Peter Biastoch

Besichtigung des Chemnitzer Opernhauses



 
  Es war am Samstag, den 04.11.2006 und irgendwie erinnerte mich das heutige Wetter an diesen Tag. Gegen dreizehn Uhr fünfundvierzig standen wir unter dem Torbogen des Haupteinganges und warteten darauf, eingelassen zu werden. Es war ein kalter, regnerischer Tag und unter die fallenden Regentropfen mischten sich bereits, sehr vereinzelte, erste Schneeflocken, die bereits sehr schnell zu Boden fielen, weil sie bereits in einen wässrigen Zustand übergingen. So schlugen sie dann auch, mit einem für mich allerdings nicht hörbaren, Platsch auf die Betonplatten des Opernvorplatzes auf und wurden augenblicklich von der umgebenden Nässe assimiliert.
  Ziemlich genau vierzehn Uhr kam dann der Intendant der Oper und führte die fröstelnde Gruppe Theaterinteressierter, vorbei am Pförtner, durch den Personaleingang ins Haus. Dort versammelten wir uns dann erst einmal zu einer kurzen Einführungserklärung, in Vorraum des Zuschauerraumes.
Wir erfuhren dabei, dass der Theaterbetrieb während unserer Führung nicht unterbrochen würde und die Bühnenarbeiter mit ihrem straffen Arbeitsplan fortfahren müssten. Bevor wir den Rundgang begannen war die Ballettprobe, zu „Cinderella“ zu Ende gegangen und nun würde die Bühne für die Abendaufführung („FMA – Falco Meets Amadeus“) umgebaut.
  Dann ging es los. Wir betraten den Kassettenraum. Dort befanden sich große „Kassetten“, die ich wohl eher als Paletten bezeichnen würde. Es handelte sich dabei um ein Trägersystem, auf dem man alle Requisiten eines Stückes lagerte. Diese Paletten hatten eine Größe von geschätzten 6 Meter Länge und mindestens 3 Meter Höhe. Die Tiefe war anscheinend flexibel.
  Also, darauf lagerten nun die Requisiten und es war möglich die entsprechende Kassette auf Schienen in den Mittelgang dieser, bereits riesigen Halle, zu rollen. Dort befand sich dann eine Transportplattform, quer zu diesen Kassetten, die diese Palette schließlich in den Bühnenraum rollte. Auch dies geschieht auf Schienen.
  Dieses Kassettensystem hatte man irgendwann genormt, um mit den ganzen Requisiten eines Stückes auf Tournee gehen zu können. Auch mit anderen Bühnen weltweit, werden diese Requisiten ausgetauscht!
  Dann folgten wir den Schienen dieser Transportplattform in den hinteren Bühnenraum. Dort lagerten nicht nur weitere Requisiten – solche, die für diese Paletten zu groß waren. Wir sahen auch eine ganze Menge schmuckloser Aluminiumrahmen. Zu diesen erfuhren wir dann, dass dies eine Erfindung vom Chemnitzer Opernhaus war. Wenn man ein neues Stück einstudieren will, konnten diese Rahmen, die genormte Maße haben, anstelle der inzwischen erst in Auftrag gegebenen Kulissen verwendet werden. Man kann in diese Rahmen zum Beispiel Türen und Fenster einhängen, die dann genau denen entsprechen, die in der Originalkulisse vorgesehen sind.
  So ist es möglich, dass die Künstler bereits proben können, als wäre das Bühnenbild bereits vollständig vorhanden. Dadurch müssen sie nicht später noch einmal neue Schrittfolgen oder Stellplätze einüben, weil die Maße anders ausgefallen sind. Oder stell Dir einmal vor, bei den Proben hätte man eine alte Kulisse benutzt, in der die Tür nach innen geöffnet wird. Nun kommt der richtige Hintergrund, pünktlich zur Premiere und der Tenor, der singend durch diese Tür treten soll, rennt erst einmal dagegen und kommt anschließend mit blutender Nase auf die Bühne!?!
  Wir folgten also weiter den Gleisen der Transportbahn und kamen so, von hinten, auf die Bühne. Chemnitz hat eine Drehbühne und wir konnten beobachten, wie die Bühnenarbeiter gerade dabei waren, den Fußbodenbelag für die Abendvorstellung zu verlegen. Der Intendant, der diese Führung leitete, erklärte uns, dass inzwischen der Belag für die Ballettprobe entfernt worden war und nun dieser andere Belag verlegt und an den Kanten abgeklebt werden musste.
  Und genau das sahen wir auch. Dabei waren die Beläge für jede Aufführung separat auf Rollwagen gestapelt. Jede Bahn passend zugeschnitten und mit einer entsprechenden Bezeichnung versehen, so dass die Arbeiter genau wussten, wohin mit welcher Bahn. Da gab es auch eine exakte Reihenfolge, in der diese Belagrollen gestapelt waren. Man konnte sich sehr gut vorstellen, dass dieses Belagverlegen ruckzuck vonstatten gehen konnte!
Dadurch sparte man wertvolle Zeit, die dann zum Abkleben dieser Bahnen gebraucht wurde. Diejenigen, die diese Tätigkeit ausübten müssen sehr exakt arbeiten. Ich habe einen dieser Leute beobachtet, wie er gerade den Belag auf der Drehbühne abklebte. Dabei musste er die Rundung dieses Kreises genau beachten und durfte auch keine Falten im Klebeband zulassen. Stell Dir nur einmal vor, was es bedeuten würde, wenn dann während der Vorstellung, die Schauspieler über diese Belagstöße oder Klebebandfalten stolpern würden…
  Doch die Bühne besteht natürlich nicht nur aus den Brettern (die die Welt bedeuten). Nein, denn als wir unsere Augen hoben, fiel unser Blick auf ein Gewirr von Trägern, Seilen, Kabeln und Galerien, die sich bis zu einer Höhe von etwa 24 Meter erstreckten. Es führten vier Galerien, in luftiger Höhe, rund um die Bühne. Wohl gemerkt, das alles befindet sich im Hinteren Bereich, bzw. direkt über der Bühne, ist also vom Zuschauerraum aus nicht zu sehen!
Wir gingen dann weiter, eine enge Wendeltreppe hinunter und kamen damit unter die, für die Zuschauer sichtbare, Bühne. Dort konnten wir die Mechanik der Drehbühne bewundern. Es ist ja nicht nur ein einfacher Drehmechanismus, sondern in diesem befinden sich zusätzlich noch drei Hebeplattformen und einzelne Einpersonenfahrstühle.  Wie beschreibe ich das nun am besten? Stellen wir uns erst einmal vor, dass sich oben auf der Bühne ein Stück des Bodens, so breit wie der Drehkreis, nach oben bewegen lässt. Hat er dann die Höhe von vier Metern erreicht, verschließt ein weiterer Boden, der mit diesem oberen verbunden ist, das Loch in der Bühne wieder von unten. Man hat also praktisch einen Fahrstuhl in der Bühne. Mit diesem kann man etwas in luftige Höhe transportieren und gleichzeitig etwas (oder jemanden) aus dem Keller auftauchen lassen.
  Um uns ein weiteres dramaturgisches Beispiel zu nennen, beschrieb unser Führer, dass man bei einer Tannhäuser – Aufführung den Schmied, während dieser ein Schwert auf dem Amboss bearbeitete, langsam nach oben gefahren und dabei die Bühne gedreht hat. Es hat vom Zuschauerraum gesehen fantastisch ausgesehen, wie sich dieser Schmied, im wabernden Bühnennebel, mit funkensprühendem Werkzeug, förmlich nach oben geschraubt hat…
Nun gibt es in der Chemnitzer Oper aber nicht nur einen derartigen Aufzug, sondern drei Stück hintereinander! Wir sahen zum Beispiel, als wir dort unten waren, dass einer dieser Segmente mit den Requisiten von „Amadeus“ bestückt war. Es war darauf ein komplettes Zimmer eingerichtet. Mit Bildern, Wanduhr, Tür und Fenster. Vom Zuschauerraum aus gesehen, wird dieses Zimmer dann, zur entsprechenden Szene, hochgefahren und nach vorn gedreht.
  Was uns eigentlich überall auffiel, doch da unten ganz besonders, war die penible Ordnung! Das erklärte uns dann auch der Intendant, indem er darauf hinwies, dass während einer Vorstellung natürlich auch dort unten gearbeitet würde. Dazu darf man aber nicht viel Licht anmachen, weil dieses natürlich durch die Ritzen in der nach, wie vor, aus Brettern bestehenden, Bühne strahlt und im Zuschauerraum gesehen würde und von der eigentlichen Handlung ablenken würde. Also müssen diejenigen, die dort tätig sind, nahezu blind alles finden.
