Im Frühjahr 1974 war der erste Auftrag meines Mannes in Gabun zu Ende, und wir beschlossen, zwei Monate lang durch die Länder im südlichen Teil Afrikas zu reisen.
In Namibia mieteten wir einen Landrover und fuhren mit ihm kreuz und quer durch die Wüste auf der Suche nach den Halbedelsteinen, die dort überall verstreut in den Dünen liegen sollten. Die Vorgärten in Swakopmund waren mit großen Brocken Rosenquarz eingefasst, die sich die Leute von einem Berg aus Quarz holten - nur wenige Kilometer außerhalb der Stadt in der Wüste.
Wir machten uns auf die Suche nach dem legendären Berg aus rosa Halbedelstein. Nachdem wir die einzige geteerte Straße durch die Wüste verlassen hatten, ging es nur noch ohne Piste kreuz und quer über Stock und Stein. - Vor dem Kühler unseres Wagens führten die Strauße Tänze auf. Sie versuchten mit ihrem Gehüpfe, von ihren Eiern oder von den frisch geschlüpften Küken abzulenken.
Evelyn, unsere kleine Tochter durfte auf dem Schoß ihres Papas den Landrover lenken, denn es war ziemlich egal, wohin das Auto fuhr. Vom Weg abkommen war eh unmöglich, denn es gab keinen.
Auf einer dieser Touren in der Nähe der berüchtigten Skelett Küste entdeckte unser 6 jähriger Sohn bei der Suche nach Turmalinen, die es dort gab, ein seltsames Tier im Sand. Er brachte es mir mit den Worten „Schau mal, Mami, die Eidechse kann ihre Farbe wechseln“.
Das seltsame Wesen entpuppte sich als Chamäleon. Es saß friedlich auf meiner Hand und schaute mich mit seinen hervorquellenden Kugelaugen erstaunt an. Jedes Auge konnte in eine andere Richtung schauen. Während das rechte Auge am Himmel nach angreifenden Vögeln suchte, blickte das linke auf den Boden, um eventuelle Feinde ausfindig zu machen.
Das wunderliche Tier wechselte je nach Bedarf seine Hautfarbe. Auf dem Sand wurde es fast weiß, während es sich auf Steinen oder trockenen Ästen sitzend dunkel färbte. Die Farbtöne reichten von Grün bis Beige oder Braun. Es passte sich auf die best mögliche Art an seine Umgebung an.
Ich verspürte eine Art Seelenverwandtschaft mit diesem mysteriösen Wesen. Auch ich konnte mich innerhalb kürzester Zeit total verwandeln und in die unterschiedlichsten Rollen schlüpfen.
Früh morgens, noch bevor die sengende Äquatorsonne das Arbeiten im Garten unmöglich machte, fing ich an zu buddeln und Blumen zu pflanzen. So entstand unsere Hibiskushecke entlang des Zauns, an dem die Schwarzen mit offenem Mund die verrückte Weiße anstarrten, die abgeschnittene Zweige in die Erde steckte. So etwas war als Madame nicht üblich.
Eine weitere Beschäftigung war für mich, die dummen Mäuse per Hand zu fangen, die sich im Haus eingenistet hatten. Ich setzte sie wieder an die frische Luft und hoffte, dass sie nicht erneut im Haus auftauchten. Doch meist blieb dieser fromme Wunsch unerfüllt.
Kakerlaken und Ameisen spazierten ebenfalls bei uns rein und raus, um sich über alles Essbare her zu machen, wobei die Kakerlaken die gefräßigeren Mitbewohner waren, denn auch Papier und Kleider waren nicht vor ihnen sicher. Als ich einmal eine fette Kakerlake tot trat, wuselten aus ihrem hinteren Sack eine Unzahl winziger Minikakerlaken hervor und waren im Handumdrehen in der ganzen Küche verstreut.
Die Ameisen dagegen waren wählerischer. Sie machten sich über den Christstollen her, den meine Mutter uns frühzeitig für das Weihnachtsfest unter Palmen geschickt hatte. Ich hatte diesen kostbaren Schatz oben im Kleiderschrank versteckt gehalten, damit die Kinder nicht vorzeitig um ein Stück davon bettelten. Doch als ich ihn dann kurz vor Weihnachten aus seinem Versteck holte, war nur noch die Hälfte davon übrig. Die schlauen Ameisen hatten eine Straße durch die Decke in den Schrank gebaut und waren fleißig dabei, die süße Fracht in ihre Nester zu transportieren. Auch kamen sie in Windeseile über den Tisch gekrochen, wenn irgendwo ein Krümel herum lag, während unsere Katzen sich heimlich über vorbereitete Sandwiches hermachten und den Belag an Fisch oder Wurst abschleckten, wenn wir unvorsichtigerweise gerade mal das Wohnzimmer verließen.
Auch mussten ab und zu die Zehen der Kinder von den Sandflöhen befreit werden, die sich unter den Nägeln etabliert hatten, wenn die beiden Kleinen leichtsinnig barfuß durchs Gelände streiften.
Am Anfang unseres Aufenthaltes hatten wir noch die Fliegen aus den Gläsern mit dem Saft für die Kinder gefischt, doch schon bald verzichteten wir auf diese lästige Aktion und schluckten alle Drinks mit oder ohne lebendigem Inhalt runter.
Die Wäsche musste im Hof mit der Hand gewaschen werden. Dort befand sich eine tiefe Wanne mit Waschbrett, denn Waschmaschinen gab es damals noch nicht. Ich konnte meine Stoffbilder batiken und färben, ohne das Badezimmer mit dieser Schweinerei zu belasten. Diese Bilder verkaufte ich dann als afrikanische Kunst an die an Land gehenden Teilnehmer der Kreuzfahrtschiffe im Hafen von Libreville.
Es gab noch eine weitere sehr lästige tropische Fliege, die ihre Eier in die Baumwollwäsche legte, wenn sie draußen auf der Leine zum Trocknen hingen. Die Bekanntschaft mit diesem heimtückischen Parasit musste Evelyn machen, als unser Hausmädchen einmal vergaß, die Unterwäsche heiß genug zu bügeln, um die Eier abzutöten.
Nach ein paar Tagen hatte Evelyn plötzlich den ganzen Bauch voller roter Pickel, die stark juckten und sich entzündeten. Wir waren ratlos und fragten einen französischen Arzt um Hilfe. Er klärte uns auf: Die Mückeneier hatten sich im Kontakt mit der Haut zu kleinen Larven entwickelt, die sich tief ins Gewebe eingruben, um dort langsam heran zu reifen. Es war nicht möglich, die fiesen Eindringlinge früher los zu werden. Erst wenn ihr schwarzer Kopf sichtbar wurde, konnte die Jagd durch Ausdrücken auf sie beginnen. Unsere kleine Tochter durchlebte zehn Tage voller Qualen, bis wir sie von dem Ungeziefer befreien konnten. Und das afrikanische Hausmädchen vergaß nie mehr, die Unterwäsche genügend heiß zu bügeln.
Hin und wieder schlüpfte ich auch in die Rolle einer Krankenschwester, wenn Natalie mich bat, einen Fadenwurm aus ihrem Augenwinkel zu ziehen. Diese etwa 2-4 cm großen Filarien sind überall in Afrika weit verbreitet und zirkulieren in den Lympf-und Blutbahnen der Schwarzen, wo sie z.T. ganze Klumpen bilden und ihnen als Elefantitis große Schmerzen bereiten.
Zum Glück hatte unser Haus-und Kindermädchen nur wenige dieser Fadenwürmer im Körper, doch wenn einer von ihnen am Auge vorbei kroch, rief sie nach ihrer Madame, und dann konnte ich sie mit Hilfe einer Pinzette von dem Wurm befreien.
Mein Leben als Chamäleon verlief bunt und abwechslungsreich.
Beim Besuch von Staatsgästen wurden wir in den Palast des Präsidenten eingeladen und durften illustren Besuchern die Hand drücken. So stand ich eines Tages vor „Monsieur le Président de la République Francaise“, Valery Giscard d´Estaing. Dieser sehr schlanke, hochgewachsene Adlige mit seiner eleganten Haltung war der Schwarm aller Frauen, und auch ich war stark von seiner Persönlichkeit beeindruckt. Seine Ausstrahlung ist auch heute noch spürbar. Mit seinen 87 Jahren taucht er noch ab und zu im französischen Fernsehen auf.
Präsident Bongo von Gabun dagegen wirkte auf mich wie ein Gorilla, den man gerade vom Baum geholt und in einen Anzug gesteckt hatte. Am liebsten saß er in seinem Sessel, legte die Beine auf den Tisch und knabberte Erdnüsse, während sich seine zahlreichen Ehefrauen auf das kalte Büffet stürzten, sobald dieses durch das Bimmeln einer Glocke eröffnet wurde. Einige Frauen waren älter, andere noch sehr jung, aber alle ziemlich fett, denn das galt in den meisten dieser Länder als Schönheitsideal.
Von Bongo selbst munkelten die Franzosen, dass er als junger Mann seine Großmutter gegessen haben sollte. Ob dies nur eine erfundene Geschichte war, weiß ich nicht. Doch fest stand, dass es im dichten Urwald des Nordens zu jener Zeit noch Menschenfresser gab. Inzwischen hat die Erdöl Industrie auch dort Einzug gehalten. Der Urwald wird systematisch vernichtet, die wilden Tiere ausgerottet - im Namen des Fortschritts oder besser gesagt, um die Taschen einiger wenigen Minister zu füllen.
Zwischen meinen verschiedenen Rollen - Hausfrau, Mutter, Maulwurf, Kammerjägerin, Krankenschwester und Gesellschaftsdame und Bridgepartnerin - pendelte ich problemlos hin und her. Alles machte Spaß, es gab immer Neues zu entdecken und aus zu probieren.
Umso schwerer fiel es mir nach unserer Rückkehr in die deutsche Heimat, auf das turbulente Leben in Afrika zu verzichten. Ich wollte weiterhin Chamäleon sein und mich in unterschiedlichsten Lebensbereichen tummeln. Auf der Suche nach einer neuen Aktivität begann ich mit meiner Ausbildung zur Heilpraktikerin.
Aber damit hatte ich das Ende meiner Ehe eingeleitet. Der Drang nach der einmal erlebten Freiheit war stärker als alle Bindungen zu Familie und Vaterland. Mein Mann nannte es Selbstverwirklichung. Für mich war es nur eine konsequente Fortsetzung meiner Nomadennatur, die ich zwar spät aber nicht zu spät entdecken und verwirklichen konnte.
Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Iris Klinge).
Der Beitrag wurde von Iris Klinge auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 17.10.2013.
- Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).
Iris Klinge als Lieblingsautorin markieren
Wandlerin der Welten – Die Chroniken von Neshúm I
von Nadia Ihwas
Neshúm droht im Krieg zu versinken und von der mächtigen Hand Ekeírams ergriffen zu werden. Er will Bündnisse mit Mongulen und Zwergen schmieden, um die Völker und Wesen Néshums zu unterwerfen. Nur die Wandlerin kann die gespaltenen Völker einigen und die Bedrohung abwenden…
Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!
Vorheriger Titel Nächster Titel
Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:
Diesen Beitrag empfehlen: