Iris Klinge

Wundersame Rettung

Wer auf Google die im bitterarmen Nordosten Brasiliens gelegene Stadt am Meer, Maceió, sucht, findet ein Touristenparadies vor, das mit Traumstränden und karibischem Flair, türkisblauen Wasser und Korallenbänken wirbt.

Doch die Schattenseite dieser einst so wundervollen Stadt sind die Armenviertel, in denen inzwischen brutale Drogenkriminalität herrscht. Maceió wird heute als die gefährlichste Stadt Brasiliens und die dritt gefährlichste der ganzen Welt bezeichnet.

Als ich damals dort in einem Projekt für Straßenkinder mitarbeitete, war der Gegensatz zwischen Arm und Reich bereits alarmierend. Die gesamten Abwässer der Innenstadt flossen ungeklärt durch einen offenen Kanal direkt ins Meer. Die ganze Bucht stank und war ein Gesundheitsrisiko für die badende Bevölkerung, vor allem für die Kinder.

Wer es sich leisten konnte, zog an einen der noch unverseuchten Strände im Norden der Stadt. Dort lebten auch viele heimatlose Kinder, die sich in Horden zusammengetan hatten und tags und nachts am Strand bettelten. Eine religiöse Hilfsorganisation kümmerte sich um diese Obdachlosen und versuchte, die kleineren Kinder zu überreden, in einem ihrer verschiedenen Zentren dauerhaft zu wohnen, wo sie morgens in die Schule gehen konnten und nachmittags betreut wurden.

Eine der Sozialarbeiterinnen war Gilmara. So lernten wir uns kennen, und ein enges Band der Freundschaft entstand.

Gilmara hatte einen Traum, wie so viele der Bewohner dieses ärmsten Teils Brasiliens. Sie wollte unbedingt aus ihrem Milieu heraus und sehnte sich nach einem besseren Leben irgendwo in der Fremde.

Sie kam auf die Idee, im Internet nach einem deutschen Mann zu suchen, der sie eventuell aus ihrer Misere befreien konnte. Mit ihrer exotischen Schönheit erweckte sie schnell das Begehren vieler Kandidaten.
Schon bald ergab sich eine intensive Korrespondenz mit Roland, einem netten Deutschen, der ihr nach kurzer Zeit anbot, bei ihm in Frankfurt zu wohnen. Gilmara zeigte mir stolz das Flugticket, das er ihr geschickt hatte. Sie konnte es kaum erwarten, die Reise ins ungewisse Abenteuer anzutreten.

Nachdem sie abgereist war, hörte ich längere Zeit nichts mehr von ihr. Oft fragte ich mich, was wohl aus meiner brasilianischen Freundin geworden war.
 
Zurück in Deutschland gelang es mir, wieder mit Gilmara Kontakt aufzunehmen. Sie erzählte mir jammernd am Telefon, was ihr in der Zwischenzeit passiert war:
 
„Stell dir vor, als Roland mich am Flughafen in Frankfurt abholte, machte er mir als erstes ein Geständnis. Er war noch verheiratet, doch habe er die feste Absicht, sich so schnell wie möglich scheiden zu lassen. In der Zwischenzeit wolle er mich bei sich im Haus unter dem Dach einquartieren.

So bin ich als Gast in Rolands Familie gelandet, doch seine Frau ist ganz und gar nicht mit einer Scheidung einverstanden.    - Sie beschimpft mich unentwegt als Schlampe und macht mir das Leben zur Hölle. Ich bin mit meinen Nerven am Ende und kann die Situation nicht länger aushalten.  Bitte, bitte, hole mich hier raus!“

So kam es, dass Gilmara mit mir ein kleines Apartment in Bonn teilte. Inzwischen hatte sie schon ganz gut Deutsch gelernt und wollte sich eine Arbeit als Putzhilfe suchen.

Kurze Zeit später lernte sie einen Mann aus dem Hundsrück kennen, der zwar etliche Jahre älter war als sie, doch unbedingt eine Frau und einen Nachkommen  für seinen Bauernhof brauchte. Hans-Peter machte Gilmara schon bald einen Heiratsantrag, und meine Freundin willigte ein, froh, endlich ein neues Zuhause gefunden zu haben.

Tatsächlich wurde Gilmara ein Jahr später schwanger.  Hans-Peter war überglücklich. Mit seinen inzwischen 45 Jahren wurde er Vater eines Sohnes; endlich hatte er einen Stammhalter für seinen Hof.

Er vergötterte seine junge Frau.    - Doch da lebte auch noch Gilmaras Schwiegermutter mit auf dem Hof, die ein strenges Regiment führte und wenig Verständnis für die so andere Mentalität ihrer Schwiegertochter aufbrachte.
Immerhin konnte sich Gilmara durchsetzen, ihren Führerschein zu machen, um ab und zu aus der Einsamkeit des fern gelegenen Hofes in die nächste Kleinstadt zu entfliehen.

Der kleine Andreas wuchs zu einem wunderschönen Jungen heran. Er hatte die dunklen Augen seiner Mutter und auch ihre leicht braune Haut geerbt. Doch wie sie litt auch er unter der bäuerlichen Enge seines Elternhauses und interessierte sich mehr für seine Bücher als für die Landwirtschaft.

Die Spannungen zwischen den Eltern nahmen zu. Gilmara beschloss, zusammen mit ihrem Sohn in die Stadt zu ziehen, um endlich in Frieden leben zu können. Sie machte eine Ausbildung als Altenpflegerin und konnte schon bald den Lebensunterhalt für sich und ihren Sohn  bestreiten.

Andreas entwickelt sich zu einem hübschen, intelligenten jungen Mann. Der Kontakt zum Vater blieb erhalten, doch den Bauernhof übernehmen will er auf gar keinen Fall.

Heute macht er eine Lehre als Automechaniker, hat sich gerade mit seiner Freundin verlobt und besucht hin und wieder seinen Vater im Hundsrück, der inzwischen allein den Hof bewirtschaftet, nachdem die Mutter, der alte Drachen,  verstorben ist.

Gilmara hat ebenfalls ihren Seelenfrieden gefunden. Sie bekommt ab und zu Besuch von ihren Geschwistern aus Maceió, denen sie eine Flugreise nach Deutschland spendiert. Aber zurück in ihre alte Heimat will sie nie mehr. Sie hat sich ganz und gar auf Deutschland mit seinen vielen Vorzügen eingestellt und auch für ihren Sohn das Beste gefunden, eine gesicherte Zukunft ohne Drogen, Waffen und Kriminalität.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 04.11.2013. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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