Irene Beddies

Bastelstunden




Frau Stenzel stellte einen großen, prall gefüllten Jutesack neben die Tür zum Werkraum.
Sie schloss die Tür auf. Wir Kinder der 4b verteilten uns an die gewohnten Plätze.
Frau Stenzel holte den Sack herein und sah in die Runde.
"Erinnert ihr euch noch?", fragte sie und blickte in unsere neugierigen Gesichter.
Ratlos schauten wir Jungen und Mädchen sie an.
Marcel sagte plötzlich: "Wir haben doch auf dem Wandertag im Frühling Stöcke gesammelt! Sind die da drin?"
"Ja, sie sind gut durchgetrocknet und geeignet für das, was wir heute und in den nächsten Werkstunden daraus machen wollen."
"Was denn?", riefen Helga und Michaela durcheinander. Frau Stenzel lachte:
"Ja, das möchtet ihr wohl wissen?"
"Wir sollten doch Laubsägearbeiten machen...", erinnerte Renate energisch.
"Das kommt auch noch dran. Mir ist aber eingefallen, dass es Zeit wird, etwas für eure Eltern zu Weihnachten zu basteln. Da kamen mir die Stöcke wieder ins Gedächtnis und meine wundervolle Idee."
Unsere fragenden Blicke durchlöcherten unsere Lehrerin fast.
"Was kann man denn...", fing Klaus an, aber sie redete schon weiter:
"Wir wollen eine Weihnachtskrippe bauen, den Stall von Bethlehem, in dem das Jesuskind geboren wurde."
"Ich darf nichts basteln, was mit Jesus zu tun hat, das wissen Sie doch." Mustafa hob angriffslustig das Kinn.
"Ja, Mustafa, daran habe ich gedacht. Ihr baut alle einen Stall. Die meisten unter euch den von Weihnachten. Du und Fatima könnt ja einen ganz gewöhnlichen Schafstall basteln. Der wird sich vermutlich nicht von den anderen Ställen unterscheiden. Stall ist schließlich Stall."
Mustafa schien beruhigt. Fatima grinste. Insgeheim fand sie die Geschichten vom Jesuskind wunderschön, das hatte sie mir neulich verraten. Ich durfte es niemandem weiter sagen.
"Wie sollen wir aus Stöcken einen Stall bauen?"
"Das muss jeder selber sehen. Ich zeige euch nur, wie man die verschiedenen Hölzer zu einer Wand oder einem Dach zusammen fügen kann. Da gibt es einen Kleber, der speziell Holz zusammenhält. Es gibt  Hammer und Nägel. Eine dritte Art wäre, die Holzstücke mit dünnem Bindfaden miteinander zu verflechten."
"Das habe ich schon mal an einem Wasser gesehen, da war ein Zaun mit Drahtseilen zusammengehalten." Beate reckte stolz ihren Kopf in die Höhe und sah sich Beifall heischend um. Musste sie immer gleich angeben?
"Fein, dann kannst du uns zeigen, wie das damals aussah und worauf ihr achten müsst", sagte Frau Stenzel, "erklär das mal."
"Ich glaube, der Zaun war mit zwei Drähten geflochten, sie kreuzten sich hinter jeder Latte", erklärte Beate, "mein Papa hat es mit mir untersucht."
"So geht es vermutlich leicht. Das hast du gut erklärt."
"Aber wie...", fing Mustafa an. Unsere Lehrerin stoppte seine Frage.
"Jetzt  noch einige Tipps: am besten sägt ihr die Hölzer in eine Länge für eine Wand. Als Unterlage für den Stall habe ich euch von Herrn Krogers Klasse aus Sperrholzabfällen
Grundplatten sägen lassen. Daran könnt ihr Maß für die Wände nehmen."

"Können wir jetzt anfangen? Ich hab schon eine prima Idee", schrie Thorsten ungeduldig wie immer. Frau Stenzel nickte mit dem Kopf, ließ uns eine Bodenplatte aussuchen. Sie schloss die Werkzeugschränke auf und holte die Stöcke aus dem Sack.
"Sucht euch aus, was ihr braucht. Und denkt daran, dass wir noch mehr Stunden haben, um die Ställe zu bauen. Keiner muss hetzen und dabei pfuschen."
Claudia lachte laut, als sie den Standardsatz unserer Lehrerin hörte. Ich musste heimlich grinsen.

Eifrig sägten wir gleichmäßig lange Stäbe. Die legten wir aneinander, um zu sehen, wie viele wir für eine Wand brauchten. Wie aber sollte es weitergehen?
Claudia, die etwas ungeschickt war, griff zum Kleber. Sie wollte gerade die überall eingestrichenen Hölzchen auf dem Tisch zusammenschieben, da rief Klaus schon:
"Bist du verrückt? Mensch, die Wand kriegst du doch nie vom Tisch, die klebt gleich auf dem Tisch fest!"
Frau Stenzel eilte zu Hilfe. "Claudia, denk doch nach! Kind, du kannst doch nicht die Hölzchen ringsum mit Leim bestreichen. Nur an den Seiten, an denen sie zusammenhalten sollen. Eigentlich müsstest du wissen, dass man Papier unterlegt, damit die Tische einigermaßen sauber bleiben."
Claudia wischte mit einem Papierhandtuch, das sie vom Bord neben dem Waschbecken nahm, die Hölzer und den Tisch ab. Zum Glück war der Leim nicht so schnell getrocknet.

Marcel versuchte es mit Hammer und Nägeln, scheiterte aber kläglich, weil die Ästchen nicht gleichmäßig aneinander passten. Da kam er auf die Idee, ein Holzstück als Querbalken auf die Reihe der Wandstücke zu nageln. Da die Wand immer noch wackelig war, nahm er  einen zweiten Querbalken. Als wir sahen, wie gut das funtionierte, machten es ihm einige nach.
Nur Beate und ich probierten die Konstruktion mit dem Bindfaden. Nach mehreren Versuchen kamen wir auf den Trick: wir mussten oben und unten gleichzeitig die Fäden zwischen die Stöckchen fädeln, dann ging es ganz schnell. Claudia, die immer noch mit dem Kleber nicht zurande kam, machte es uns schließlich nach.
So stellten wir in den ersten zwei Werkstunden die drei Wände her.
In den nächsten Werkstunden kamen die Dächer dran. Wir suchten nach geeignetem Material. Einige von uns batselten die Dächer auf die gleiche Weise wie die Wände. In einem der Materialschränke fanden wir Strohalme. Auf ein Stück Pappe geklebt, waren sie perfekt. Wir verbanden die Wände miteinander, befestigten die Dächer. Die Ställe sahen jetz richtig echt aus.

Es wurde langsam Zeit, es war nur eine Woche bis zu den Weihnachtsferien übrig. Frau Stenzel opferte noch eine Deutschstunde. Aus weißen Pfeifenreinigern bogen wir Schafe und aus schwarzen Hunde.
"Und Maria und Josef? Wie sollen wir die machen?", wollte Jasmin wissen.
"Da müsst ihr euch selber bemühen zu Hause. Vielleicht könnt ihr sie malen und ausschneiden, aus Zahnstochern basteln und mit Stoff bekleben. Manche haben sicher  Knete im Haus."
"Ich weiß was besseres", frohlockte Mustafa, "ihr könnt Figuren von Playmobil nehmen. Ich mache Hirten draus."
"Gute Idee", meinte Marcel, "ich beklebe meine mit Stoff, ich spiele ja schon längst nicht mehr mit den ollen Dingern."
"Au ja, das versuche ich gleich heute", meldete sich die sonst so schüchterne Regina. "Ich bringe sie dann morgen mit."


(c) I. Beddies



.





























































 

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Irene Beddies).
Der Beitrag wurde von Irene Beddies auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 28.11.2013. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Die Autorin:

Bild von Irene Beddies

  Irene Beddies als Lieblingsautorin markieren

Buch von Irene Beddies:

cover

In Krollebolles Reich: Märchen von Irene Beddies



Irene Beddies hat in diesem Band ihre Märchen für Jugendliche und Erwachsene zusammengestellt.
Vom Drachen Alka lesen wir, von Feen, Prinzen und Prinzessinnen, von kleinen Wesen, aber auch von Dummlingen und ganz gewöhnlichen Menschen, denen ein wunderlicher Umstand zustößt.
In fernen Ländern begegnen dem Leser Paschas und Maharadschas. Ein Rabe wird sogar zum Rockstar.
Auch der Weihnachtsmann darf in dieser Gesellschaft nicht fehlen.

Mit einer Portion Ironie, aber auch mit Mitgefühl für die Unglücklichen, Verzauberten wird erzählt.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (3)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Leben mit Kindern" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Irene Beddies

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Wie die Freundschaft begann von Irene Beddies (Weihnachten)
Jenny möchte helfen von Karin Ernst (Leben mit Kindern)
AUS UND VORBEI von Christa Astl (Wie das Leben so spielt)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen