Christa Astl

Sabines Überlebenskunst Teil 2




Der Sturm
 
Als Sabine aufwacht, ist es bereits hell. Sie schält sich aus den Decken, dem Schlafsack, und beginnt schon zu frieren. Ach ja, sie ist ja auf dem Berg, in der Hütte von Elviras Eltern! Da muss sie ja erst einheizen, um warm zu bekommen! Kurz denkt sie an den gestrigen Tag, an ihr Abenteuer, an ihr Ziel, an den ersten Erfolg, als sie dieses Ziel erreicht hat.
Aber jetzt – rein in die dicke Schihose und die warme Fleecejacke, die sie allerdings auch erst erwärmen muss. Ein Blick zum Fenster. Es schneit nicht mehr, am Horizont sieht man eine orange Spur eines Sonnenaufgangs. – Schööön, denkt Sabine. Der zweite, gründlichere Blick fällt in die Holzkiste. Zum Anheizen reicht es noch, dann aber muss sie hinaus, neuen Vorrat beschaffen.
Das Feuer brennt heute schon beim ersten Versuch, jetzt will sie Teewasser aufstellen, Kakao kann sie hier nicht bekommen, dazu bräuchte sie Milch. Sabine grinst, wenn sie sich vorstellt, hier in den Stall zu gehen, ihre Kuh zu melken, um ganz frische Milch zu bekommen…
Wasser – die Quelle ist irgendwo draußen. Es hilft nichts, sie muss nüchtern erst mal arbeiten: Anorak, Mütze, Stiefel anziehen, - wo sind die Handschuhe, - den Wassertopf mitnehmen, aber es ist keine Quelle zu finden, der Schnee liegt sicher einen halben Meter hoch. – Gut dass man Physik hat – Schnee ist schließlich aus Wasser – also füllt sie den Topf mit Schnee. Inzwischen brennt das Feuer, es zischt, als Sabine den feuchten Topf auf die Platte stellt. Bis das Wasser siedet, kann sie die Zeit nützen und die Küche nach Lebensmitteln durchsuchen. Verschiedene Dosen stehen im Regal, worin Reis, Nudeln, Fertigsuppen und Knäckebrot sind. Auch eine Packung Tomatensauce entdeckt sie zu ihrer Freude, und eine große Dose mit Trockenfrüchten, aus denen sie Kompott kochen könnte. Die Besitzer der Hütte haben sich ja gut eingedeckt, da kann Sabine schon einige Tage leben.
Jetzt aber holt sie doch noch ihr Brot aus dem Rucksack und streicht dick Marmelade auf die Schnitten, Butter gibt es hier nicht. Gottlob findet sie ein paar Teebeutel, obwohl Sabine eigentlich keine Teeliebhaberin ist. Am Tisch fällt ihr Blick aufs Handy. Akku schon halb leer! Und ein entgangener Anruf – natürlich von den Eltern. Zurückrufen will sie nicht, aber eine SMS muss sie absenden, sonst schicken die ihr noch die Polizei auf den Hals! Ganz kurz nur schreibt sie: „Bin auf einer Hütte, es geht mir gut, komme in ein paar Tagen zurück.“ Nachricht gesendet, Handy ausgeschaltet. Vielleicht braucht sie es für dringende Fälle.
Die Sonne steht schon ziemlich hoch, ob es schon Mittag ist? Egal, jetzt und hier will sie sich von keiner Uhr treiben lassen. Das Holzholen braucht auch seine Zeit, ebenso das Schneeschmelzen, das Nachheizen, das Kochen, auch wenn es nur Nudeln mit der Tomatensauce sind, und schon bald wird es wieder dämmerig. Die Sonne hat sich längst hinter Wolken versteckt, Wind kommt auf, der den Schnee vor sich hertreibt. Schön sieht das aus! Sabine steht am Fenster und schaut zu. Weit unten blinken erste Lichter, die Lichterkette der Autobahn ist nur zu erahnen, sie überlegt, in welcher Richtung eigentlich ihre Stadt sei. Kein Atlas hier, kein Computer, wo man schnell nachschauen könnte. Komisch, denkt Sabine, aber es muss auch so gehen, Robinson hatte schließlich auch nichts als die Sonne, um sich zu orientieren.
Sehr früh, wie Sabine vermutet, kriecht sie wieder in ihren Schlafsack. Die Kerze muss auch noch für längere Zeit reichen. Wie lange werde ich wohl bleiben, denkt sie noch vor dem Einschlafen. Was werden sie gesagt haben, als mein Zimmer leer war? –
Eigentlich gefällt es ihr sehr gut hier, in ihrer abgeschiedenen Bergeinsamkeit. Jetzt erlebt sie selber einen Abenteuerroman! Den ersten Tag hat sie schon gut überlebt, es war ja auch nichts Besonderes. Wenn jetzt ein Bär an der Tür kratzen würde, oder Wölfe ums Haus heulen….
