Peter Somma

~~Abschied

Es war Oktober, der Himmel war grau und die monströsen Hochhäuser, die man in den Fünfzigerjahren hier errichtet hatte, um in dem, am Reißbrett entworfenen und mitten in einen Pinienwald erbauten Urlaubsort möglichst viele Gäste unterbringen zu können, wirkten jetzt, wo selbst der letzte Urlaubsgast den Ort verlassen hatte in dieser menschenleeren Gegend deplaziert. Dort, wo im Sommer die Gäste aus allen möglichen Ländern, auf der Promenade entlang des Meeresufers spazierten, sich in den Lokalen, die dort errichtet worden waren, labten und sich lautstark unterhielten, war weit und breit kein Mensch zu sehen und eine unheimliche Stille hatte sich breit gemacht. Selbst ein Hund, der von weiß Gott woher gekommen sein musste und schon längere Zeit durch den menschenleeren Ort gestreunt war, fand hier keinen Platz, wo er seinen Urin hätte loswerden können.
Der Mann der am Fenster im elften Stock eines jener Appartementhäuser stand und aufs Meer hinausstarrte fragte sich, ob es richtig gewesen war, in dieser Jahreszeit hierher zukommen, er fragte sich, ob es richtig war, sich in dieser unwirtlichen Zeit, an die heiteren Zeiten erinnern zu wollen, die er mit ihr hier verbracht hatte, auf diese Art Abschied von ihr nehmen zu wollen, sich Trost zu erwarten von dieser Reise, ob er sich von dieser Reise nicht zuviel erwartet hatte.
Denn nun lag nur Traurigkeit über dem ganzen Ort. und nichts mehr war von den heißen, fröhlichen Abenden des Sommers zu spüren, an denen er sich gemeinsam mit ihr hier erfreut hatte. Nirgendwo war auch nur die Spur eines menschlichen Lebens zu bemerken und die Bora peitschte über das Meer. Gelbbraune, meterhohe Wellen warfen sich an das Ufer, der Wind trieb den Sand in die angrenzenden Gassen und ließen den ganzen Ort in einer braunen Wolke verschwinden.
Wenn er gewusst hätte, dass dieser Ort, der im Sommer so voller Leben war, jetzt eine solche Schwermut auszustrahlen vermochte, wäre er wohl lieber zu Hause geblieben. Das Appartement, in dem er mit seiner Freundin unzählige heiße Tage und Nächte verbracht hatte, strahlte heute nur noch Kälte aus und ihn fröstelte, denn niemand hatte zu dieser Zeit die Heizung in Gang gesetzt. Das ganze Haus war jetzt unbewohnt und da nach der Saison kein Hausmeister sich um das Gebäude kümmerte, musste er selbst die Sicherungen aktivieren, damit er wenigstens über Licht verfügen konnte und die Räume beleuchten konnte. Nichts erinnerte mehr an die warmen Sommerabenden, an denen er mit ihr auf dem Balkon gesessen war, an die heiteren Abende, an denen er mit ihr zugesehen hatte, wie die Sonne, weit draußen am Horizont langsam im Meer versunken war.
Weil der Kühlschrank leer war und ihn der Hunger plagte, musste er sich auf den Weg machen um irgendwo etwas Essbares zu finden. Lange war er durch den leeren Urlaubsort gewandert, um da oder dort etwas zu kaufen, aber er konnte nirgends etwas finden, denn für die Besitzer und Betreiber der Läden und Lokale der verlassenen Gassen war dieser Ort nicht ihr Daheim, sondern nur ein Platz, an dem man gutes Geld verdiente, sie verbrachten ihre Zeit nur während der Sommermonate hier, und jetzt, da auch der letzte Tourist das Land verlassen hatte, hatten sie ihre Geschäfte, Bars und Restaurants geschlossen, hatten diesem Ort nach der Saison den Rücken gekehrt, hatten ihn in winterlicher Trostlosigkeit zurück gelassen und waren über den Winter lieber in ihre vertrauten Wohnungen und Häuser im Hinterland zurückgekehrt.
Er erinnerte sich daran, dass er in einer der Straßen im Zentrum, in der sich Lokal an Lokal reihte, mit ihr oft die Abende verbracht hatte. Gerne hätte er die Locanda wieder gefunden, in der sie damals fast jeden Abend gesessen waren, aber nun da die Neonanlagen ausgeschaltet und die Sessel und Tische weggeräumt worden waren, konnte er sie nicht finden, denn jetzt glich ein Lokal dem anderen, und man konnte eines vom anderen nicht mehr unterscheiden. Der kalte Wind ging ihm durch und durch, er fror und fühlte sich einsam.
Wollte er nicht verhungern, musste er, in der Hoffnung, dort eine offene Trattoria oder ein Ristorante zu finden, mit dem Wagen einen Ort, ganz in der Nähe aufsuchen, der einst ein einfaches Fischerdorf gewesen war. Aber während der Zeit des großen Urlaubsbooms hatten auch hier viele in den Fremdenverkehr investiert, hatte dem Dorf seinen ursprünglichen Charme geraubt, und hatten ihn zu einem der üblichen Urlaubsorte verkommen lassen. Dennoch lebten dort immer noch Fischer und Kaufleute auch während des Winters, für die dieses Fischerdorf von alters her Heimat war. Aus einigen Fenstern und Lokalen drang Licht. Trotzdem war es auch hier still und nur wenige Menschen ließen sich auf den leeren Gassen blicken.
Nach langem Suchen fand er eine kleine Trattoria, die geöffnet hatte und er trat dort ein. Der Raum war kaum beleuchtet und nur einige ältere Männer standen an der Theke und tranken Wein. Er setzte sich in eine Ecke die nur spärlich durch einen Leuchtbalken beleuchtet war, der den Schriftzug einer Weinsorte trug und bestellte eine Pizza.
Der Wirt war mürrisch und es schien, als ob er nur ungern diese Bestellung aufgenommen hätte. Nichts erinnerte an die Eilfertigkeit, mit der man den Touristen während der Sommerzeit entgegen gekommen war und er bemühte sich auch kaum, ihm, der ihre Sprache nur mäßig verstand, bei der Bestellung zu Hilfe zu kommen. Nach der Saison waren die Einwohner dieses Dorfes wohl froh unter sich bleiben zu können, und fühlten sich durch Fremde in ihren gewohnten Tätigkeiten gestört.
Als er nach dem Essen wieder seine Bleibe aufsuchte konnten auch die vielen Decken, mit denen er sich zugedeckt hatte die Kälte nur mäßig mildern, die er empfand.
Am nächsten Morgen hatte sich das Wetter etwas gebessert. Aus der immer noch kompakten Wolkenmasse blinzelte da und dort die Sonne hervor und zauberte kleine, glänzende Flecken auf die, immer noch vom Wind aufgepeitschte Meeresoberfläche. Die Pinien schleuderten ihre Wipfel im Rhythmus des Windes und erzeugten dabei ein leichtes Rauschen, das sich mit dem Geräusch des Rollens des Meeres vermischte.
Eigentlich hatte er vorgehabt, einige Tage hier zu verbringen, die Orte aufzusuchen, an die sich fröhliche Erlebnisse knüpften, aber in dieser menschenleeren Ödnis wollten sich keine Erinnerungen einstellen. Nichts konnte die trostlose Stimmung vertreiben, in die ihn diese Reise versetzt hatte. Er wusste jetzt, dass es ein Fehler gewesen war, hier herzukommen.
Deshalb beschloss er enttäuscht schon heute nach Hause zurückzukehren und verließ den Ort, in dem er so viele schöne Zeiten verbracht hatte und trat die Heimreise an. Er fuhr die ganze Strecke in einem durch und blieb nur einmal kurz stehen um einen Strauß Blumen zu kaufen.
Als er zu Hause angekommen war, es war es schon Abend geworden, führte ihn sein erster Weg zum Friedhof. Die roten Kerzen, die da und dort flackerten und an die Verstorbenen erinnerten, steigerten seine Schwermut, die ihn seit einigen Wochen plagte. Er suchte die Ruhestätte, seiner vor kurzem verstorbenen Braut auf und legte dort die Blumen, die er unterwegs erstanden hatte, auf das Grab, blieb noch einige Minuten stehen und sprach ein kurzes Gebet. Dann kehrte er in seine Wohnung zurück. Er hatte gehofft, in dem Ort, in dem er so zahlreiche Sommer mit ihr verbracht hatte, Trost zu finden, aber der Aufenthalt, dort unten am Meer hatte ihn nicht trösten können

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 11.01.2014. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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