Ernst Dr. Woll

Weihnachten in der Familie II

In den 1950/60er Jahren waren unsere beiden Jungen und Mädchen Vorschulkinder. Die Buben erhielten eine elektrische Eisenbahn und die Mädchen Puppenstuben. Zum gemeinsamen Spielen bekamen alle Vier einen Kaufmannsladen. Die „Erstgeschenke, die der Weihnachtsmann brachte“, wurden von uns sehr heimlich vorbereitet und die Kinder durften einige Tage vor dem Heiligen Abend nicht ins Kinderzimmer. Bei der späteren jährlichen Vervollständigung des Spielzeugs gab es diese „Heimlichkeit“ nur für die jeweiligen Ergänzungen zu den Grundausstattungen. Alle Jahre wieder war damals die Beschaffung eines Tannenbaumes ein kleines Drama. Ich erinnere mich, dass wir in meiner Heimat während meiner Kindheit grundsätzlich einen Baum im Wald holten. In der Stadt war das nicht möglich und außerdem fürchtete ich die hohen Strafen, die es gab, wenn man den Christbaum im Forst klaute. In der DDR gab es Jahre mit Überangebot aber auch solche mit großer Knappheit an Weihnachtsbäumen. Da ich meist dienstlich stark in Anspruch genommen war, musste die Mutter in der Regel den Baumkauf erledigen. Zwischen den sich drängenden Menschen auf den Verkaufsplätzen war es eine Kunst, ein schönes Exemplar zu erwischen. Wenn der Baum dann zu hause begutachtet wurde, gab es oft Ärger oder Spötteleien, denn wir wollten Verwandten und Bekannten immer einen gut gewachsenen Weihnachtsbaum vorführen. Die alte Tradition, dass die Kinder den Christbaum erst im Weihnachtszimmer sehen durften, wurde bei uns streng gepflegt. Sie gibt es heute überhaupt nicht mehr. Im Gegenteil: Wir empören uns in der Gegenwart darüber, dass schon im Oktober in den Geschäften der „Weihnachtsrummel“ anfängt und überall der „Kommerz“ im Vordergrund steht. Wir hatten von unseren Eltern noch viel wunderbaren Christbaumschmuck bekommen, der teilweise sogar jetzt noch in den Familien unserer erwachsenen Kinder Verwendung findet. In unserer Familie befinden sich also noch Reste von „Tannenbaumkugeln“ aus der Zeit der 1. Hälfte des vorigen Jahrhunderts. Die Mutter gab sich immer viel Mühe beim Anbringen von Lametta, das in der DDR in der Qualität sehr schlecht war und uns nie gefiel. Wir baten deshalb unsere Westverwandten um entsprechende Lieferungen, die uns auch erreichten. Das wertvolle Material wurde dann beim Abputzen des Baumes sorgfältig abgenommen und zur Wiederverwendung in kommenden Jahren aufbewahrt. Während des Krieges haben die feindlichen Bomber „Silberfäden“ aus Aluminiumlegierung abgeworfen; damit, so hörten wir, sollte der Funkverkehr der Fliegerabwehr gestört werden. Dieses Material sammelten wir Kinder und es wurde als Ersatz für das Lametta am Tannenbaum verwendet. Spielzeugeisenbahn, Puppenstuben und Kaufmannsladen standen fast bis Ostern im Kinderzimmer, mit diesen Spielsachen sollten sich die Kinder längere Zeit beschäftigen. Der Kachelofen in diesem Zimmer wurde deshalb auch täglich geheizt. So erinnere ich mich an eine Begebenheit in der Nachweihnachtszeit, die in den 1960er Jahren damals viel Aufregung brachte, über die wir aber heute schmunzeln. Die sparsame Mutter wollte z.B. auch die letzten Reste der Brennmaterialien, den Kohlendreck, der wegen der schlechten Qualität der geformten Briketts reichlich anfiel, verbrennen. Sie wickelte diesen Abrieb in Zeitungspapier und gab hin und wieder ein solches Päckchen mit in die Feuerung. Nachdem eines vormittags die Kinder zur Schule gegangen und Ruhe eingekehrt war, saßen Mutter und Oma gemütlich in der Küche beim Frühstück. Die Frauen hörten plötzlich einen fürchterlichen Knall. Sie ahnten sofort, der Kachelofen war explodiert! Durch die ungeeigneten Brennstoffe war es zur Verpuffung gekommen. Das war im wahrsten Sinne des Wortes eine schöne Bescherung nach Weihnachten. Es war unbeschreiblich, wie das Kinderzimmer aussah! Auch meine folgende Schilderung kann nur einen Abriss und nicht das ganze Ausmaß der Verschmutzung des Raumes und aller Gegenstände wiedergeben. Alles war mit einem „Russfilm“ überzogen. Gardinen, Bilder, Polstermöbel, Schränke und selbst deren Inhalt war mit Ruß verschmutzt. Allerdings sah nun die Spielzeugeisenbahn echt aus, so wie früher, als es noch die Dampflokomotiven gab. Die ganze Familie beteiligte sich an der folgenden Säuberungsaktion. Es gab damals, besonders im Winter, Schwierigkeiten, schnell Ersatz für den zerstörten Ofen zu bekommen. Wir hatten Glück, denn ein Erfurter Ofensetzer erbarmte sich unserer Misere und nach ca. 3 Wochen hatten wir einen neuen Kachelofen; mit modernen Kacheln und neuartigem Feuerungseinsatz. Bei der Entsorgung des zerstörten Ofens wirkten die Kinder begeistert mit, denn wir warfen vom Balkon unserer ersten Etage alle Teile in den Garten. Dort lud ich sie auf unseren PKW – Anhänger und brachte sie zur Müllkippe, wo dieser Abfall damals noch kostenlos abgenommen wurde. Später ärgerten wir uns, dass wir keine der teilweise unbeschädigt gebliebenen schönen nostalgischen Ofenkacheln aufgehoben haben. Der Ofensetzer war erstaunt, als es bei der ersten Inbetriebnahme der neuen Feuerung plötzlich unheimlich qualmte und der Abzug nicht funktionierte. Es stellte sich heraus, dass er das Abzugsrohr in einem Hohlraum angeschlossen hatte. Solche Überraschungen waren typisch für unsere Wohnung. Die sowjetischen Soldaten hatten in der Zeit, in der sie von 1945 bis 1956 im Haus campierten, eine Nische zwischen Zimmerwand und dahinter liegendem Schornstein zugemauert. Wir wussten nicht, dass es dort einen Raum ohne Öffnung gab, durch den nun erst noch ein Anschlussrohr zur Esse installiert werden musste. Das war eine ungeplante sehr schwierige Arbeit, weil hierfür erst eine große Öffnung in der Raumwand nötig war, die nochmals viel Schutt und Schmutz brachte. In einem unmittelbar an unseren hinteren Hausgarten grenzenden Grundstück wohnten höhere sowjetische Offiziere mit ihren Familien. Zu diesen gab es, außer einem unverbindlichen Gruß über den Gartenzaun, keinerlei persönliche Kontakte. Unsere Sprösslinge und die etwa gleichaltrigen Kinder dieser Nachbarn spielten aber hin und wieder gemeinsam in unserem Garten. Trotz unterschiedlicher Sprachen verstanden sie sich recht gut. Unsere Jungen und Mädchen wollten ihnen zu Weihnachten gern ihre Eisenbahnanlage und Puppenstuben zeigen. Die Nachbarskinder kamen mit bis zur Stubentür, waren aber ganz ängstlich und gingen nicht mit ins Zimmer. Offensichtlich hatten sie von ihren Eltern Order, keine deutschen Wohnungen zu betreten.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 10.11.2013. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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