Jan van Oosterbeek

Hänsel und Gretel heutzutage

Als Hänsel und Gretel wieder nach Hause zurück gekommen waren, da war das Märchen zu Ende, und sie lebten glücklich und zufrieden bis ans Ende ihren Tage. So jedenfalls behauptet das Märchen.
Tatsächlich waren sie aber beide ziemlich mitgenommen von ihren Erlebnissen: Zuerst die Not bei den Eltern. Dann Furcht und Hunger und Verlassenheit im tiefen Wald . Schließlich kam die umso tiefere Enttäuschung, als sie merkten, dass die liebe alte Frau, die ihnen begegnete und sie in ihr Haus eingeladen hatte eine Hexe war, die ihnen nach dem Leben trachtete.
Aber hatten sie nicht mit List die Hexe überwunden? Waren sie sich dabei nicht ihrer gemeinsamen Stärke bewusst geworden? Für sie war es kein Märchen, dass sie wieder nach Hause gelangten. Ihr Zusammenhalt hatte sie stark gemacht.
Aber jetzt hatte sie der Alltag wieder. Der Alltag mit allen seinen Pflichten in Haus und Schule. Und der Hunger war auch wieder da; denn es gab noch keine Bild Zeitung und keine gut bezahlten exklusiv Interviews und kein Fernsehen. Bei der Hexe hatte Gretel zwar schuften müssen, aber es gab immerhin satt zu essen. Ja und Hänsel war nicht ohne Grund gemästet worden. Die Hexe hatte ihn ja schlachten wollen. Dies alles war nun vorbei –im Bösen wie im Guten. Dazu kam jetzt wieder das Gelaber ihrer Mutter. Vater sagte ja wie immer nicht viel. Aber Mutter hörte gar nicht mehr auf damit, sich rein zu Waschen und ihre Sorge um die Kinder zu betonen. Sie hätte doch nur ihr Bestes gewollt, als sie die Kinder im Wald zurück liess. Und je mehr sie davon redetet, umso mehr glaubte sie selbst daran.
Den Kindern ging es umgekehrt: Je mehr die Mutter davon redete, desto mehr wurde ihnen klar, das es kein Versehen der Eltern gewesen war, was sie so in Gefahr gebracht hatte.
Dazu kam, dass sie in der Schule als Hexenkinder gehänselt wurden; denn natürlich hatte sich ihr Abenteuer herumgesprochen, als sie so plötzlich wieder zurück waren.
So waren sie also zu Hause und dennoch ausgestoßen; denn die anderen Kinder wollten nichts zu tun haben mit Hexenkindern. Oder die anderen Eltern sagten:“Bleibt bloß von den Hexenkindern fern.“ Kein Wunder, dass es dann hieß: „Mit euch dürfen wir nicht spielen, ihr seid doch Hexenkinder. Und so waren sie zwar zu Hause aber doch wie Fremde in ihrer alten Umgebung.
Diese Last fiel erst von Ihnen, als durch einen für sie glücklichen Zufall ihr Dorf einem Hochwasser zum Opfer fiel, so das alle Leute auf andere Dörfer verteilt werden mussten. Hier fanden sie nun bald wieder Anschluss . Keiner hänselte sie mehr und etwas mehr zu essen gab es auch als bisher zu Hause, weil sie jetzt in einer nicht so armen Gegend lebten wie zuvor. Außerdem war Vater jetzt weit entfernt, weil er dort Arbeit gefunden hatte. Nur Mutter war nach wie vor unzufrieden und grollte der fremden Umgebung und dem Vater, der weit weg war.
Aber das störte Hänsel und Gretel nicht mehr. Sie hatten sich nicht nur daran gewöhnt, Mutter jammern zu hören sondern sie fanden auch nach der Schule jeder eine Lehrstelle in der nahen Stadt, wo sie dann bald auch wohnten. So fiel es ihnen gar nicht schwer, auch ohne Eltern ein fröhliches Leben zu führen, hatten sie doch zu sich gegenseitig ein so großes Vertrauen gewonnen, dass sie sich zutrauten , alles zu erreichen was ihnen gegeben war. Und da sie ganz vernünftige Wünsche hatten, lebten Sie glücklich bis ans Ende Ihrer Tage. Und niemand sagte mehr von ihnen:“ das sind die Hexenkinder“.

© Jan van Oosterbeek – 2/2012

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Jan van Oosterbeek).
Der Beitrag wurde von Jan van Oosterbeek auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 02.12.2013. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Der Autor:

  Jan van Oosterbeek als Lieblingsautor markieren

Buch von Jan van Oosterbeek:

cover

Du brauchst nicht Tischler lernen um ne Yacht zu bauen von Jan van Oosterbeek



Der authentische Bericht über den erfolgreich abgeschlossenen Bau einer Ferrocement Yacht von Laienhand.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (1)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Sonstige" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Jan van Oosterbeek

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Die Befehlsmütze von Jan van Oosterbeek (Einfach so zum Lesen und Nachdenken)
Pilgerweg...letzte Episode von Rüdiger Nazar (Sonstige)
Meine Bergmannsjahre (zweiter Teil) von Karl-Heinz Fricke (Autobiografisches)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen