Thomas Kleinrensing

Krank, kränker am tötesten

Zwischen Berlin und dem Ruhrgebiet liegen nicht nur so pulsierende Welt Metropolen wie Magdeburg, Braunschweig und  Bielefeld, sondern auch Kommunikationszentren, Bundesbahn eingedeutscht vis-a-vis Bereiche, für 4 Personen mit manchmal kaum zu überhörendem und –bietendem Unterhaltungswert. Diese öffentlichen Orte der Selbstdarstellung und verbalen Exkrementierung finden sich in allen ICE Zügen und ziehen sich nicht nur durch Deutschland, wie der rote Streifen auf den Außenflanken der an Zäpfchen gemahnenden DB Darmtorpedos, sondern auch als verbindender Exportschlager in angrenzenden EU-Staaten und auch der Schweiz. Der ein oder andere wird jetzt verschmitzt lächeln, weil er den gründlichen Eidgenossen die deutschen Verspätungen gönnt. Ob und in welcher Größenordnung es in der Schweiz die deutschen Abweichungen gibt könnte aber nur bei einem Ankauf von Insider CDs geklärt werden. Aber das soll hier keine Rolle spielen.


Doch im hier und jetzt werden im real existierenden ICE gerne die erwähnten Holztisch getrennten vis-a-vis Doppelsitze auf Schienen von Krawattenträgern in dunklen Anzügen und aufstrebenden Alter oder ganz wichtigen und gelierten Anlage- und Betriebsberatern, die immer ihre vergoldeten Tipps kostenfrei den Mitreisenden beim Telefonieren lauthals um die Ohren hauen, besetzt. Gleichwohl von emotionslosen Informatikern nebst Zentner schwerem Computer Equipment oder biologisch abbaubaren Alleinerziehenden mit selbstgestrickten Buntsocken und Vollschrotkindern auf den gegenüberliegenden Sitzen okkupiert.

Diesmal allerdings fiel ein stattliches Ü50 Quartett, weiblicher Bauart, in den Wagen und die Unterhaltungszone direkt vor mir ein. Ob Aktivistinnen von WeightWatchers, einer zwangsöffentlichen Anstalt, Werbebeauftragte des Bundesverbandes Deutscher Sprachbestatter oder die Juroren des Wettbewerbes „Unser Viertel soll schöner werden“ aus Küsenbursch bei Heikelbums anne alte Zeche ließ sich nicht final klären. Zumindest versetzte mich die Art und Weise der Aussprache und Lautstärke sowie die Thematik der Unterhaltung tief zurück in meine Kindertage in Duisburg.

Kaum sitzend, was gefühlt mindestens mit 10 Verspätungsminuten aufgrund des Verstauens von Koffern, Rücksäcken und Plastiktüten und der nicht vorab geklärten WSWO (Wer-Sitzt-Wo-Ordnung), einigen spontanen Bauchnabel trifft Nase- und Backe knutscht Wange- Spieleinlagen mit den Nachbarn am Gang, gab eine der vier Muttertiere einem brüllenden Hustenreiz nach. Diese Nasal Eruption bahnte sich ihren Weg, einer Schockwelle gleich, aus der Stimmritze sowohl viral als auch verbal gleichförmig mit rasender Geschwindigkeit durch den Wagen. Was danach sich als Gespräch unmittelbar entlud, lies mich die Detonation vergessen machen und ist dem einen und anderen als Hyperbel Phänomen bei Familien- Geburtstags- und Rentnertreffen bekannt. Erinnerungen an den Komiker Jürgen von Manger aus den 70zigern, alias A. Tegtmeier, stiegen in mir auf.  Die Bronchial Boosterin röchelte kurzatmig: „Ich hab son Husten – ächt schlimm“!

Und schon stiegen die drei anderen Damen ein. „Dat is doch noch garnix. Da hättste ma meinen Heuschnupfen mitkriegen müssen – dat bisken Husten, nee wirklich. Meiner war so schlimm, da konnte ich Tage lang nich ausse Augen gucken und ausse Nase kam so viel Zeuchs, dat ich geglaub hab ich tu auslaufen – und dat Jucken, verstehse“. erklärte die rechts vor mir Sitzende. „Sei froh dat da noch wat juckt, hähähä – Aber höma, dat ist ächt noch garnix. Mein Bruder ne, der war 8 Wochen total lahm. Der war sowat an steif – höma - weil der hatte ne Grippe die nur alle 200 Jahre ma vorkommt“, erwiderte das rotwangige Gegenüber mit Piccolo Fläschchen zwischen den rot fleischigen Fingern.

