Sie war fertig mit der Welt! Wie erstarrt saß sie auf dem Küchenstuhl. Die Lampe über dem Tisch pendelte leicht hin und her, so als habe zuvor ein Sturm in diesem Raum gewütet. Ja, es hatte tatsächlich ein Sturm gewütet, ein regelrechter Orkan. Sie hatte wenige Minuten zuvor die Wahrheit erfahren – knallhart! Sie war keines Gedankens mehr fähig, war völlig benommen. Sie wartete auf ein Gefühl des Schmerzes, doch sie schien innerlich ohne Leben zu sein. Nichts regte sich in ihr. Aus, vorbei! Zu Ende! Wie gelähmt saß sie da, hörte seine letzten Worte immer und immer wieder, wie eine Schallplatte, die man ständig neu auflegte. Doch den Sinn dieser Worte vermochte sie nicht zu begreifen.
Noch am Morgen hatte sie in den höchsten Regionen geschwebt, war voller Freude, voller Tatendrang gewesen. Sie schien stark und gewappnet für den Rest ihres Lebens. Ein scheinbar immer währendes Lächeln, angetrieben von der Sonnenenergie ihres Herzens, verlieh ihrem Aussehen eine unvergleichliche Schönheit. Alles an ihr schien zu strahlen. Ihr Haar, ihre Augen, selbst ihre Lippen, die förmlich zum Küssen einluden. Nur wenige Worte hatten diesen Glanz zum Erlöschen gebracht. Wie zu Stein erstarrt saß sie da. Der Blick leer, nur ein beängstigendes Flackern in ihren Augen als einziges Zeichen von Leben. Das Haar hing stumpf herab, die Haut war fahl und grau. Nie mehr sollte sie seine Wärme spüren, nie mehr seine Stimme hören, nie mehr seine Liebe in seinen Augen sehen. Nie mehr! Denn er hatte ihr Herz verlassen, das Geschenk ihres Glücks wieder mit-genommen. Es würde ihr nicht mehr gehören. Ihr blieb nur noch der Schmerz der klaffenden Wunde, dort, wo ein Stück ihrer Seele herausgerissen worden war...
Mindestens zwei Stunden musste sie so gesessen haben. Draußen wurde es allmählich dunkel, die Straßenlaternen waren bereits eingeschaltet. Ihre beiden Vögel, ein Nymphensittich und ein Kanarienvogel, hatten sich in ihre Käfige zurückgezogen und saßen auf ihren Stangen, warteten darauf, dass sie die Türen schloss. Wie in Trance erhob sie sich und erledigte dies. Dann wankte sie ins Bad und wusch ihr Gesicht mit eiskaltem Wasser. Eine Fremde blickte ihr aus dem Spiegel entgegen. Eine bleiche Gestalt mit großen blauen Augen, mit hässlichen, dunklen Rändern darunter. Die verlaufene Wimperntusche, einzige Schminke, die sie zu benutzen pflegte, bot einen grotesken Anblick. Eine Fratze blickte ihr entgegen, ein widerliches Gesicht!
Jetzt kam Leben in sie. Ein gewaltiger Schmerz machte sich in ihr breit, bahnte sich seinen Weg wie ein brennender Strom vom Herzen langsam hinauf bis zum Hals, drohte sie zu ersticken. Er wurde unerträglich, dieser Schmerz, und sie schrie und schrie! Der eigene Schrei klang ihr zu Ohren, als hätte nicht sie ihn ausgestoßen. Sie hatte das Gefühl, neben sich zu stehen, hätte sich am liebsten selbst in den Arm genommen, so sehr sehnte sie sich jetzt nach einem Halt. Der Schrei brach, sie hatte keine Stimme mehr, schüttelte sich in lautlosem Weinen, unterbrochen durch heftiges Schluchzen. Sie spürte sämtliche inneren Organe, denn sie schmerzten höllisch, so, als wollten sie alle gleichzeitig ihrem Leib entfliehen.
Übelkeit überkam sie, doch sie konnte sich ihrer nicht entledigen. Sie öffnete die Kühlschranktür, holte sämtliche Vorräte hervor, stopfte alles in sich hinein. Nicht nur die Wurst, den Käseaufschnitt, sämtliche Joghurts, sogar die Marmelade wurde ausgelöffelt. Endlich klappte es! Sie erreichte gerade noch rechtzeitig die Toilette und gab alles wieder von sich. Sie kotzte sich förmlich die Seele aus dem Leib. Danach ließ sie sich, angekleidet wie sie war, aufs Bett fallen – total erschöpft, ausgelaugt, innerlich tot, ohne jegliches Gefühl. Sie hielt die Augen geöffnet, starrte auf einen Punkt an der Decke. Eine winzige Spinne, die sich seit längerem in ihrer kleinen Wohnung häuslich niedergelassen hatte. Sie mochte eigentlich keine Spinnen, doch dieser hatte sie sogar zärtlich den Namen Eulalia gegeben. Sie starrte solange auf das unbewegliche Insekt, bis der Punkt immer größer wurde. Kreise zogen um ihn herum, wurden zu Spiralen, die vor ihren Augen flimmerten, und dann verschmolz alles allmählich zu einem einzigen Schwarz...
Copyright Angelika Vitanza-Lima - 2001
Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Angelika Vitanza-Lima).
Der Beitrag wurde von Angelika Vitanza-Lima auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 24.04.2003.
- Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).
Angelika Vitanza-Lima als Lieblingsautorin markieren
Neue Gedanken zum Leben und Heilen
von Dagmar Berg
Artikel über Leben, Krankheit und Gesundung
Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!
Vorheriger Titel Nächster Titel
Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:
Diesen Beitrag empfehlen: