Peter Somma

Drei Tage Verona

Luise war zweiundvierzig Jahren alt, noch unverheiratet und hatte so gar nichts von einer alten Jungfer an sich. Sie war sehr unternehmungslustig, nahm jede Gelegenheit wahr, neue Menschen kennen zu lernen, war gerne in Gesellschaft, betrieb Sport und war an Kultur interessiert.

Immer Anfang April, wenn der lange Winter endlich auch sein letztes Gefecht verloren hatte, und der Frühling all überall seine Zeichen setzte, regte sich in Luise ein geheimnisvolles Kribbeln, ein Fernweh, das sich mit dem Wunsch nach Zweisamkeit verband.

Deshalb war sie auf der Suche, nach einer Gelegenheit, die ihr einige Tage im nahen Süden ermöglichen könnte. Da kam ihr ein Prospekt gerade recht, in dem, neben einer günstigen Drei-Tages-Tour nach Verona auch noch jedem Teilnehmer ein wertvolles Geschenk versprochen wurde.

Sie war nicht so naiv, alles zu glauben, was der Prospekt versprach und wusste sehr wohl, dass es sich um eine sogenannte Verkaufstour für irgendein Produkt handelte. Aber es war ihre feste Absicht, sich zu keinem Verkauf verleiten zu lassen und nur die vorteilhafte Möglichkeit eines günstigen Ausfluges zu nutzen.

Zwar wusste sie, dass bei solchen Veranstaltungen, wegen des Alters der Teilnehmer, die Gelegenheit ein kleines Abenteuer zu erleben eher gering war, aber Luise gab die Hoffnung nie auf und sie unterschrieb die, dem Prospekt angefügte Bestellkarte für die Reise und freute sich auf eine wohlfeile Fahrt.

Als sich Frau Luise pünktlich zur festgesetzten Zeit, gemeinsam mit den anderen Teilnehmern, am vereinbarten Platz eingefunden hatte, warteten alle schon auf den Reiseleiter, der als letzter daherkeuchte, wusste er doch dass ohne ihn der Bus nicht abfahren konnte.

Eigentlich war Herr Huber Verkaufsleiter, oder wie er es nannte „Sales Manager“ einer Firma, die ihr Produkt, Heizdecken, in einem kleinen Städtchen im ehemaligen Ostdeutschland herstellen ließ und die ob ihrer Qualität im Handel kaum mehr verkauft werden konnten.

Seine Kenntnisse als Reiseleiter waren allerdings bescheiden und reichten kaum aus, seinen Gästen die Strecke, die er zumindest schon fünfzig Mal zurückgelegt hatte, zu erklären.

Bald nachdem der Bus abgefahren war, meldete sich Herr Huber bei seinen Fahrgästen, und war dabei sichtlich bemüht sich in korrekter Schriftsprache auszudrücken, denn er war es gewohnt nur Dialekt zu sprechen und hatte lange daran gearbeitet, beim Sprechen möglichst keine grammatikalischen Fehler zu machen. Dabei setzte er sein freundlichstes Lächeln, dessen er fähig war auf: „Meine Name ist Franz Huber“, stellte er sich vor „und ich bin dafür da, alle ihre Wünsche zu erfüllen, die sie gerne an mich herantragen dürfen.“

Nach einer Fahrzeit von etwa drei Stunden, es war gerade Mittagszeit, schwenkte der Bus in einen kleinen Ort ein und hielt vor einer Trattoria. Das Restaurant, das Herr Huber ausgewählt hatte, zählte zu einer Reihe von Betrieben, bei denen er regelmäßig seine Busfuhren ablud und die ihm dafür eine kleine Provision zahlten. Herr Huber hatte nur ein kleines Fixum und arbeitete im Übrigen auf Erfolgsbasis und versuchte so sein Einkommen zu verbessern. Zusätzlich hatte er sich Extraverpflegung ausbedungen, die er im Kreise des Küchenpersonals einnahm, zu dem er sich offenbar hingezogen fühlte, während die anderen Gäste im Speisesaal mit Pasta Asciutta vorlieb nehmen mußten.

Als die Reisegesellschaft in Verona angekommen war, kümmerte Herr Huber sich um die Unterbringung in einem Hotel an der Piazza Erbe und auch hier kassierte Herr Huber seine Provision. Der Komfort des Hauses war untermittelmäßig, aber dafür lag das Haus im Zentrum und ermöglichte es den Teilnehmern, die wichtigsten Sehenswürdigkeiten zu Fuß zu erreichen.

Die Zeit bis zum Abend konnten die Reisenden dann nach ihrem Belieben verbringen. Einige Reiseteilnehmer wanderten, so wie Frau Luise, durch die Veroneser Nacht, und besichtigten den Balkon der Julia, die Arena an der Piazza Bra, und nahmen in einem der Straßen-Cafes einen Drink. Das Abendessen war der italienischen Sitte gemäß erst sehr spät. Es war reichlich und schmeckte allen. Weil der Tag schon lange genug gedauert hatte, verschwanden die meisten sehr bald in ihren Zimmern.

Am nächsten Tag, schon während des Frühstücks war Herr Huber damit beschäftigt, seinen Verkaufsstand aufzustellen, denn jetzt war seine Zeit gekommen, in der er all seine Kunst aufwenden mußte, um seine Ware an den Mann zu bringen. Herr Huber beschwor eiskalte Winternächte herauf, in denen die Mitglieder seiner Reisegesellschaft in kalten Betten froren, und ließ auch sonst keinen Grund aus, der seine Zuhörer davon überzeugen konnte, dass sie unbedingt eine solche Heizdecke brauchten. Nur wenige konnten sich seinen Argumenten entziehen. Und auch Frau Luise, die so fest entschlossen gewesen war, sich nicht herumkriegen zu lassen, fiel der Überzeugungskraft der Argumente Herrn Hubers zum Opfer und unterschrieb schließlich eine Bestellung für eine Heizdecke, die sie ihrer Mutter zukommen lassen wollte.

Schließlich schritt Herr Huber an die Verteilung der Geschenke. Die Gäste konnten wählen zwischen einem Schlüsselanhänger mit dem Firmensignet oder einem kleinen Flakon eines minderwertigen Parfums. Da fiel den Busgästen die Wahl zwischen den beiden „wertvollen Geschenken“ natürlich ziemlich schwer.

Jetzt strahlte Herr Huber. Die Wirksamkeit seiner Worte hatte dazu geführt, dass fast alle Teilnehmer bei dem günstigen Angebot zugegriffen hatten.


Die Zeit nach dem Mittagessen, es war ein angenehmer, warmer Frühjahrstag, konnte die Reisegruppe dann wieder nach ihrer Wahl verbringen.

Dem warmen Nachmittag war ein lauer Aprilabend gefolgt und viele Teilnehmer nutzten dieses milde Tagesende und streunten durch die Stadt. Dabei traf Herr Huber auf Frau Luise und obwohl Herr Huber so gar nicht ihr Typ war, ließ sie sich von ihm doch irgendwo auf ein Gläschen einladen. Dem Ersten folgte bald ein Zweites und mit jedem Gläschen wurde ihr Herr Huber immer sympathischer, ja sie fand ihn jetzt direkt recht nett.

Am nächsten Morgen, fand sie sich dann, ohne dass sie gewusst hätte wie sie dort hingelangt sein könnte, im Zimmer von Herrn Huber wieder und sie vereinbarte mit ihm, sich auch zu Hause nicht mehr aus den Augen zu verlieren.

Am nächsten Tag ging es nach einem späten Frühstück noch zu einem Abstecher nach Padua, bevor der Bus auf direktem Weg nach Hause fuhr.

Spät abends erreichte die Reisegemeinschaft den Ausgangspunkt der Reise. Alle fanden, dass es ein gelungener Ausflug gewesen war. Aber Herr Huber hatte es plötzlich ziemlich eilig. Frau Luise versprach er noch, „Ich ruf dich an“ und verabschiedete sich mit einer herzlichen Umarmung und Küsschen bevor er in der Finsternis verschwand.

Natürlich hat Herr Huber Frau Luise nie angerufen. Aber einige Tage später entdeckte sie in einer verschmutzten Auslage eines kleinen Elektrohändlers dieselbe Heizdecke zum halben Preis. Sie ärgerte sich darüber dass sie wieder einmal auf einen Mann hereingefallen war, aber im folgenden Jahr buchte sie wieder eine Reise, die eigentlich eine Verkaufstour für eine überteuerte Ware war.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 25.11.2013. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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