Wir kennen sie alle, die Deutschen, die zur Arbeit früh morgens kreuchen, kaum ein „Guten Morgen“, schon gar nicht ein fröhliches, über die Lippen bringen, da die herunter hängenden Mundwinkel zu schwer geworden sind von all der Gram und all dem Gejammer.
„Morgen“ raunzt der Chef, dem Mitarbeiter ist jetzt schon schlecht und die Sekretärin springt hysterisch um den Kopierer herum und rückt die Brille gerade. Sie hat heute schon einen Einlauf bekommen, weil der Kaffee sich auf den zu unterschreibenden Unterlagen des Chefs nicht so gut machte – getrocknet auf weißem Papier sah er aus wie gelbliche Pisse von irgendeinem Getier.
Mariechens Hamster ist gestorben und den Heiner will immer noch keine. Es könnten die Bundfalten sein oder auch der allzu offensichtlich vorhandene Scheitel. Zwischen Hemd und Knopf da hängt noch das Brusthaar fest, aber er gefällt sich und beleidigt unzählige Damenaugen. Es gibt sie auch - die gut Gelaunten. Man könnte sie schon erwürgen, wenn sie schief pfeifend mit einem geträllerten „Guten Morgen, Marie-Louise“, „Guten Morgen, Manfred“ deinen Namen missbrauchen. Diese Spezies läuft auch einen Tick zu geschäftig, ist so gespielt, verspielt fröhlich. Ich werfe den Schlüsselbund auf den Tisch. Das macht sonst Rüdiger. Da regt es mich sehr auf, aber, ich muss sagen, es befreit, wenn so früh schon Aug und Ohr malträtiert. Das Wort Pause kennen die Deutschen nicht, zumindest haben sie die Bedeutung vergessen, aber wer hat schon Semantik studiert? Mit zunehmendem Alter möchte der Deutschanteil in mir sinken. Ich setze mich, freue mich, dass ein nettes Hausmütterchen artig Plätzchen für alle gebacken hat – das würde mir im Traum nicht einfallen, nicht das Backen, aber ich habe nicht diese soziale Ader – kaum zerläuft der zart-schmelzende Keks, die Glückshormone sind auf dem Weg, da kommt sie, die fleißige, die überaus emsige Kollegin, die sich heute Morgen schon überarbeitet hat und mir jedes Detail berichtet – ich habe erst um halb elf Dienst in der Bibliothek, muss ich das jetzt alles wissen und dazu in dieser Intensität? Typisch deutsch auch, nicht dass wir abschweifen, ist auch diese Wut. Alles muss jetzt und sofort. Da ist keine Zeit für Kopiererkeuchen und Kopiererkrächzen. Auch ich trete das malade neue Ding dann schon mal kräftig in die Flanke. Das Ergebnis ist ein blauer Zeh. Noch drei Minuten bis zum Meeting, schnell einen Kaffee. Ich muss mich sputen. Der Kaffeeautomat hat sich heute vorgenommen, mir den Kaffee in einem Wasserfall zu servieren. Eine Ohrfeige hat es gegeben für diese Verschwörung – mir brennt jetzt noch die Handfläche und in den Fingern spür' ich die Nerven. Ich habe den Schlüssel getroffen. Der nächste Kollege ist dem Automaten wohl sympathischer - er trägt frisch aufgebrühten Kaffee vor sich her, mit einem Lächeln im Gesicht, wie es nur Kaffeeduft erzeugen kann. Der Duft des eigenen Kaffees wohlgemerkt, gemischt mit der Vorfreude auf den ersten Schluck Lebensenergie. Am liebsten hätte ich – nein, das sag ich besser nicht. An mir zog der Duft vorbei, gerne hätte ich diese Wärme in der Magengegend gespürt und wäre frisch ins Meeting marschiert. Ich trinke meinen Schluck Tee – ich muss in den kalten Sitzungssaal und weiß jetzt schon, dass ich morgen eine Erkältung haben werde...
Ja, wir jammern und wimmern und grämen uns sehr. Schau mal nach draußen, da fließt der Rhein in den See. Da fliegen die Möwen und singen ihr Lied. Die Bäume tragen ein Brautkleid und Kinder spielen im Schnee.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 28.10.2013. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).
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