Iris Klinge

Eierschlacht

Wie jeden Samstag  Vormittag fuhr Franziska mit ihrem nagelneuen R4 über einen Feldweg, der die Hauptstraße kreuzte, zum nahegelegenen Bauernhof, um eine Palette Eier einzukaufen. Es war Sommer, und die Felder rechts und links des Weges standen voll mit hohem Getreide, so dass sie wie in einer tiefen Kerbe zwischen den Ähren dahinglitt.

Auf dem Rückweg zu ihrer Familie passierte es. Sie kam an die Kreuzung mit der Haupt  Verkehrstrasse,  die in einer Kurve lag, schaute zuerst nach rechts, dann nach links, und als die Straße frei schien, fuhr sie langsam über die unübersichtliche Kreuzung.

Doch just in diesem Augenblick schoss ein bis zum Rand voll mit Büchern beladener Umzugswagen auf ihr Auto zu und prallte mit voller Wucht gegen den Bug. Das Auto drehte sich um seine eigene Ache, alle Eier flogen durch die Gegend und verwandelten den Innenraum in ein gelbes Meer, während der andere Wagen wie ein Panzer rechts über den Straßenrand hinaus schoss, ein Verkehrsschild umwarf und auf dem Acker zum Stillstand kam.

Franziska stieg aus, völlig verwirrt aber gottlob unversehrt. Dem anderen Fahrer war zum Glück auch nichts passiert. So standen die beiden vor dem mitten auf der Straße liegen gebliebenen R4,  fassungslos über den Hergang des Unfalls. Es war offensichtlich, die Schuld lag bei der Fahrerin des R4, der jedoch wegen der hohen Halme rechts und links des schmalen Weges die Sicht auf die Hauptstraße weitgehend verwehrt gewesen war.
Zu der Zeit gab es noch kein Mobil Telefon, und so beschloss Franziska, zuerst mal benommen nach Hause zu torkeln, um ihren Mann von diesem Desaster zu informieren. Dieser konnte den Verlust des Wagens verschmerzen, er war nur froh, dass seiner Frau nichts weiter geschehen war.

Nachdem alle Formalitäten abgewickelt wurden, bestellte ihr Mann den Abschleppdienst und ließ das Fahrzeug in eine Werkstatt transportieren, die einen Totalschaden feststellte. Für das Wrack wurde eine kleine Entschädigung an die Halterin überwiesen.

Ein halbes Jahr später klingelt bei Franziska das Telefon. Eine Frauenstimme fragt, ob sie die Vorbesitzerin eines weißen R4 sei, den sie als neuwertig gerade gekauft habe, der jedoch merkwürdig beim Fahren nach links zog. Franziska  sagt verdattert: „Ja, das stimmt, ich hatte mein Auto nach einem Unfall mit Totalschaden an eine Werkstatt abgetreten, die mir eine kleine Summe als Ersatz dafür bezahlt hat.“ Daraufhin die neue Besitzerin: „Und ich habe den Wagen als neuwertig mit wenigen Kilometern auf dem Tacho  für viel Geld von der Werkstatt abgekauft.“  -  Franziska :  „Was? Das verstehe ich nicht. Wie ist so etwas möglich?  Der ganze vordere Teil des Autos war zerstört und der Innenraum  voller Eigelb  - es war ein Totalschaden“.  – „Da liegt wohl ein Betrug vor. Wir müssen Anzeige erstatten.“

Die neue Besitzerin konnte mit Hilfe der Polizei den unrechtmäßigen Kauf rückgängig machen. Die Werkstatt bezahlte ein Bußgeld, die Eierschlacht war noch einmal glimpflich verlaufen.

Das weitere Schicksal ihres illegal zu neuem Leben erweckten R4 blieb für Franziska bis heute ein Geheimnis.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 30.10.2013. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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