Ernst Dr. Woll

Teures Schlüsselerlebnis

Unsere Urlaubsreise im Sommer 1963 nach Lubmin an die Ostsee begann mit vielen Problemen und Überraschungen, verlief und endete auch so. Diesen Ort und Strand gibt es heute nicht mehr, er musste dem Atomkraftwerk weichen. Reisebüro oder Gewerkschaft lehnten unsere Anträge auf einen Ferieplatz ab und wir waren auf Eigeninitiative angewiesen. Wir freuten uns deshalb, dass uns ein guter Bekannter und Fachkollege sein schönes Wochenendhaus am Ostseestrand für 14 Tage vermietete. Mit in den Urlaub fahren wollten und sollten: Meine Frau und ich, meine Mutter, unsere beiden Jungen 11 und 9 und die zwei Mädchen 7 und 5 Jahre alt. Für die Fahrt stand uns eine Skoda/Oktavia – Limousine zugelassen für 5 Personen zur Verfügung. Wie wir es schafften 3 Erwachsene und unsere 4 Kinder zuzüglich viel Gepäck in diesem Fahrzeug unterzubringen, bleibt mir bis heute ein Rätsel. Ebenso wundere ich mich, wie wir die je 400 Km lange An- und Abfahrt Erfurt – Lubmin bei sommerlichen Temperaturen ohne Klimaanlage im Auto schadlos überlebten. Wir waren eben jung, dynamisch und unternehmenslustig! Vergessen sei hier nicht ein großes Lob an die Mutter für ihre Talente beim zweckmäßigen Auswählen und Verstauen des Gepäcks sowie der sinnvollen Beschäftigung der Kinder, um während der Fahrt keine Langeweile aufkommen zu lassen; damit sie auch den Fahrer, das war ich, nicht störten. Wir fuhren im frühen Morgengrauen los, um zur Mittagshitze schon einen guten Teil der Strecke bewältigt zu haben; die pünktliche Abfahrt klappte, weil wegen der gespannten Urlaubserwartungen allen das Frühaufstehen nicht schwer fiel. Als schon alle im Auto verstaut waren kamen mir Zweifel, ob ich auch die Korridortüre richtig verschlossen hatte. Ich ging zurück, alles war in Ordnung und abergläubisch wie ich bin sagte ich: „Zurück bringt Glück!“ Das hatten wir auch beim ersten „Schreckerlebnis“: Auf der Autobahnbrücke über die Elbe auf der Strecke Leipzig – Berlin sahen wir plötzlich Absperrungen für eine Verkehrskontrolle; umkehren war nicht mehr möglich. Unsere beiden Jüngsten mussten auf den Rücksitz ihre Köpfe unter die Beine von Oma stecken, damit man nur 3 Erwachsene und 2 Kinder im Auto sah. Zum Glück gehörten wir zu den Fahrzeugen, die nur vorbei gewinkt wurden, was ich mit meinem Zurückgehen bei der Abfahrt in Verbindung brachte. Wahrscheinlich zählt aber eine abergläubisch bedingte Handlung immer nur für ein Ereignis, denn von nun an begann unsere Pechsträhne. Wir kamen bei Regen am Urlaubsort an, das war für die letzten Kilometer der Anfahrt wegen nunmehr erträglicher Temperaturen im Auto sehr angenehm; doch dass wir von den folgenden 14 Urlaubstagen nur 2 Sonnentage hatten war weniger erbauend. Wir „sonnenbadeten“ mit langen Hosen und Strickjacken, aber die Kinder störten sich nicht am trüben Wetter, sie badeten täglich im recht kühlen Ostseewasser. Zwei Tage nach Ankunft wurde ich für 5 Tage dienstlich nach Berlin beordert, denn ich hatte in meiner Dienststelle meine Urlaubsadresse hinterlassen müssen, um immer erreichbar zu sein. Ich traute mir nicht, mich zu widersetzen. Außerdem gehöre ich zu der Generation, die im Nationalsozialismus zu strenger Disziplin erzogen worden war, ich parierte also sogar 18 Jahre nach Kriegsende noch wie ein williger „Befehlsempfänger“, die auch in der DDR beliebt waren. Wegen des schlechten Wetters hatten wir einige Autoausflüge in die Umgebung unternommen, denn damit ließ sich bei Regenwetter doch noch ein erträglicher Urlaub gestalten. Nun nahm ich das Fahrzeug mit nach Berlin und für diese 5 Tage waren auch keine Ausflüge, die Abwechslung gebracht hätten, möglich. Zu Hause hätten die Kinder ihr Spielzimmer gehabt; hier im Urlaub waren wir im Bungalow auf 2 Räume angewiesen und mussten immer für „Spielbeschäftigung“ der Vier sorgen. Wir spielten in den verregneten Urlaubstagen derart viel „Mensch ärgere dich nicht“, dass unser Bedarf an diesem schönen Spiel für die nächsten Jahre gedeckt war. Wir führten dabei aber auch individuelle Spielregeln ein – z. B. „Rückwärtsrauswerfen“, „Strafrunden bei bestimmten Stellungen der Spielfiguren“ und ähnliches. Dieses brachte Abwechslung ins Spiel und hielt die Kinder bei Laune. Ein Erlebnis von diesem Urlaub wird bei Familienzusammenkünften noch gern erzählt: Wir unternahmen mehrere kleine Wanderungen mit Regenschirm und Regenkleidung durch Dünen und die kleinen Wälder in Strandnähe. Dabei stolperte unsere Jüngste und fiel in einen Ameisenhaufen. Wahrscheinlich war dies für die kleinen Tierchen, denen auch der Regen nicht gefiel, eine Abwechslung. Sie überfielen auf alle Fälle unsere Tochter derart schnell und intensiv, dass sie ausgezogen werden musste, um Körper und Kleidung von den zahlreichen Plagegeistern zu befreien. Trotzdem brachte sie noch einige Tierchen mit in den Bungalow. Ihre Geschwister meinten, sie wäre nicht nur tierlieb sondern besonders „tieranziehend“. Wir bewunderten uns selbst, dass wir bis zum Ende der verregneten Ferien ausgeharrt hatten. Ohne Erholungseffekt, aber froh, zu Hause wieder in geordnete Verhältnisse zu kommen, traten wir schließlich die Heimreise an. Wie zum Hohn war am Abreisetag wieder schöner Sonnenschein und warmes Wetter. Ein sonst üblicher „Wohlfühleffekt“ auf den wir im nicht klimatisierten Auto gern verzichtet hätten. Zur ersten größeren Rast, auf etwa halber Strecke an der Autobahnraststätte Niemegk, fragte meine Frau: „Wo ist der Schlüssel vom Wochenendhaus?“ Wir fragten uns: „Wer hat zugeschlossen und den Schlüssel wohin getan?“ Niemand erinnerte sich und es folgten gegenseitige Vorwürfe. Wir räumten das Auto aus, durchsuchten das gesamte Gepäck, aber der Schlüssel fand sich nicht! Völlig gestresste Erwachsene wagten jedoch mit vier müden Kindern keine Rückfahrt zum Urlaubsort. Also fuhren wir weiter nach Hause. Gegen Abend in Erfurt angekommen rief ich sofort in Lubmin beim Bürgermeister an. Er erbot sich, gleich den ABV (Abschnittsbevollmächtigten der Volkspolizei) am Häuschen vorbeizuschicken, um nachsehen zu lassen. Der Rückruf ergab: Alles in Ordnung, aber es fand sich kein Schlüssel an der Tür! Beim Hausbesitzer, getraute ich mir nicht anzurufen, weil ich nicht wusste, wie er als stets sehr exakter Mensch auf diesen unseren Fehler reagiert. Ich wollte auf alle Fälle alles ordnungsgemäß übergeben. Es blieb uns nichts Weiteres übrig, als sofort zurück nach Lubmin zu fahren. Unterstützend begleiteten uns die Brüder meiner Frau und wir fuhren mit unserem Skoda in der folgenden Nacht wieder an die Ostsee. Frühmorgens dort angekommen, stellten wir erneut fest, dass alles exakt verschlossen, aber tatsächlich kein Schlüssel da war. Der herbeigerufene Klempner öffnete die Türen und war gerade mit dem Einbau neuer Schlösser fertig, da geschah das für uns Unfassbare: Ein Nachbar kam, um uns den Schlüssel zu übergeben! Wir hatten diesen bei der Abfahrt am Tor stecken lassen. Uns befiel einerseits Erleichterung aber andererseits waren wir wütend auf uns, dass wir diese Variante nicht einkalkuliert hatten; uns wären die strapaziöse Fahrt und viele Kosten erspart geblieben. Heute ist das „Schlüsselerlebnis“ für uns eine humorvolle Geschichte – „Zeit heilt Wunden“.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 14.11.2013. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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