte, bevor sie - endlich beide aus meinem Blickfeld und im Laden verschwinden.
Dieser eine kurze Blick reicht, um meine Hoffnung zu schüren ... Aber nein. Glücklich! Ich darf es nicht vergessen Glück, war, was sie ausstrahlten! Nichts anderes!

"Wo waren wir?" wende ich mich an dich.
"Du hast mich Droge genannt." antwortest du. Aber ich höre dir schon nicht mehr zu, will dich verbannen aus meinen Gedanken. Warum bloß hab ich dich bestellt? Warum bestrafe ich mich immer wieder für meine Gefühle?
Energisch fahre ich mit dem schreiben fort. Schreibe und schreibe bis meine Finger wund aber noch lange nicht aller Kummer verarbeitet ist, doch die Traurigkeit, sie lässt sie Worte fließen.


Allmählich dann wird es zu dunkel um weiter zu schreiben auch wird die Kellnerin etwas ungeduldig. Ich merke es, denn sie wundert sich, dass meine 2 bestellten Latte Macchiatti zwar getrunken sind. Du aber immer noch unberührt. Unberührt und inzwischen auch nicht mehr in deinem Glas glitzernd.
„Apropos Droge" hebst du an, „lebst du jetzt eigentlich wirklich Drogen frei?" - "Was für eine Frage! Natürlich lebe ich drogenfrei“, ich bin empört. "Obwohl", räume ich dann doch ein.
"Schokolade, ja als die …" Dein Lachen ist schrill laut und es kommt aus dem tiefsten Innern deines Kelches. Fast habe ich das Gefühl, alle hören es.

"Du bist gut! Ich kann nicht mehr" endlich beruhigst du dich. Die Schokolade meine ich nicht! Aber sag mal. Wann schreibst du eigentlich?" "Na, wenn mir etwas einfällt, das raus muss." Irgendwie verstehe ich deine Frage nicht, aber sie verursacht mir ein Grummeln im Bauch, undefinierbares Unwohlsein.
"Und WANN schreibst du am besten und leichtesten?"
"Wenn ich traurig bin."
Wieder dein Lachen, dein schreckliches verletzendes Lachen. "Ist dann nicht Traurigkeit jetzt deine Droge, die du brauchst, um zu leben und zu funktionieren?"
Die wenigen Leute, die noch wie ich, hier draußen im Garten sitzen, schauen sich neugierig um, als ich dich samt deinem Glas auf den Boden schleudere ...
(c) birgitk0305

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 05.10.2013. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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