Klaus-D. Heid

Absurdistan und der Eck-Kios

Der Tag, an dem Bottelbeck seinen siebten Cognac trank, sollte in die Geschichte eingehen. Bedauerlicherweise geschah eben dies nicht, da Bottelbecks Popularität nicht ausreichte, um nennenswerten Einfluss auf die Weltgeschichte auszuüben. Mehr noch: Auch Bottelbecks achter Cognac blieb vom Rest der Welt unbemerkt, woraus Bottelbeck den Schluss zog, dass sein Cognackonsum keinerlei Medienaufmerksamkeit erreichte. Bottelbeck musste sich, nach dieser für ihn erschreckenden Wahrheit, entscheiden. Sollte er einen neunten Cognac trinken? Würde dieser neunte Cognac etwas an der Tatsache ändern, dass noch immer Kriege, Wahlstrategien, Katastrophen und Morde die Schlagzeilen der Presse- und Fernsehlandschaft bestimmten? Bottelbeck machte es sich nicht leicht. Verschiedene Rundfunksender hatten ihm mitgeteilt, dass sie an einer Live-Übertragung seines Cognac-Exzesses nicht interessiert seien. Sie hatten Bottelbeck lapidar darüber informiert, er möge sie nicht weiter mit seinen ‚persönlichen Trinkgewohnheiten’ belästigen. ‚Es gäbe Wichtigeres’, hieß es in dem Fax, das Bottelbeck erreichte.

‚Wichtigeres’?

Verstand denn niemand, worum es Bottelbeck ging? Musste erst ein Unglück geschehen, bevor die Weltöffentlichkeit registrierte, was Bottelbecks eigentliches Ansinnen war?

Der Inhalt des Glases rann langsam Bottelbecks Kehle hinunter. Es war der neunte Cognac, den Bottelbeck nun doch getrunken hatte. Dem neunten Cognac folgte ein zehnter Cognac. Bottelbeck hatte zunehmend Mühe, sich die Zahl seiner verkonsumierten Cognacs zu merken. Ungeachtet dieses Umstands war Bottelbecks Zorn über die Medienignoranz derart maßlos, dass weitere Cognacs folgten, deren schlussendliche Zahl der Leserschaft verborgen bleibt.

Am darauffolgenden Tag, nach Bottelbecks ungehemmter Cognac-Orgie, geschah das Unfassbare...

Lungarien, das kleine diktatorisch geführte Land an der Grenze zum pelemanesischen Riesenreich, erklärte dem demokratischen Absurdistan den Krieg!

Bottelbeck lag noch immer betrunken in seinem Bett, als die Welt von lungarischen Angriff erfuhr. Auf dem Nachtschrank neben seinem Bett, standen zwei völlig geleerte Flaschen Cognac. Eine dritte, ebenfalls leere Flasche, lag unter Bottelbecks rechtem Bein.

Gibt es eine Moral in dieser Geschichte?

Es gibt sie nicht. Die Geschichte ist lediglich ein untrügliches Indiz für die Nichtigkeit des Alltäglichen. Bottelbeck erholte sich irgendwann von seinem Rausch. Absurdistan unterlag im Krieg gegen Lungarien – und Pelemanesien nahm diplomatische Beziehungen zu den neunen Machthabern des Nachbarstaates auf. Alles war, wie es immer war. Jedem Montag folgte ein Dienstag. Dem Abend folgte die Nacht. Nach ‚alle meine...’ folgte auch weiterhin ‚Entchen’. Auch Bottelbecks Alkoholexzesse setzten sich fort, bis Bottelbeck schließlich seinem Alkoholismus erlag und zu Grabe getragen wurde. Nur eine kleine Anzeige im regionalen Wochenblättchen zeigte an, dass Bottelbeck nun nicht mehr unter den Lebenden weilte.

Was aber wurde aus Hans-Eberhard Eschenbacher, dem Besitzer des Kiosk ‚Eck-Kiosk’, von dem Bottelbeck seine tägliche Ration Cognac bezog? Schlummert vielleicht in Eschenbachers Leben Stoff für eine andere, ebenso überflüssige Geschichte?


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