  Noch etwas anderes gab es dort unten zu sehen. An den Wänden waren rund herum Gitter. Dahinter hingen verschiedene Gewichte an Stahlseilen. Wie wir dazu erfuhren, handelt es sich bei den Seilen um jene, an deren anderem Ende Beleuchtungsbrücken und andere Trägersysteme, die sich, in dem 24 Meter hohen Turm über der Bühne befinden, befestigt sind. Da diese aber alle absenkbar sind, werden diese Gegengewichte gebraucht, um den Kraftaufwand beim hochziehen dieser Teile gering zu halten. Das ist leicht nachvollziehbar, wenn man sich einmal vorstellt, wie viel Kraft man braucht, um einen Beleuchtungsträger mit vielleicht zwanzig großen Scheinwerfern hoch zu ziehen.
  Übrigens kann diese Bühne auf bis zu eintausend Scheinwerfer zurückgreifen! Wie hoch der Energieverbrauch bei einer Vorstellung ist, konnte uns der Intendant allerdings nicht sagen. Sicherlich enorm!
  Wir verließen dann den Untergrund und begaben uns über die Gänge zu den Garderoben, den Schminkraum und weiteren Räumlichkeiten, wie den Ballettübungssaal, mit seinen Stangen und der riesigen Spiegelwand, nach oben zur zweiten Galerie über der Bühne. Bereits da durfte man keine ausgeprägte Höhenangst haben! Dieser Gang, entlang der Wand befindet sich in etwa 12 Metern Höhe und man kann verschiedene Trägerbrücken beobachten, wie sie abgesenkt, und bestückt werden um sich dann wieder in luftige Höhen zu schwingen. Auch entlang der Galerie waren überall Scheinwerfer angebracht.
  Diese waren aber nicht nur einfach angeschraubt, was ja eigentlich schon eine feste Verbindung wäre. Nein, alle Teile dort oben müssen noch zusätzlich durch ein Stahlseil gesichert sein! Es wäre ja auch nicht auszudenken, was geschehen könnte, wenn sich so ein Scheinwerfer lösen würde und etliche Meter in die Tiefe stürzte…
  Irgendwo zwischen dem Keller und dem Ballettsaal waren wir auch noch im Probensaal des Orchesters. Chemnitz hat einen ganz ausgezeichneten Klangkörper – die  „Robert-Schumann Philharmonie“, ein Orchester mit Weltruf! Sicherlich spielt es dabei auch eine nicht unerhebliche Rolle, dass diese Musiker auf einen Probenraum zurückgreifen können, der ausgezeichnete akustische Bedingungen bietet und so die Proben sicherlich angenehmer gestaltet. Wie wir erfuhren ist das gar nicht so selbstverständlich. Da hat es schon Meisterarchitekten gegeben, die einen imposanten Opernhausbau hingesetzt haben, aber die Akustik des Probenraumes, für die Musiker war so unter aller Kanone, dass es dort unmöglich gewesen sein muss, zu spielen! Auch das erfuhren wir vom Intendanten.
  Nun ja, mit dem Blick von der Galerie war dann auch unsere Besichtigungstour fast zu Ende. Wir betraten noch den oberen Rang des Zuschauerraumes, mit einem schönen Blick in den Orchestergraben. Dann versammelten wir uns alle im Opernkaffee, wo noch verschiedene Fragen gestellt werden konnten. Auch diese Hintergrundinformationen, über verschiedene Arbeiten, die niemand zu sehen bekommt, die aber dennoch unerlässlich sind, wie Kostümschneiderinnen, Kulissenmaler und so weiter, rundeten unser Bild noch ab. Man stelle sich nur einmal vor, dass es etwa 450 fest angestellte Leute gibt, von denen viele nie bei einer Vorstellung auftreten. Natürlich wurde auch nach den Gagen gefragt. Aber eine konkrete Zahl wurde nicht genannt, sondern vielmehr erläutert, was alles für Bedingungen an einem solchen Engagement hängen. Anschließend wurden wir wieder in dieses triste Novemberwetter entlassen…
  So waren schließlich gute zwei Stunden vergangen, in denen wir erleben konnten, was so alles dazugehört, um die 720 Zuschauer, für die maximal Plätze bereit stehen, zu unterhalten. Und es wurde uns auch bewusst, warum eine Karte für ein Stück einen nicht gerade geringen Preis haben muss.
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 21.11.2013. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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