Tilly Boesche-Zacharow
DAS GROSSE MISSGESCHICK DER KLEINEN JEANET / Krimi
Als ein Mädchen, das außer Gefühlsreichtum sonst keinerlei irdische Güter aufzuweisen hat, tut man sich schwer, den richtigen, genau zu einem passenden Partner auf Lebenszeit zu finden. Entweder der Bewerber ist reich, was nicht zu verachten ist, gleichzeitig aber alt und glatzköpfig – eine Tatsache, die nicht unbedingt jedermanns Entzücken erweckt, oder er ist jung und charmant, man ist verliebt bis über beide Ohren, dafür jedoch hat er nicht mehr an finanziellem Fundus aufzuweisen als man selber.
Genau das war das Problem, vor das sich Janet Ward gestellt sah. Sie konnte sich nicht entscheiden zwischen dem Bankier Douglas und dem zur Zeit arbeitslosen Hafenarbeiter Jim Fairley. Ihre Vernunft plädierte für den Ersteren – bei Douglas würde sie ein total sorgloses Leben führen! – ihr Gefühl zog sie zum Zweiten, der jung und sehr charmant war.
Der beste Ausweg aus der Misere wäre natürlich gewesen, dass irgendein Umstand Mister Douglas´ Reichtum – oder doch wenigstens ein gewisser Teil davon – und Jims Männlichkeit in einer einzigen Person vereinigt hätte, wobei Janet am wenigsten an die des alten, asthmatisch schnaufenden Bankiers dachte.
So begann sie, das kleine zierliche Persönchen, zu überlegen, wie man einer gerechteren Verteilung nachhelfen könne. Und endlich glaubte sie, eine Lösung gefunden zu haben, als – ein großes Missgeschick sie betraf.
An dem Abend nämlich, an dem Mister Douglas sein heiß geliebtes Mädchen zum Essen geführt und schließlich heimgebracht hatte, ohne dass sich die Hoffnung erfüllte, von ihr noch zu einer kleinen Plauderei in die Parterrewohnung Janets eingeladen zu werden, sodass er heimfuhr, rief er doch zu späterer Stunde voller Sehnsucht nochmals bei ihr an, um sich nach ihrem Befinden zu erkundigen.
„Janet, mein Darling, ich verzehre mich nach dir. Gib mir doch dein Jawort. Lass uns heiraten, - und zwar bald !“
Janet seufzte abgrundtief, sie durchlitt wirklich Konflikte.
Mister Douglas hoffte, sie würde sich endlich dazu bewegen lassen, ihm eine Zusage zu machen, als er durch die Telefonleitung plötzlich sonderbare Geräusche vernahm. In Janets Wohnung schienen sich Dinge abzuspielen, die zumindest sehr merkwürdig anmuteten. Das Klirren einer zerbrechenden Scheibe drang an sein Ohr und gleich darauf der spitze Aufschrei seiner geliebten Janet: „Oh – oh, da steigt ein Kerl zum Fenster herein. Er – jetzt kommt er auf mich zu. Was will er nur -? Nein, bitte, ich möchte…“
Was die kleine, zarte Janet mochte oder nicht, erstickte in einem Gurgeln, und gleich darauf war die Telefonleitung tot. Jemand schien drüben die Gabel brutal heruntergedrückt zu haben.
Zutiefst aufgewühlt stellte sich Mister Douglas vor, was sich bei Janet zur Zeit abspielen mochte. Offensichtlich war ein Einbrecher bei Janet eingedrungen. Zu welchem Zweck? Was war der Grund? Was gab es bei ihr zu stehlen?
Er wählte die Telefonnummer von Scotland Yard, und fast gleichzeitig mit den Beamten traf er am Tatort des Geschehens ein. Janet war fort, einfach verschwunden. Und auch vom Eindringling fand sich nicht mehr die geringste Spur. Glasscherben und umgeworfene Stühle in der winzigen Behausung zeugten vom heroischen Kampf und dem energischen Widerstand eines tapferen Mädchens, das sich dann doch schließlich hatte verschleppen lassen müssen. Auf dem Tisch fand sich ein Zettel, auf dem neben einigen anderen ein einziges Wort so groß geschrieben war, dass es auch einem halb Blinden sofort ins Auge gesprungen wäre:
!! LÖSEGELD WIRD GEFORDERT !!
Mister Douglas rang die weichen Wurstfingerchen.
„Irgendwann“, schrie er außer sich, „irgendwann gab es da mal so einen Kerl in Janets Leben, von dem sie sich ständig bedrängt fühlte, wo immer sie auch war und sich bewegte. Sie war völlig außer sich, als sie feststellen musste, dass er sogar sein Foto in ihre Brieftasche geschmuggelt hatte, um sie zu zwingen, ihn mit sich herumzutragen. Ich fand das Bild zufällig, als ich ihr ein paar Scheinchen hineinschob. Schließlich erdreistete er sich , sie heiraten zu wollen. Aber das kluge Mädchen lachte nur darüber und gab ihm den Laufpass. Ich bin sicher, es war dieser Lump, dieser Kerl, dieser Schuft, der etwas mit der Entführung zu tun hat.“
„Nicht ausgeschlossen“, pflichtete ihm der Kriminalinspektor bei. „So wie Sie von seiner, mag er von Ihrer Existenz auch Wind bekommen zu haben. Sie sind schließlich ein reicher Mann. Wenn er schon nicht das Mädchen kriegt, will er von Ihnen Geld, viel Geld. Das nennen solche Leute dann Gerechtigkeit durch Umverteilung. Da – hier steht auch der Betrag; zweihunderttausend Dollar verlangt er. Ein stolzes Sümmchen!“
„Er – er soll sie – haben!“ japste Douglas. Was zählt das Geld? Nur meine süße Janet will ich zurückhaben, - mein Ein und Alles!“
Der Beamte studierte noch immer das Erpresserschreiben.
„Morgen abend soll das Geld in einer schwarzen Aktentasche am Pfeiler der Kensington-Bridge abgestellt werden, ohne Polizei natürlich. Und dann wird – ja -hier steht es – die Entführte frei gelassen.“
„Gut, gut!“ schnaufte der Bankier und wischte den Schweiss von der blanken Glatze.
Der Beamte ließ ihm Ratschläge aus seiner Praxis zukommen.
„Man könnte den Erpresser bluffen, Sir, indem man Zeitungsschnitzel statt Geldpakete in die Tasche packt.. Kommt er dann, um sie zu holen, schlagen wir zu…“
Mister Douglas wehrte entsetzt ab. „Kommt überhaupt nicht in Frage. Ich setze Janets Sicherheit nicht auf das Spiel.. Kommt der Kerl dahinter, murkst ein anderer oder er selber meine Janet ab. Keine Widerrede, Inspektor. Ich kaufe meine Braut frei, ohne dass Sie alles gefährden..“
„Wir werden uns um den so genannten Mister Fairley kümmern“, versprach der Inspektor.
Aber Jim blieb unauffindbar. Entweder – er war in einer Spelunke versackt oder – wovon Douglas weit eher überzeugt war – er hielt mit gezogener Pistole Janet in Schach, während sie sich die Augen vor Kummer und Angst rot weinte und voller Sehnsucht ihn – Douglas, den heldenhaften Retter herbei wünschte. Diese Vorstellung brachte den alten Herrn fast um. Der Inspektor versprach, vorerst seine Leute aus dem Spiel zu lassen.
Am folgenden Abend fuhr der Bankier mit klappernden Zähnen und einer mit Dollarnoten prall gefüllten Tasche zur Kensington-Brücke. Dass ihm in recht gemessenem Abstand eine schwarze Limousine folgte, bemerkte er in seiner Erregung gar nicht Er stieg aus und stellte die Mappe an den gewünschten Ort. Dann setzte er sich wieder hinter das Steuerrad und fuhr davon, auf die weiteren, nunmehr hoffentlich folgenden Ereignisse wartend. Er wünschte so sehr, Janet bald wieder bei sich zu haben, seine kleine, zierliche Janet, die er aus den Klauen eines widerlichen Erpressers befreit haben würde.
Die schwarze Limousine hingegen blieb weiter vor der Brücke stehen. Die Scheinwerfer waren ausgeschaltet, und schließlich stieg ein Mann aus, um sich unauffällig und schleichend in die Nähe des prallen Aktenkoffers zu begeben.
Gleichzeitig näherten sich von der anderen Seite her schnelle, eilige Schritte. Es erschien eine schmale, kleine Gestalt, blieb stehen, sah sich um, als wolle sie sich vergewissern, dass die Luft rein sei. Dann sprang sie mit einem Satz vor und griff nach der Tasche.
Doch im selben Moment hechtete auch der Mann aus der Limousine hinter dem Brückenpfeiler hervor, knallte dem zusammenzuckenden Erpresser auf die Schulter und stellte sich vor: „Ich bin Inspektor Fuller vom Yard, Miss. Das nächstemal, wenn Sie wieder Lust haben, einen Coup landen zu wollen, sollten Sie die Fensterscheiben von außen – keinesfalls von innen – einschlagen. Und jetzt kommen Sie bitte mit mir. Mister Douglas wird sich von Ihnen verabschieden wollen. Bis zu einem erneuten Zusammentreffen dürfte einige Zeit vergehen.“
Es war wirklich ein überaus großes Missgeschick, dass der kleinen Janet widerfuhr: Hinter schwedischen Gardinen feiert man keine Hochzeit, weder mit reichen noch mit armen Bewerbern.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 06.10.2013.
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