Manfred Bieschke-Behm

Der Weihnachtsbaum vom Weihnachtsmann



Der Weihnachtsmann gönnt sich in der hektischen Weihnachtszeit gerne eine Pause. Dafür setzt er sich in seinen giftgrünen Ohrensessel. Genüsslich zurückgelehnt legt er seine ausgestreckten Füße, die in schweren pelzbesetzten Stiefeln stecken, auf ein großes gelbes und zusätzlich mit einer weißen Schleife geschmücktes Paket ab. In dieser Haltung liest er, den nicht enden wollenden Wunschzettel der vielen Menschenkinder, die ihm auch in diesem Jahr geschrieben haben. Ab und zu blickt er zu seinem Fenster, vor dessen Scheiben leise der Schnee rieselt. Die Schneeflocken tanzen um die Wette und jede freut sich, wenn sie um sich selbst kreisend der Erde entgegen fällt. Eiszapfen, die sich in unterschiedlicher Länge am Fensterrahmen gebildet haben, glitzern um die Wette. Jeder will der Schönste sein. Die Zapfen leuchten silbrig glänzend und vervollständigen durch ihr Erscheinungsbild das Bild vom klirrend kalten Winter.
In den letzten Tagen hat es viel geschneit. Riesige Schneeberge haben die Landschaft in eine zuckerweiße Landschaft verwandelt. Fast alle Häuser sind im Schnee versunken. Gäbe es nicht die Dächer und Schornsteine, die zum Teil noch zu sehen sind, würde man glauben können, dass es hier kein Dorf gibt. Der Rauch, der aus den Schornsteinen kerzengerade emporsteigt, erinnert an kleine Vulkane und lässt die Landschaft noch unwirklicher erscheinen.
Am Himmel blitzen und glänzen Sterne. Sie funkeln nicht wie sonst in einem sternengelb, sondern zurzeit in einem strahlenden Winterweiß.
Das Fenster vom Weihnachtsmannzimmer wird eingerahmt von einem schweren, fast dunkelroten Samtvorhang. Auf dem Vorhang sind in unterschiedlicher Größe mit lustigen Gesichtern versehende gelbe Sterne aufgestickt. Der sternenbesetze Samtvorhang lässt glauben, dass sich hier der Eingang zum Paradies befindet.
 
