Peter Biastoch

Hinter der Gardine

Hinter der Gardine
(in Frohburg an der B95)
 
Ein alles erstickender, rußgrauer Nebel wabert durch die Straßen. Kein freundlich heller Sonnenstrahl vermag dieses milchige Grau zu durchdringen. Selbst das Aufbrüllen der Trucks, die beim Grünwerden der Ampel von ihren Fahrern getreten werden, dringt irgendwie gedämpft zu mir ins Zimmer.
 
Die Nachrichten verbreiten, mit einer Schreckensmeldung nach der anderen, Angst und Panik. Doch die Sprecher tun so, als sei das alles normal und gar nicht so schlimm. Mir drängt sich ein Bild aus Kindertagen in den Sinn: Ein Reiter, der sich und sein Pferd an den eigenen Haaren aus einem Sumpf zieht. Ach ja, konnte er nicht sogar auf Kanonenkugeln reiten? Ja, das ist der Stoff, aus dem noch heute Helden gemacht sind…
Dann kommt Musik. Jemand singt von Fremdgehen und vermittelt dabei das Gefühl, es wäre wahre Liebe…
 
Der Blick schweift über die Szenerie auf dem Fußweg. Die Briefträgerin hetzt von einer Tür zur anderen. Jemand verteilt in Eile packenweise Werbung. Wer sonst noch unterwegs ist, strebt mit finsterem Gesicht und schnellen Schritten seinem Ziel entgegen.
 
Doch etwas zieht meinen Blick magisch an. Da sind zwei Gestalten, die nicht in dieses Bild zu passen scheinen. Sie eilen nicht. Sie gehen langsam – schlendern geradezu. Ja, auch sie steuern jede einzelne Tür an, klingeln und warten, ob sich jemand meldet. Dann drückt einer von beiden auf den nächsten Klingelknopf und sie wartet wieder.
 
Wie nebenbei reden beide mit einander, so als würde jeder Klingelknopf zu jemand gehören, der sie erwartet. Und da ist noch etwas anderes, das so irreal erscheint – sie haben ein fröhliches Gesicht, ja sie lachen sogar miteinander. Doch das ist nicht dieses aufgesetzte, gekünstelte Lachen, das mich so sehr in den heutigen Fernsehshows abstößt. Sie bewegen sich völlig ungezwungen – locker. So gelöst sprechen sie dann auch in die Klingelanlage, wenn sich anscheinend jemand gemeldet hat.
Es wird noch etwas in den Briefkasten gesteckt, einer zieht ein kleines Büchlein aus der Tasche, macht einen kurzen Eintrag, dann nehmen sie ihr anregendes Gespräch wieder auf und gehen weiter, bis zur nächsten Tür. Worüber sie sich wohl unterhalten? Ich werde es wohl nie erfahren.
 
Mich bewegt allerdings noch eine ganz andere Frage. Was haben diese Beiden, das sie so offensichtlich mit sich und der Umgebung in Frieden sind? Es muss etwas sein, das den anderen Leuten, die ich sonst noch sehen kann, anscheinend verloren gegangen ist…
Ja natürlich, ich hatte sie von Anfang an als Zeugen Jehovas erkannt. Sie gehören schließlich, seit ich denken kann, zum gewohnten Bild in unseren Straßen. Doch so konkret, wie eben, habe ich sie noch nie beobachtet.
 
Seltsam – denn irgendwie bedaure ich, dass gerade diese Beiden nicht bei mir klingeln werden, denn der Eingang des Hauses, in dem ich wohne, liegt an der Querstraße. Doch, wenn das nächste Mal jemand von ihnen auf meiner Straße unterwegs ist und meine Klingel drückt, muss ich ihn einfach einmal fragen, was das ist, das ihn so anders sein lässt…

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 06.11.2013. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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