Norbert Wittke

Das sündige und verkommene Dorf Rönne



Wir kamen nach der 2. Flucht in Rönne an und bekamen bei einem Bauern für uns vier Personen
einen Raum von 12 qm zugewiesen (Vater, Mutter, Bruder und ich).Nicht gerade üppig. Die Schlaf-
stätten lagen auf dem Boden mit Stroh. Dort kampierten wir 2 Jahre, dann erhielten wir einen Raum
von 20 qm. Über uns die Kornvorräte des Bauern. Die Mäuse kletterten über uns und sahen durch die
Deckenlöcher und kamen auch durch Löcher in den Wänden. Mein Vater hatte noch zwei Anzughosen
gerettet, die sie beide zerfraßen, so dass er sich noch nicht einmal in einem Geschäft in Kiel, wo
er in seinem gelernten Beruf als Eisenwarenkaufmann arbeiten wollte, vorstellen konnte.
Da vegetierten wir dann noch 4 Jahre, in den er insgesamt 17 Beschäftigungen ausübte.
Das waren u.a. Umschulung zum Maurer(wegen seiner empfindlichen Hände konnte er diesen
Beruf nicht ausüben), er war Schweißer bei der Howaltwerft in Kiel, Landarbeiter in verschiedenen
Sparten, Holzfäller usw, nur um die Familie ernähren zu können. Als er nach einem komplizierten
Fußbruch bei einem Arbeitsunfall auf der Werft krank wurde, bekam er ein geringes Krankengeld.

Hilfe war von keiner Organisation zu erwarten. Einen Vertreter der evangelischen Kirche, der noch bei
uns sammeln wollte, jagte meine Mutter über den gesamten Bauernhof mit wüsten Beschimpfungen,
die wohl berechtigt waren. Kirchlichen Organisationen und ihren Sammlungen für arme Menschen
traue ich noch heute nicht.

Hätte man für das Dorf Rönne eine Kriminalstatistik erstellt, würde diese bei den 400 EW weit über
den Städten wie Frankfurt, Köln, Hamburg, Berlin liegen .Aber die ganzen Straftaten wurden ja nicht
verfolgt. Nur einige Beispiele:
Der Dorfschullehrer und der Bürgermeister verhökerten die Lebensmittel, die für die Schulspeisung
bestimmt waren.
Beide unterschlugen die Care-Pakete und gaben sie nur an reiche Bauern weiter. Als meine Mutter
beim Bürgermeister monierte, dass wir als Flüchtlinge nichts erhielten, bekamen wir ein Paket für
meinen Bruder und mich in dem 2 Puppen mit Puppenkleidern lagen. Welch riesige Freude!

Der Förster handelte mit dem geschlagenen Holz auf eigene Rechnung und entlohnte die Holz-
fäller sehr schlecht. Als wir schon Jahre weg waren, kam er sogar im Fernsehen bei der Sendung
XY. Er hatte 2 Bankräuber im Wald überrascht, als sie ihre Beute vergraben wollten. Sie haben ihn
dann erschossen und selbst vergraben. War es so etwas wie eine Gerechtigkeit?

Die Bauern feierten Orgien und vergewaltigten anschließend ihre Mägde, die sie quer durch das
Dorf jagten. Nichts passierte und von niemanden wurden sie gestoppt. Als wir schon viele Jahre
weg waren, hörten wir, dass  der Bauer bei dem wir untergekommen waren von seinem eigenen
Traktor erschlagen worden war. War es späte Grechtigkeit?

Ein Bauer kam mit seinem Leben nicht mehr klar und erhängte sich.

Der Betreiber eines großen Sägewerkes mit dazugehörigem Bauernhof verspielte alles auf
Spielbanken in der Schweiz und in Baden-Baden und Bad Neuenahr. Von unseren Kontakten,
die wir noch zu Bewohnern hatten, hörten wir dann, dass er später mit der Heilsarmee durch
die Kneipen in Kiel zog.

Die junge Aushilfslehrerin wurde für die Knechte zum sexuellen Mittelpunkt. Erst bestiegen
sie mit Leitern die Wände hoch zu ihrem Fenster im 1. Stock und dann anschließend sie.
Das ging im Dorf schnell herum. Sie wurde dann wieder abgezogen und versetzt.

Bis zum 2. Schuljahr ging ich in die dortige Schule. Die 1. bis 4. Klasse hatte in einem Raum
vormittags Unterricht, die  5. bis 8. Klasse dann am Nachmittag. Ein Lehrer unterrichtete
im heillosen Durcheinander.

Im Dezember 1952 konnten wir dann Rönne verlassen und zogen um nach Baden-Baden, wo
mein Vater bei der Post ein Anstellung als Postfacharbeiter bekam.

Als ehemaliger Berufssoldat im Sanitätsdienst, war er kaum vermittelbar. Er hatte vor der Hitlerzeit
schon 1932 beim sogenannten 100.000 Mann Heer angefangen. Durfte bis nach dem Krieg nie
wählen, so auch nicht Hitler, wurde aber schlimmer als die Nazis behandelt. Ein Onkel von mir
war schon seit 1927 Mitglied in der NSDAP. Nach dem Krieg wurde er gegen Zahlung von 200 RM
entnazifiziert und bekam gleich eine gute Stelle beim Finanzamt. Deutschland war schon immer
sehr gerecht. Welch ein glorreiches Land!

26.01.2014                  Norbert Wittke

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