Natürlich hat der Weihnachtsmann einen Weihnachtsbaum. Ein Weihnachtszimmer ohne Weihnachtsbaum wäre für den Weihnachtsmann undenkbar. Seinen Baum haben Engel und Heinzelmännchen geschmückt. Sie waren bei der Auswahl und Anzahl des Weihnachtsbaumschmuckes nicht bescheiden. Der Baum ist über und über behangen mit allerlei glitzernden und funkelnden Kugeln, Glocken, Figuren und Sternen. Geschickt haben die Helfer zwischen den Schmuck weiße Kerzen angebracht. Die, wenn sie brennen, dem ganzen Weihnachtszauber noch mehr Glanz verleiht.
Der Weihnachtsmann ist dabei weiter Wunsch für Wunsch auf seiner langen Liste zu lesen. Obwohl er schon viel gelesen hat, muss er feststellen, dass er noch lange nicht am Ende der Wunschliste angelangt ist. Der Weihnachtsmann liest kleine und große Wünsche und solche, die ihn schmunzeln lassen solche die ihn nachdenklich machen. Zum Beispiel wünscht sich Klara ganz bescheiden ein neues Kleid für ihre Puppe. Sie ist der Meinung, dass das alte Kleid nicht mehr schön aussieht und weder der Puppe noch ihr gefällt.
Klaus-Dieter wünscht sich, einmal um die ganze Welt zu reisen. Er möchte alle Länder dieser Erde sehen und dabei viele Freundschaften schließen. Ihm ist es egal welche Sprache die Menschen sprechen und welche Hautfarbe sie haben. Ihm ist nur wichtig viele Menschen kennenzulernen, von ihrer Heimat zu erfahren und zu erfahren, womit die Kinder dieser Welt spielen und so weiter.
Weil Juttas Wunsch doch etwas aus dem Rahmen fällt, kann sich der Weihnachtsmann das Lachen nicht verkneifen. Jutta schreibt dem Weihnachtsmann, dass sie einmal in der Woche reiten geht. Weil das Pferd so groß ist, hat sie beim Aufsitzen stets Mühe. Und deshalb wünscht sie sich ein Pferd mit einer eingebauten Trittleiter. Jutta stellt sich vor, dass, immer, wenn sie sich auf den Rücken des Pferdes setzten, möchte, sie am Schwanz des Pferdes zieht, was zur Folge hätte, dass die eingebaute Trittleiter herausfährt und sie anschließend mühelos aufsitzen kann. Jutta findet ihre Idee ideal und ist der Meinung, dass der Weihnachtsmann ihr diesen Wunsch durchaus erfüllen könnte.
Thorsten wünscht sich eine „neue“ Schwester. Eine die nicht so plärrt, wie seine kleine vorhandene Schwester, die ihn täglich nervt.
Und Renate hofft auf ein Brüderchen, das immer und ewig lieb zu ihr ist, und sie nicht, wie ihr großer Bruder ständig „blöde Kuh" nennt.
Gerne würde der Weihnachtsmann alle Kinderwünsche erfüllen. Aber das geht nicht. Nicht zuletzt aus zeitlichen Gründen. Deshalb hat er eine bestimmte Anzahl von Wünschen ausgewählt und sich vorgenommen diese noch bis zum Heiligen Abend zu erfüllen.
Damit der Weihnachtsmann in der unruhigen Vorweihnachtszeit nicht durcheinander kommt, hat er sich für dieses Jahr etwas Besonderes einfallen lassen. Er hat sich mithilfe der Weihnachtsengel einen Adventskalender gebastelt. Einen Kalender mit vierundzwanzig Fenstern. Auf jedem der geschlossenen Fenster ist eine Zahl aufgeschrieben. Die Zahlen fangen bei eins an und enden bei vierundzwanzig. Hinter jedem der Fenster befinden sich ein Symbol und ein Weihnachtswunsch.
Alle vierundzwanzig Wünsche, die im Weihnachtskalender versteckt sind, so hat es sich der Weihnachtsmann vorgenommen, will er bis zum Heilgen Abend erfüllen. Die Fenster eins bis achtzehn hat er bereits geöffnet. Die sich darin versteckte Wünsche hat er erfüllt.
Heute ist es nun an der Zeit, das Fenster mit der Nummer neunzehn zu öffnen. Was der Weihnachtsmann dort vorfindet, ist ein kleiner Holzweihnachtsbaum. Neben dem Baum liegt ein Brief an den Weihnachtsmann. Der Weihnachtsmann nimmt den Brief aus dem Fenster und fängt an ihn zu lesen: Lieber Weihnachtsmann" liest er. "Ich wünsche mir von Dir, dass du meiner alten Tante einen geschmückten Weihnachtsbaum bringst". Weiter liest er, "meine Tante wohnt in einer anderen Stadt als ich. Sie lebt in ihrer Stadt ganz allein und fühlt sich oft recht einsam. Ich bin nicht in der Lage zu meiner Tante zu fahren. Würde es gehen, würde ich ihr meinen geschmückten Baum schenken. Als ich meine Tante im letzten Jahr zu Weihnachten besuchte, klagte sie mir ihr Leid. Ich sah, dass auf ihrem Tisch nur ein Tannenzweig lag und daneben eine fast heruntergebrannte Kerze brannte. Sie hat mir, mit Tränen in den Augen erzählt, dass sie sich, wie bereits in den Jahren zuvor keinen Weihnachtsbaum leisten kann. Sie sagte mir, mit Tränen in den Augen, dass Weihnachten auch wehtun kann". Der Briefschreiber endet seinen Brief mit einem Vorschlag. Er würde gerne auf seinen Weihnachtsbaum verzichten, wenn er, der Weihnachtsmann, es möglich machen könnte, seinen Baum der Tante zu bringen. Der Briefschreiber wünscht sich nichts sehnlicher, als seiner Tante mit seinem Weihnachtbaum Licht und Glanz zu verschaffen.
Der Weihnachtsmann nimmt seine Brille von seiner knubbeldunklroten Nase und faltete den Brief sorgfältig zusammen. Dieser Wunsch gefällt ihm besonders. Der Briefschreiber verzichtet auf seinen geliebten Weihnachtsbaum, um seiner Tante, mit seinem Baum, eine Freude zu machen. Dieser Wunsch kostet mir nichts, denkt der Weihnachtsmann denn dieses Geschenk wird durch Verzicht ermöglicht. Schnell wird dem Weihnachtsmann klar, dass er diesen Wunsch ganz bestimmt und gerne erfüllen wird. Allerdings anders, als der Briefschreiber es sich dachte.
Selbstverständlich kann der Wunschbriefschreiber, aus dem Kalenderfenster mit der Nummer neunzehn, seinen Weihnachtsbaum behalten. Der Weihnachtsmann hat beschlossen, der Tante seinen eigenen geschmückten Weihnachtsbaum zu bringen. Gleichzeitig gibt er das Versprechen, das die Tante bis ans Ende ihrer Tage das Weihnachtsfest nie mehr ohne Weihnachtsbaum verbringen muss. Weihnachten ist ein Fest für alle. Keiner darf sich ausgeschlossen fühlen, denkt der Weihnachtsmann und macht es sich in seinem giftgrünen Ohrensessel gemütlich.
Leider ist es mit dem Ausruhen schnell vorbei, denn von Ferne hört er das Nahen der Rentiere die den glockenbestückten Schlitten hinter sich herziehen. Er weiß ohnehin, dass jetzt keine Zeit ist, sich lange auszuruhen. Vielmehr muss er die noch verbleibende Zeit nutzen, Geschenke zu verteilen. Also macht der Weihnachtsmann sich auf den Weg. Sein erstes Ziel heute ist die Tante. Ihr wird er im Namen ihres Neffen seinen Weihnachtsbaum schenken und ihr zurufen „Fröhliche Weihnachten.“
 
 
Fröhliche Weihnacht überall
 
Fröhliche Weihnacht überall
tönet durch die Lüfte froher Schall.
Weihnachtston, Weihnachtsbaum,
Weihnachtsduft in jedem Raum.
 
Fröhliche Weihnachten überall,
tönet durch die Lüfte froher Schall.
Darum alle
stimmet in den Jubelton,
denn es kommt das Licht der Welt
von des Vaters Thron.
 
Fröhliche Weihnacht überall,
tönet durch die Lüfte froher Schall.
Licht auf dunklem Wege,
unser Licht bist du
denn du führst, die dir vertrau ‘n
ein zur sel´gen Ruh.
 
Fröhliche Weihnacht überall,
tönet durch die Lüfte froher Schall.
Was wir ander´n taten,
sei getan für dich,
dass bekennen jeder muss,
Christkind kam für mich.
 

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