Das Heulen hört nicht auf, Sabine ist wach, dunkle Nacht starrt zum Fenster herein, kalt ist es. Und Sabine muss dringend aufs Klo! Heulen da wirklich Wölfe? Angestrengt lauscht sie, es heult und klappert, pfeift kalt durch die Fenster, auf der obersten Decke liegt Schnee. Sie bringt die Haustüre kaum auf, als sie das „Häuschen“ nebenan aufsuchen muss. Außerdem hat sie das Gefühl, der Wind nimmt sie mit. Das Schlimmste ist, dass man sich sogar für diesen Weg anziehen muss.
Wieder in der sicheren Hütte, fest eingewickelt, lauscht sie auf das Heulen und Brausen der wilden Natur – schön und schaurig. Jetzt beginnt das Abenteuer! Es gelingt ihr nochmals einzuschlafen, denn als sie aufwacht, ist es hell. Hell ist zuviel gesagt, eher dämmerig. Die kleinen Fensterscheiben sind zur Hälfte mit Schnee zugeweht, der Sturm bläst noch immer. Sabine kann nicht sagen, schneit es oder wird nur der Schnee vom Boden hoch geblasen, fast waagrecht fliegen die Flocken am Fenster vorbei. Das Feuermachen gestaltet sich heute schwieriger: Im Ofen raucht es, ein kleines rotes, fast verlöschendes Flämmchen, das Sabine vorsichtig mit Kleinholz pflegen muss. Als sie wieder um Frühstücksschnee hinaus will, kann sie die Türe nicht öffnen. Eingesperrt, gefangen im Reiche des Winters. Angst, Panik will kommen. Hier erfrieren? Hier verhungern? Nein, so schmählich enden will Sabine nicht!
Das Fenster an der Westseite ist ziemlich frei, es ist auch leicht zu öffnen. Hier kann sie gleich ihren Topf mit Schnee füllen. Erstmal frühstückt sie, um sich zu stärken. Denn sie weiß, heute wird ein anstrengender Tag.
Sabine zieht wieder ihre Winterkleidung an, steckt die Hose in die Stiefel, dann klettert sie zum Fenster hinaus. Tief fällt sie hinunter! So kommt es Sabine vor, bis sie endlich steht. Steckt, ist besser gesagt, bis zu den Oberschenkeln steckt sie im Schnee! Und die Schaufel lehnt auf der anderen Seite des Hauses! Für Angst ist nicht der richtige Zeitpunkt, und als Schneemann enden will sie schon gar nicht. Mit den Händen versucht sie, ihre Beine frei zu bekommen.
Als sie beim nächsten Schritt wieder zu versinken droht, legt sie sich auf den Schnee und robbt entlang der Hauswand zur Türe. Von der Schneeschaufel schaut nur der oberste Teil des Stiels heraus, die Türe ist über die Klinke hinauf dick mit Schnee zugemauert! Endlich hat sie die Schaufel frei bekommen, steht mittlerweile selber wieder im Schnee, aber nun ist sie ja „bewaffnet“! Mühsam gelingt es ihr, zuerst sich und dann die Haustüre frei zu schaufeln, um sie öffnen zu können.
Uff, war das eine Anstrengung!! Sabine kann die Arme kaum mehr heben, das wird einen Muskelkater abgeben! Aber es bleibt ihr keine Zeit für Müdigkeit. Etwa drei Meter werden es noch sein bis zum Holzstoß, dann noch weitere fünf bis zum Häuschen, dem Plumpsklo.
Wenigstens hat der Sturm aufgehört, es sieht sogar aus, als ob die Sonne durch die Wolken blinzeln möchte. Die Arbeit geht immer langsamer, Sabine ist müde. Ob ich das jeden Tag machen muss? Für den Moment bezweifelt sie, ob ihre Hüttenidee wirklich so gut war…
Endlich kann sie die Schaufel an die Hüttenwand lehnen, sich ein wenig auf die Türstufe setzen. zufrieden blickt sie auf ihr geleistete Arbeit. Rundum fein abgestuftes Weiß, zeitweise schmerzhaft blendend, wenn ein Sonnenstrahl die Wolken durchbricht. Es tut gut, hier zu rasten.
Hoch über ihr kreisen ein paar Raben, begrüßen sie krächzend. Lebewesen in dieser einsamen, stillen Welt! Wie lange hatte sie schon keine lebenden Wesen mehr gesehen? Dass sie erst den dritten Tag her ist, kann Sabine gar nicht glauben. Ihr scheint, als ob sie längst wie ein Yeti den ganzen Winter hier wäre.
Nun aber hinein! Es kommt doch niemand mehr. Brennholz zum Ofen legen, Schnee schmelzen, die tägliche Arbeit hat sie wieder. – Und endlich gibt es was zum Essen, einen riesengroßen Teller Suppe, in den sie ihr mittlerweise etwas hartes Brot bricht.
Eine Weile sitzt sie noch am Tisch, die Hände im Schoß, spürt die müden, schweren Arme, schaut zum Fenster, wo sich allmählich der Abend heranschleicht, und freut sich, dass sie diesen doch schon abenteuerlichen Tag geschafft hat.
 
 
ChA 13.01.14

 
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 17.01.2014. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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