„Ich hatte ganze 2 Monate Nacken“, warf die vierte Matrone links gegenüber ein. „Dat hängt mit die Augen zusammen – hat mein Arzt gesacht. Von wegen Brille und Fielmann. Da is doch 8 Wochen Steifsein doch ma garnix wennse die ganze Zeit schräg gucken und gehen tust“. Der Bronchialturbo erhob nasal die Stimme: „Geh du ma innet Krankenhaus wegen Röntgen und so – und dann weisse nich obse dich überhaupt widder nach Haus gehen lassen, weilse nämlich Thrombose gefunden ham“!  „Thrombose? Höma, Thrombose dat is überhaupt ma garnix. Da kannse prima mit Pillen die Trombosüsten wegschlucken und mitte Strümpfe tuste stützen. Aber hab ma wie der Gert – kennt ihr ne – der Gert, der Bruder vonne dat Sabine – kennt ihr - der hat ma im fahrenden Zuch ne Gallenkolik gehabt. Der dachte abba er hätte en dicken Darmdurchbruch. Der hatte solche Schmärzen, leckomio, solche Schmärzen, der wusste nich mehr wo der aussem Zuch raus soll – der ist bis Ende mitgefahrn. – musste dann noch nachlösen. Dat is wat - höma“, kam es bestimmend wieder aus dem rechten Sitz.

„Komma – dat is zwar schlimm abba geht noch“, quetschte der Hustinettenbär hervor. „Hab du ma ne Kolik innem Flieger, so wie mein Horst. Von wegen über den Wolken muss dat Leben wunderbar sein. Höma, da kannse nich ma so einfach anne nächste Station da Oben raus. Ne, da musse schon warten. Da biste froh, dat et da Oben Düjaden gibt, damitte dat Gejammere ertragen tust, vom Horst“.  Vor mir im Sitz regte sich sofort mit leicht gereizter Stimme Widerspruch: „Jetz höma! Wenne erstma alles da drinnen raus hass, verstehse, Blinddarm, en Stück Lunge, ne Niere und die Gallenblase und jeder sacht zu dir datte gut aussehen tust, hömma, da bisse aber dann ja ma richtig krank, so innen drin im Kopp, verstehse“? Nach einer Kunstpause erhob die links am Fenster die Landschaft Erschreckende wieder ihre Stimme: „Wenne wie ich ma gerade sterben tust und glaubst datte schon tot bis abba noch allet mitkriegen tust, da is doch dat Zeuchs doch allet garnix dagegen. Speziell wennse dann widder zum Einkaufen beim Aldi komms und alle fragen obse den Sonnenbrand von Mallorka mitgebacht hass. Aber dat dat am noch immer galoppierenden Herzen und rasenden Puls im Blutdruck liegen tut – ährlich dat is ersma Horror“.

Plötzlich stand er da und riss mich aus meinem Déjà vue, der Oberkontrolleur des ICE Alice Salomon von Berlin nach Düsseldorf. Leicht nach Vorn gebeugt, in einer aufgetragenen und schlecht sitzenden Nahkampfuniform mit drei roten Streifen am Ende der Ärmel, stand er da. Mit seinem aschfahlen, eingefallenen und hornbebrilltem Gesicht verlangte er  emotionslos und krächzend die Fahrscheine, scannte und knipste wortlos und schluffte weiter, als wenn er an einem Kriegsleiden und permanenten Rektaleinsatz leiden würde. Ich weiß nicht wieso. Aber plötzlich schossen mir Bilder von Spätheimkehrern aus russischer Kriegsgefangenschaft in die Gedankenbilder, welche ich bei meinem Opa mal gesehen hatte.

Kaum hatte der dekorierte DB – Veteran den Wagen verlassen durchbrach die Hustenreizung die Stille: „Höma, der sieht abba auch nich gesund aus, ne? Ich mein - wennse sonnen Job hast – Tach für Tach imma im Zuch, schlechte Luft und imma Remmidemmi da kannse, also dat kann nich nur körperlich, nee, auch so geistich im Kopp und dann ganz schön dir auf die Organe, die Pimpanelle und Knochen schlagen“.

Ich hatte genug gehört, steckte mir Stöpsel in die Ohren und wählte im Handy Westernhagen aus:  „Ich bin wieder hier in meinem Revier  - war nie wirklich weg hab mich nur versteckt  - ich rieche den Dreck ich atme tief ein - und dann bin ich mir sicher wieder zu Hause zu sein„
Draußen zog die Landschaft und vor meinem geistigen Auge meine Kind- und Jugendzeit inne Siedlung vonne ATH vorbei. Und mag es dem ein oder anderen aus dem beschaulichen Görlitz oder Norddeich auch suspekt vorkommen, ich war dem Ü50 Geschwader dankbar und döste glücklich in Gedanken und Erinnerungen an der ziehenden Landschaft und Hannover vorbei.

Der Tom
14. Oktober 2013


 

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