Simon Knopf

Ankunft im nächtlichen Mumbai 96, Wechselbetrüger und ....

Ankunft im nächtlichen Mumbai
(Freundin, Rotlichtbezirk, Gutes und Übles mit dem Taxifahrer, Geldwechselbetrüger und die nächtlichen Straßen bei Fahrverbot)

Wir kamen nach 23 Uhr an einem Bahnhof in Mumbai an. Die Fahrt von Goa hierher hatte uns ziemlich erschöpft. Für europäische Verhältnisse bedeutet eine Zugfahrt von ca. 400 KM keine große Strapaze. In Indien brauchte man für so eine Entfernung schon mal 20 Stunden oder auch mehr. Auch wenn der Zug nicht viel schneller fuhr als einer der Busse, versprach eine Zugfahrt doch etwas mehr Komfort. Wenn der Zug nicht überfüllt war, konnte man Nachts die Rückenlehne, an die sich idealerweise die 3 Leute lehnten, die auf der unteren Bank saßen, einfach hochklappen. So hatte man dann 3 Betten übereinander; passend für die 3 Leute für die die Sitzbank ausgelegt war (meistens waren die Züge natürlich arg überfüllt). Über der Rückenlehne, die das mittlere Bett ausmachte, war noch die gepolsterte Gepäckablage. Wenn man die Koffer des Abteils auf den Boden stellte, hatte man dann 3 bequeme Lager auf jeder Seite des Abteils. Das war in der Regel nicht nur wesentlich besser als die Standartbusse auf den schlechten Standartstrassen; ein solches Bettsystem habe ich mir auch oft für unsere Züge gewünscht. Speziell für groß gewachsene waren die einfachen Busse sehr eng, da sie offensichtlich für die kleinen Durschnittsinder gebaut waren. Ich bin 174 cm groß und meine Knie scheuerten in diesen Bussen die ganze Zeit an den Brettern der vorderen Bank; selbst wenn ich mit der Hüfte ganz nach hinten gerutscht war. Natürlich hatte ich auch noch andere Busfahrten in Indien erlebt. Die Luxusbusse mit Einzelsitzen und zurücklehnbaren Lehnen waren den europäischen recht ähnlich. Das war schon sehr viel wert, veränderte aber meist nichts an der Fahrgeschwindigkeit und natürlich auch nichts an den Strassenverhältnissen. Ich erinnere mich aber auch an eine Fahrt im Himalaya, bei der ich mit anderen wegen mangelndem Platz auf das Gepäckdach geklettert war. Bei dieser Fahrt über die Serpentinen musste man sich bei zunehmender Höhe und stärkeren Baumbewuchs immer wieder hinter Koffern vor den niedrig hängenden Ästen schützen. Als das anfing, fragte ich mich, ob es nicht doch besser gewesen wäre mir einen Platz im Bus bei meiner Freundin zu ergattern; aber nein ich wollte ja hier hoch. Ich entspannte mich aber wieder, als ich bemerkte, dass der Kontrolleur doch tatsächlich während der Fahrt hoch auf das Dach geklettert kam, um auch hier oben den normalen Fahrpreis abzukassieren. Fast ohne zu schauen wusste der Mann, wann er den Kopf hinter einem Koffer verstecken musste, und wann er abkassieren konnte. Anscheinend kannte er nicht nur die Kurven der Strecke, sondern auch die Bäume sehr genau. Andere hätten sich vermutlich darüber geärgert den ganzen Preis zahlen zu müssen, ich hätte ihm auch noch mehr gegeben. Nicht nur, dass sein Auftritt mich entspannte, er bot mir auch ein herrliches Schauspiel.
Zuück nach Mumbai: wir wussten nicht, dass in der Stadt aus ökologischen Gründen nach 23 Uhr nur noch Taxis fahren durften – wegen des Smogs, sagte man uns. Das hatte aber auch den Effekt, dass ganze Stadtteile von auf den warmen Straßen liegenden und schlafenden Menschen bevölkert waren. Manchmal dicht an dicht. Ich überlegte, ob nicht der benötigte Schlafplatz, der tatsächliche Grund für das nächtliche Fahrverbot war. Als ich beim herum laufen immer über Leute steigen musste, sah ich dabei überall riesige Ratten (ohne Schwanz so groß wie unsere größeren Katzen, nur fetter), die völlig frei von Menschenscheu direkt neben den schlafenden Leuten nach fressen suchten. Den wachen Leuten schien das aber genauso wenig auszumachen, wie den Ratten. Wozu sich auch über etwas aufregen, dass man eh nicht ändern konnte. Wenn den Einheimischen bei ihren Unterhaltungen eine der ebenfalls allgegenwärtigen großen Kakerlaken (3-5cm) übers Knie krabbelte, wurde sie einfach weggeschnickt, ohne dabei auch nur die Unterhaltung zu unterbrechen. Es schien eindeutig, dass die europäische Furcht und Abscheu vor gewissen Tieren, nicht überall geteilt wurde.
Ab und zu sah man Leute, die mit langen Stöcken und schweren Beuteln unterwegs waren. Sie zogen allnächtlich aus, um den Ratten mit nur einem geschickten Schlag die Wirbelsäule oder das Genick brechen. Dann wurden sie sofort in die Beutel gesteckt. Die meisten waren wirklich sofort Tod – humaner als unser Rattengift, nach dessen Verzehr die Ratten u.U. einen stundenlangen Todeskampf erleiden mussten. Ich war mir nicht sicher, ob die Leute das taten, weil sie etwa von der Stadt Geld dafür bekamen, oder um die Tiere evt. irgendwie zu verwerten (das Fell konnte genauso gebraucht werden, wie das Fleisch). Sicher war, das nicht alle Inder Vegetarier sind. Besonders die niederen Kasten, sowie Christen und Muslime aßen durchaus manchmal Fleisch. Aber natürlich konnte man das auch bei vermeintlichen Brahmanen beobachten, die kaum dass sie im Flugzeug nach Europa saßen, sich den tierischen Nahrungsmitteln zuwandten. Warum auch nicht. Nur, dass in Indien selbst, das Fleischessen noch recht verpönt war, so dass sich gerade die wohlhabenderen und höheren Kasten, die stärker meinten auf Ihren Ruf achten zu müssen, das nicht in der Öffentlichkeit tun würden.
(Dabei fällt mir ein, dass man ca. 2002 in Berlin für eine tote Rate 1 € bekam, wenn man sie an einer bestimmten Stelle abgab. Damals sprach man von einem enormen Rattenproblem um den Alex herum. Nachdem aber einige Obdachlose mit stinkenden Rattenkadavern in Plastiktüten mit der überfüllten U - Bahn zur Abgabestelle fuhren, und sich nicht nur Touristen fürchterlich aufregten, stoppte man das Projekt wieder. Plötzlich war das Rattenproblem auch aus den Medien verschwunden).
.Aber zurück nach Mumbai. Das einzige, was um die Urzeit fahren durfte, waren Taxis. Wir hatten dummerweise aber keine Ruppies mehr, und natürlich waren die Banken zu. Ein Taxifahrer sagte er wüsste, wo wir etwas wechseln könnten, und fuhr uns in ein Rotlichtbezirk. Wobei „Rotlicht“ nur im Übertragenen Sinne zutraf, denn es war doch eher dunkel. Aus manchen Fenstern hingen 2 Paar Füße raus. Offensichtlich waren die Vollzugskammern sehr klein.
Wir hatten ein mulmiges Gefühl als immer mehr Frauen ankamen und z.B. meine Begleiterin fragten, ob sie mit mir Sex hätte und ob wir verheiratet seien. Die Frauen schienen sich Ihre Vermutungen bestätigen zu wollen.
Glücklicherweise waren unsere Ängste zunächst unbegründet. Aber es war schon sehr doof, und gefährlich, um ca. 1.00 h Nachts sozusagen mit Devisen in der Hand in einer verruchten Gegend herumzustehen. Die Leute waren aber lediglich neugierig und ansonsten freundlich. Auch als niemand wechseln konnte, schien niemand auch nur daran zu denken uns das Geld abzunehmen. Wir vereinbarten mit dem Fahrer, er solle uns in ein billiges Hotel bringen und morgen früh würden wir zusammen zur Bank gehen. Also alles easy.
Am nächsten Tag, als der Mann kam, führte er mich zu einem alten Mann auf der Straße, der mir eine in Hindi geschriebene Tabelle in der Zeitung entgegen hielt. Die Tabelle wollte er mir als abenteuerliche Wechselkurse verkaufen. Da die Tabelle nur 4 Zeilen hatte, musste ich grinsen. Immerhin gab es wesentlich mehr Währungen als 4. Ich sagte ich hätte jetzt genug, würde zu einer normalen Bank gehen und er solle halt in einer h noch mal zum Hotel kommen. Ich hielt damit alles erstmal für geklärt, und dachte keinen Moment daran, dass sich der Fahrer womöglich langsam von uns betrogen fühlte. Offensichtlich entschied er sich, sein Fahrgeld anderweitig auszahlen zu lassen.
Ich fand relativ schnell eine Bank und kam ca. eine weiteren halben Stunde später zurück. Der Fahrer rechnete sich wohl aus wie viel Zeit ich brauchen würde und ging schnell zurück, um meiner Freundin alleine aufzulauern. Er klopfte und sagte es seien ich und er. Sie machte auf und wurde sofort angegangen, begrapscht, an den Haaren gezogen und was sonst noch. Sie hat aber wohl so laut geschrien, dass die Hotelleute, die ja aber Bekannte vom Fahrer waren, kamen. Dennoch hatte das geholfen, und er musste gehen. Die Hotelleute hätten mit ihm auch unter einer Decke stecken können.
Als ich ein paar Minuten nach der Attacke zurück kam, war Claire zwar noch aufgeregt, hatte sich aber doch recht schnell wieder gefangen. Zum Glück ist wohl auch nicht noch mehr passiert. Im Rückblick hat mich das vermutlich mehr aufgeregt und verängstigt, als meine liebe Claire.
Ich empfand es als ein großes Problem, dass mein Flug über einen Tag vor Ihrem abheben sollte. Ich konnte nicht bleiben; wollte sie aber so auch nicht alleine lassen. Wir überlegten in ein anderes Hotel zu gehen. Claire wollte aber bleiben. Sie hatte ein gewisses Gefühl einer Komplizenschaft mit den Leuten im Hotel, die Ihr ja auch schon mal halfen. Nur sollten sie nicht mitbekommen, dass ich früher ging; sie also alleine war.
In Deutschland angekommen, bekam ich dann auch 1 Tag nach ihrem Flug, die erfreuliche Nachricht, dass nichts weiter passiert ist. Sie war ja davor auch 2 Monate alleine unterwegs gewesen. In dieser Zeit war ihr wohl auch nichts passiert. Trotzdem hatte ich mich sehr schlecht gefühlt, als ich sie so alleine lassen musste.

Nachwort:
Dazu will ich aber sagen, dass das so ziemlich die gewaltsamste Erfahrung war, die ich während der 9 Monaten in Indien erlebt hatte. Es gab zwar noch eine sehr rücksichtslose Einbruchsserie in Anjuna/Goa, als ich dort war. Diese Erfahrung eröffnete einen Einblick in einen korrupten Polizeiapparat. Z.B. waren ausgerechnet an dem Abend der Diebstähle keine Polizisten unterwegs. Das war schon sehr seltsam, denn sonst suchten die meistens den ganzen Abend nach "Gesetzesübertretungen", wie etwa die zu laute Musik aus der sehr kleinen und leisen Walkmanbox. Es waren zwar keine Nachbarn da, die sich hätten gestört fühlen können, aber es war ja schon nach 24 Uhr. Gesetzesübertretung sei nunmal strafbar , und zu ahnden. So etwa lauteten die häufigen Ausreden der Polizisten. Tatsächlich ging es natürlich um Bakschisch. Man sagte uns, dass eine Uniform manchmal in der ganzen Familie herumgereicht würde. Auf diese Weise konnte mal ein Bruder, mal ein Cousin usw etwas verdienen. Außerdem sagte man uns, dass sich Polizisten aus ganz Indien in der Saison nach Goa versetzen lassen wollten, weil sie dort eben am besten verdienen konnten. Es blieb aber meist Gewaltfrei. Die Entspanntheit der Inder wirkte der Gewalt entgegen. Ich bin auch sicher, dass sich Goa den vermehrten Touristenströmen angepasst hat. Ich vermute, dass die Polizei dort heute ein anderes Auftreten an den Tag legt. Will man doch die heutigen Touristen auf keinen Fall vertreiben. 1996 hatten die Leute bestimmt noch ein anderes Verhältnis zu den Rucksacktouristen, die es fast Ausnahmslos nach Goa trieb. Die heutigen Touristen in den 4 Sterne – Hotels, behandelt man auf Seiten der Behörden bestimmt anders. Dafür kommen sie aber auch nicht mehr so leicht in den Genuss einer netten Gastgeberfamilie, die damals noch fast alle Touristenbetten in Goa zur Verfügung stellten.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 29.12.2013. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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