Hans K. Reiter

Lausbuben (2)

Die Tage zogen ins Land, und die Zeugnisverteilung lag schon eine ganze Weile zurück. Das Gymnasium in Dingharting war von einer erwähnenswerten Besonderheit geprägt, die aber mit der Notenvergabe direkt nichts zu tun hatte. Oder vielleicht doch, ein wenig!

Es war schon ziemlich eindeutig und auch weithin bekannt, dass der Lehrkörper, also jene Damen und Herren, die an dieser ehrwürdigen Stätte den Unterricht erteilten, in der Regel nicht von Auswärtigen durchsetzt war. Jetzt war es aber so, dass der sich allerorts breitmachende Lehrermangel auch vor Dingharting nicht halt gemacht hatte. Und das wiederum war ursächlich für den einschneidenden Wandel in Gestalt des Lehrers Denzel.

Alexander Denzel ging auf die Fünfzig zu. Um die Stelle am Gymnasium hatte er sich beworben, weil er in München, wo er die letzten fünf Jahre gewirkt hatte, keine Schule mehr fand, die ihn haben wollte. Auf drei Wechsel hatte er es in der Landeshauptstadt gebracht und selbiges steht dann nicht nur in den Personalakten, sondern spricht sich auch in Windeseile herum.

Es war immer das gleiche gewesen: Denzel und der Beruf des Lehrers schien sich nicht miteinander zu vertragen, jedenfalls nicht in Bayern. Denzel hatte die (Un)-Eigenart, dass er sich gerne einen aus seiner Klasse herauspickte, den er dann aufs Korn nahm. Manche, der auf diese Weise Privilegierten, wechselten oft schon nach kurzer Zeit die Schule, andere erst zum neuen Schuljahr. Das plätscherte so dahin, und niemand im Kultusministerium konnte dem Treiben Denzels Einhalt gebieten. Bis zum Juli des letzten Jahres. Der Denzel hatte zu spät realisiert, dass sein Unmut ausgerechnet auf den Sohn eines Staatssekretärs gefallen war.

Staatssekretär in Bayern ist nun aber nicht irgendeine Position, über die man so einfach hinweggehen könnte. Sie  ist vielmehr Teil eines der Glieder, die den Machtapparat der Bayerischen Staatsregierung bilden. Und so kam es denn, dass der Lehrer Denzel froh sein musste, eine Vakanz in Dingharting als allerletzten Strohhalm ergreifen zu können. Wenn noch einmal etwas vorkäme, hatte man ihm unmissverständlich mit auf den Weg gegeben, dann solle er sich am besten dort etwas suchen, wo er ursprünglich herkäme, nämlich ganz oben in Usedom. Nur wenige wussten, dass man auch dort vor Jahren das Kreuzzeichen geschlagen hatte, als man ihn losgeworden war.

Der Alexander Denzel nun trug in sich immer noch  einen gehörigen Groll gegen den Zehetmeier Alois, dem er dieses unwürdige Schauspiel in der Turnhalle verdankte. Davon war er unverrückbar überzeugt und allen Warnungen zum Trotz beschloss er deshalb, es diesem Lümmel gehörig heimzuzahlen. Später, im Nachhinein, bereute Denzel seine Courage, aber da war schon zu spät, und was blieb, war lediglich die Einsicht, dass mit diesen Bayern nicht gut Kirschen zu essen war.

Der Lehrer Denzel legte für den Freitag dieser Woche eine angekündigte Schularbeit fest. Der Zehetmeier Alois war nun nicht gerade das grösste mathematische Genie, und so reifte Denzels Plan heran, ihm bei dieser Prüfung eins auszuwischen. Wie unabsichtlich stiess Denzel am Mittwoch der selben Woche nach dem Unterrichtsende einen Schnellhefter vom Pult. Und wie es der Zufall wollte, geschah dies just zu dem Zeitpunkt, als sich der Alois  gerade auf Höhe des Pultes befand, um das Zimmer zu verlassen. Verdutzt hielt er kurz inne, nahm den Hefter auf, verbarg ihn geschickt vor den Augen Denzels und ging weiter.

Der Denzel lachte sich ins Fäustchen. Jetzt hab’ ich dich, du Hundsfott, dachte er. Draußen auf dem Gang indessen drückte sich der Alois etwas an die Wand und liess die anderen Schüler vorbei strömen. Ein Blick in den Hefter zeigte ihm, dass das, was er hier in Händen hielt, nichts Geringeres war als die Schulaufgabe vom Freitag.

Schnell informierte der Alois seine Freunde über den Fund. Sie berieten kurz, ob man auch den Rest der Klasse einweihen sollte, entschied sich aber dann dagegen. Es durften nicht plötzlich alle Einser schreiben. Das wäre aufgefallen. Die Freunde legten genau fest, wer von ihnen welche Fehler einzubauen hatte, damit der Lehrer keinen Argwohn schöpfte.

Mit einem Lächeln teilte Denzel am Freitag die Arbeitsblätter aus und konnte es kaum erwarten, das Gesicht von Alois zu sehen, wenn er das Blatt gleich umdrehte.  Dann war es soweit. Umdrehen und beginnen, sagte er und fügte noch an, ihr habt 45 Minuten Zeit. Mit unverhohlener Schadenfreude  sah Denzel dem Zehetmeier Alois ins Gesicht. Und es kam, wie von Denzel vorhergesehen. Dem Alois entglitten alle Gesichtszüge, wie übrigens ein paar anderen in der Klasse auch noch.

Das kann doch nicht sein, dachte der Alois, bis er nach ein paar Sekunden begriff, dass er von Denzel hereingelegt worden war. Die Schulaufgabe war inhaltlich eine völlig andere als die im Schnellhefter vorgefundene. Und eine weitere Sekunde später traf in die vor Sarkasmus tropfende Stimme Denzels: Nun, Herr Zehetmeier, haben sie etwa mit etwas anderem gerechnet?

Da war nichts mehr zu machen. Alois erwiderte Denzels Blick und sagte mit fester Stimme, soweit ihm das nach dem soeben erlittenen Schock überhaupt möglich war: Nein, ist schon recht so. Dann sei es ja gut, sagte Denzel und wünschte viel Glück, nicht ohne noch einmal einen grinsenden Blick auf den Alois zu werfen.

Es kam, wie es kommen musste. Der Alois schrieb eine glatte Sechs und die meisten seiner Freunde schnitten kaum besser ab. Leute, das verlangt nach umgehender Rache!, schwor der Zehetmeier Alois seine Freunde ein, die allesamt sofort und ohne jegliche Vorbehalte zustimmten. Diesem hinterhältigen Schweinehund müsse man zeigen, dass man nicht gewillt war, seine Art von Scherzen zu tolerieren.

Als eine Woche darauf der Sportunterricht wieder einmal in der Halle stattfinden sollte, war der Eifer der Schüler besonders gross und jeder wollte der erste in der Halle sein. Merkwürdig, dachte der Lehrer Denzel noch, der neben Mathe auch Sport unterrichtete,  und begab sich zu einem vorher schon von ihm aufgestellten Barren.

Ich werde euch jetzt einige Übungen vormachen, die ihr dann bitte der Reihe nach einzeln nachturnt. Sprachs, nahm Anlauf, sprang auf ein kleines vor dem Barren aufgestelltes Sprungbrett, um dann mit gestreckten Armen die Stangen des Barren zu umfassen und senkrecht, einer Kerze gleich, den Körper in dieser Stellung zu verharren. Schon während der kurzen Flugphase sah Denzel das Unheil. Seine Hände klatschten auf die Stangen, fanden jedoch keinen Halt und glitten blitzschnell ab. Mit einem ächzenden Laut auf den Lippen stürzte Denzel zwischen die Stangen und blieb, einem Häufchen Elend gleich, am Boden liegen.

Einer von Alois’ Freunden wischte mit einem Lappen das Fett von den Stangen, ein anderer putzte noch etwas Talkum darüber, während der Rest der Klasse sich bekümmert um Alexander Denzel scharrte.

Alois war zuvorderst und fragte den Lehrer mit sorgenvoller Stimme: Haben’s etwa etwas anderes erwartet, Herr Denzel? Mühsam richtete sich der Lehrer Denzel auf, schüttelte seine rechte Hand, deren Handgelenk bereits verdächtig angeschwollen war und sagte mit einem Beben in der Stimme: Das wird nicht ohne Folgen bleiben, Zehetmeier, das nicht! Der Alois sah völlig bekümmert auf Denzel, ganz so, als verstünde er nicht, von was der Lehrer spräche und sagte schlicht: Wenn’s meinen.

Fortsetzung folgt!

 
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 12.01.2014. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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