Diethelm Reiner Kaminski

Was uns glücklich macht

 
Jedes Mal, wenn Göntje, Freya und Ulrike zusammensaßen und diskutierten, landeten sie unweigerlich bei ihrem Lieblingsthema „Was ist Glück?“. Sie tauschten die immer gleichen Meinungen, Vermutungen und Behauptungen aus, die sie schon Hunderte Male bestritten, bestätigt oder widerlegt hatten. Eigentlich war dem ausgelutschten Thema kein neuer Aspekt mehr abzugewinnen, und dennoch zog es sie magisch an, als ob sie das Glück, das noch keine von ihnen wirklich errungen zu haben glaubte, durch Worte herbeizaubern könnten.

„Glück ist immateriell, es kommt von innen, es hängt nicht davon ab, was du hast und wer du bist“, vertrat Freya ihre Position, der Ulrike heftig widersprach. „Dich möchte ich mal sehen ohne all die Annehmlichkeiten, die dir dein Mann als erfolgreicher Unternehmer bietet. Todunglücklich wärst du, wenn du von Hartz IV leben müsstest.“

„Woher willst du das wissen? Jeder ist seines Glückes Schmied, du hättest ja auch einen reichen Mann heiraten können. Aber abhängig bin ich ganz und gar nicht von solchen Äußerlichkeiten, auch wenn ihr mir das nicht glaubt“, grollte sie, während sie nervös mit ihrem schweren Goldreif spielte. „Ich war vor meiner Ehe glücklicher, als jetzt, weil ich weniger vom Eigentlichen abgelenkt wurde.“

„Warum streiten wir uns eigentlich?“, schaltete sich Göntje ein. „Ich kann euch verraten, was uns wirklich glücklich macht: kein Reichtum, keine Schokolade, auch nicht Yoga und Meditation, kein noch so spannendes Buch, nicht einmal eine neue Liebe, sondern …“

Die beiden anderen schauten verblüfft und riefen: „Sondern …?“

„Da soll erst mal einer drauf kommen. Das Glück liegt eben viel näher, als wir denken. Eine wissenschaftliche Studie hat das zweifelsfrei herausgefunden. Ich hab es an mir selbst ausprobiert und festgestellt: Es stimmt.“

„Was denn nun?“

„Und es kostet nicht mal was. Das bisschen Seife kann man ja nicht rechnen“, steigerte Göntje die Neugier der Freundinnen.

„Nun sag schon, oder möchtest du das Geheimnis des Glücks für dich behalten?“

„Hän-de-wa-schen“, ließ Göntje endlich die Katze aus dem Sack und betonte jede Silbe des Zaubermittels. „Händewaschen macht glücklich, seht ihr, so einfach und billig ist Glück zu haben. Man muss nur drauf kommen. Probiert es aus. Kennt ihr nicht Situationen, in denen ihr euch total unsicher und unangenehm fühltet, weil es keine Gelegenheit gab, eure verschwitzten oder schmutzigen Hände zu waschen? Welche Wohltat, die Hände dann unter einen heißen Wasserstrahl zu halten und mit duftender Seife einzuschäumen.“

„Da ist was dran“, stimmte Freya zu. „Man besinnt sich ja erst immer auf das Wesentliche, wenn man es nicht zur Verfügung hat. Es gibt aber noch eine Steigerung. Wenn ich mir selbst die Hände wasche, schön und gut, aber da fehlt mir die soziale Komponente, wie sie in der Redewendung „eine Hand wäscht die andere“ zum Ausdruck kommt. Die gemeinsame Waschung gibt uns das Gefühl, etwas für einen anderen getan zu haben, so ein tiefes Gefühl der Befriedigung.“

„So ganz überzeugt bin ich noch nicht“, warf Ulrike ein. „Was ist es denn, was angeblich beim Händewachen ein Glücksgefühl erzeugen soll? Weil es die Grippeviren vertreibt? Der angenehm warme Wasserstrahl auf unserer Haut? Die glitschige Seife, die uns an Kinderspiele im Matsch erinnert? Habt ihr denn nicht die „Feuchtgebiete“ gelesen? Wenn ich mich recht erinnere, ist es gerade der bewusste Verzicht auf Seife, der die Autorin glücklich macht.“

„Glücklich?“, warf Göntje ein, „doch wohl eher reich. Aber im Ernst, wenn schon bloßes Händewaschen glücklich macht, warum dann nicht gleich ein Vollbad mit viel Badeschaum und Duschgel? Ganz tief eintauchen ins vermeintliche Glück und nicht nur zaghaft nach einem kleinen Häppchen greifen …“

Ulrike und Freya mussten diese neue Idee erst einmal verdauen.

„Ich glaube“, sagte Göntje nach langer Pause, „zu viel Glück macht eher unglücklich. Es muss eine Ahnung bleiben, dass man zwar auf dem richtigen Weg ist, etwas, wovon wir träumen können. Deswegen nur die Hände. Ich finde solche freiwillige Bescheidung sehr weise.“

„Also Leute, ich hab den ganzen Tag im stickigen Büro gesessen, ich hab den dringenden Wunsch …“, rief Ulrike aus und erhob sich.

„… dir die Hände zu waschen?“, fragten Göntje und Freya gleichzeitig.

„Nö, früh ins Bett zu gehen und lange, lange schlafen, am liebsten das ganze Wochenende durch bis Montag früh. Mich macht es am glücklichsten, wenn zwei Tage lang kein Wecker klingelt.“


26.10.2013

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