Monika Maria Preiß

Einlass

 

"I have to go with you! Are you ready? Take that perfume and I will follow you."
Er wendet ruckartig den Kopf zu ihr, als sie ihn anspricht. Seine Augen mischen sich in Distanz und Verlockung. Seine Oberlippe hebt sich leicht gekräuselt - Verachtung oder Verführbarkeit? Sie aber zögert nicht, sie ist sich sicher. Die Zeit ist da, nicht mehr zu zögern. Sie ist alt genug. Sie reicht ihm das Fläschen Parfüm. Wie ist es ihr in die Hände gefallen? Alles scheint sich reibungslos zu fügen. Den ganzen Abend schon hat sie den Duft dieses Parfüms in der Nase. Alle hier scheinen es zu benützen. Der Raum ist erfüllt davon. Der Duft bereitet alles vor, er selbst ist schon Verführung. Er quillt aus dem Rascheln der Stoffe hervor, hat das Gewebe der Kostüme durchdrungen, verfängt sich in den Locken der Perücken, scheint überhaupt von der Haut der Kostümierten ausgedünstet zu werden.
"Schau nicht auf meine Augen, sie sind angestrengt und rot vom Wachliegen. Aber ich bin bereit. Ich weiß, was ich will!"
Welche Sprache spricht er? Bei ihren Worten zieht er die Oberlippe endgültig hoch wie ein Raubtier, das gereizt wird. Er kennt also ihre Absicht? Mit allerlei Spielchen hat er auf sich aufmerksam gemacht, seine Unwiderstehlichkeit durch lockende Gesten und katzenhaftes Mienenspiel einmal mehr getestet. Schicksal spielend führte er eine mädchenhafte Schöne in schwarzem Gewand hinaus - mühelos öffnete er dazu einen Durchschlupf in der Fensterfront - zu einem Außenstehenden, und niemand kannte den Grund hierfür.

Er gehört zu jenen, die sich zur Theatralik berufen fühlen und, nicht nur zu Karneval, gegen die Normalität verstoßen. Nun, das Spiel draußen ist zu Ende, das Mädchen befindet sich wieder im Raum, jetzt kreist die Aufmerksamkeit der Anwesenden um das Parfümfläschen und ihre Benutzer.
"Make use of it!"
Er nimmt das Fläschen, das sie ihm hinhält, öffnet es, schüttet unter aufmunternden, Beifall raunenden Worten der Masken eine verschwenderische Menge des Inhalts in seine Hand, lässt die andere Hand darüberfahren und reibt sich Hals, Nacken und andeutungsweise die Innenseite seiner Oberschenkel ein. Dann schüttet er mit einem gespielt angewidertem "Pah!" die Hände aus und geht, nach einem zur Tür weisenden Blick in ihre Augen, in übermäßig hohen Plateausohlen ihr voraus aus dem Raum. Er lässt der Menge noch sein kurz und eckig hin- und herstoßendes Hinterteil. Im Schlepptau ein Raunen und Staunen, weil sie sich einlässt und er mitspielt. Sie geht am Türsteher vorbei. Er hatte sie hineingelassen zu dieser Maskerade, weil sie angestanden hatte, als sei es unerlässlich für sie, hineingelassen zu werden.
Draußen wartet er auf sie. Trotz der leichten Bekleidung scheint ihn die Kühle des nächtlichen Februar nicht anzurühren. Er lächelt sie an. Seine Aufmachung ist schwarz und weiß. Er trägt ein sehr kurzes Paillettenkleid, das nach oben bis zum Kinn verläuft. Wie ein Ordensband liegt quer über seiner Brust eine weiße, siebenreihige Perlenkette und um den paillettenummantelten Hals außerdem ein sternförmig auslaufendes Collier; dazu die passenden Ohrringe. Die schwarz gelockte Perücke ist am Hinterkopf mit einem breit gefächerten Federaufsatz geschmückt. Seine Handschuhe reichen bis zum Oberarm. Sein Lächeln zeigt ein waches Bewusstsein - und Erfahrung. Er neigt dabei sein großes, weiß geschminktes Gesicht mit den schwarz umrandeten Augen und der gerillten Stirn. Es wirkt wie das Gesicht eines großen Tieres, eines Elefanten. Er winkelt den rechten Arm an und klappt die Handfläche nach hinten um; in engen Lokalen mit vielen Gästen tragen die Kellner in dieser Haltung ihr Tablett. In die Mitte des weißen, geschlossenen Mundes hat er einen kleinen, schwarzen Hasenmund gemalt, der zur Nase hin in zwei Spitzen ausläuft.
Wortlos dreht er sich um und geht los. Sie folgt ihm. Das Parfüm wird ihr von Windböen stoßweise zugetragen, wenn sie in eine andere Gasse oder Passage einbiegen, über einen der Kanäle gehen oder ein Campo überqueren. Auch jetzt wirkt er wie ein großes Tier auf sie. Seine langen, starken Beine, die vor ihr herlaufen, durch die Plateausohlen zusätzlich gestelzt, die auf dem "Bürzel" auf- und abwippenden Paillettenschuppen, der breite Federaufsatz auf dem Kopf, erzeugen in ihr das Bild eines Vogel Strauß.
Es ist schon sehr spät und der sich in zwei entgegengesetzte Bahnen durch die Gassen wälzende Menschenstrom hat längst vereinzelten Grüppchen von Masken Platz gemacht, die mit einem Male aus den dunklen Häuserschluchten hervortreten, um in andere Schluchten einzutauchen; mit schleierhaftem Ziel, so scheint es, wenn man das Wege-Netzwerk dieser Stadt nur als Besucherin kennt, die zwar schon öfter, aber nie mehr als fünf Nächte hier gewesen ist. 
Sie hört den festen Tritt seiner Sohlen, er ist ein geübter Plateausohlengänger. Sie gehen in einen anderen Teil der Stadt. Da bleibt er plötzlich stehen und dreht sich zu ihr um. Seine Hand fährt in die Hüfte. Ein Bein ist leicht angewinkelt. Sonst hält er sich vollkommen gerade. Diese Positur verleiht ihm Unnahbarkeit. Sie wird dadurch nicht eingeschüchtert, weil sie fest ist in ihrem Entschluss. Sicher und zielstrebig geht sie auf ihn zu. Als sie so nah an ihn herangekommen ist, dass sein Blick sie trifft, vollführt er eine elegante Halbdrehung nach rechts und geht, wie neu bestärkt, weiter. Wollte er ihre Willensstärke testen? Tatsächlich spürt sie, dass sie ihm ohne diese Willensstärke nicht gewachsen wäre.
An der Säule im Eingang eines erdrot verputzen Hauses macht er endlich Halt, lehnt sich an. Wieder geht sie auf ihn zu, bleibt dicht vor ihm stehen, schaut ihn kurz an und dann ins Dunkel des Eingangsbereichs. Während sie in die kalte Vorhalle späht, lehnt sie sich an ihn.
"Ich will dich abschminken und entkleiden."
Er reagiert prompt, führt mit dem Zeigefinger ihr Kinn seinem Gesicht zu, sieht sie fest an. Sie streicht ihm mit ihrem Zeigefinger über die Oberlippe, die sich daraufhin noch einmal, in Anlehnung an sein Theaterspiel im Café Florian, kräuselt. Sie lacht.

Er knurrt, beißt in Sekundenschnelle in ihre Unterlippe, lässt sofort wieder los von ihr, nimmt das Parfümfläschen aus seinem Dekolleté, schraubt es auf und schüttelt es mit aufgesetzem Daumen, sodass dessen Inhalt auf sie beide niederregnet.
"Are you ready to follow me now - upstaires?", kommentiert er diese Verschwendung.
Sie aber bleibt ihm die Antwort schuldig, stellt sich auf die Gasse, schaut auf den bemoosten Lagunenrand des Hauses und hinauf in die schwarzen Fenster, als müsse sie das Gebäude erst inspizieren. Es sieht unbewohnt aus und unbewohnbar. Er wartet. Sie misst dieser
Inspektion eine Bedeutung bei, die gespielt ist. Sie lässt ihn warten. 

Doch er handelt, bevor er in die passive Rolle gedrängt wird. er geht ihr voran durch die marmorne Vorhalle, die unbeleuchtet bleibt.

Sie ruft ihm zu, und es hallt an den hohen Wänden nach: "Ich werde dich demaskieren. Ich werde dir den Perücken- und Federputz abnehmen. Ich will sehen, wer du wirklich bist. Diesmal will ich bis zum Ende gehn und alles sehn. Du wirst ohne das Brimborium noch interessant genug sein."
Er stößt ein eisernes Tor auf. Zum ersten Mal lässt er ihr den Vortritt. Sie betritt den schwarzen, gusseisernen Aufzug. Er folgt ihr. Das Tor fällt ins Schloss. Er drückt einen der oberen Knöpfe. Der Aufzug setzt sich mit einer metallenen Detonation in Bewegung.

Sie fahren nach oben.
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 20.01.2014. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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