Ernst Dr. Woll

Kindererziehung beginnt mit Kindheitserlebnissen Teil 1

Über die Kindererziehung gibt es ebenso viel kluge wie unsinnige Schriften und Empfehlungen. Die meisten Eltern denken und meinen, sie würden ihre Kinder gut oder richtig erziehen und trotzdem entwickeln sich immer einige „ungeradene“ Sprösslinge. Warum? Ein großes Gebiet mit vielen Unbekannten.  Schon während meiner Kindheit hörte ich den Spruch: „Lehrers Kinder, Pfarrers Vieh geraten selten oder nie.“ In unserer Verwandtschaft, in der es viele Lehrer gab, hieß es immer, die könnten ihre eigenen Kinder am schlechtesten erziehen. Das stimmte aber nicht, wie ich durch viele Beispiele erfuhr.
Wir haben mit 20 Jahren geheiratet und waren 21, als unser erster Sohn geboren wurde. In Erziehungsfragen wussten wir das, was wir aus unseren eigenen Eltern- und Großelternhäusern kannten. Und diese Methoden wandten wir dann auch vordergründig an.  Meine Frau war gleich nach dem Abitur 1952 in der DDR ohne spezielle Ausbildung Neulehrerin geworden; auch das war keine Schule um spezielle Kenntnisse für die Erziehung der eigenen Kinder zu erwerben.
Ich will keine Erfahrungen, Erkenntnisse oder Hinweise  zur Kindererziehung veröffentlichen, sondern Erinnerungen an diesbezügliche Erlebnisse aus meiner Kindheit und unser Bestreben, die eigenen Kinder gut zu erziehen, in einigen Kurzgeschichten darstellen.
Fast alle Kinder wehren sich, wenn sie abends zu Bett gebracht werden sollen. Das weiß ich aus eigenem Kindheitserleben und das erlebten wir bei unseren 2 Jungen und 2 Mädchen. Ich war Einzelkind, etwa 5 Jahre alt und wieder einmal bestrebt „Schlafengehen zu müssen“ durch allerlei Tricks zu verzögern. Als mir nichts mehr einfiel wurde ich sogar aufsässig und bockig. Meinem Großvater saß immer der Schalk im Nacken und  er meinte: „Warum sollst du armes Kind auch so früh ins Bett? Beim Schlafen träumt man oft nur schlechtes Zeug, wenn man aber die Augen offen hält, dann kann man bestimmen an was man denken will. Ich schlage dir vor, du darfst aufbleiben so lange du willst und selbst dann noch, wenn wir dich allein hier in der Stube sitzen lassen. Du setzt dich auf einen Stuhl und hältst aber immer die Augen offen – das ist Bedingung; vielleicht kannst du sogar einen Rekord im „Wachbleiben“  aufstellen.“
Der Vorschlag gefiel mir bestens. Ich sah zu wie Großmutter strickte, Großvater las in der Bibel und hin und wieder unterhielten sie sich auch über Dinge, die ich gar nicht verstand. Wenn ich auch mal eine Frage stellte gingen sie darauf ein, beschäftigten sich dann aber wieder mit ihren eigenen Sachen. Einmal, das war eine Abwechslung, musste mein Opa mit ausgestreckten Armen einen „Wollgarnring“ halten, damit meine Oma ein Knäuel wickeln konnte. Eine Arbeit, bei der ich am Tag auch manchmal – immer ungern – mithelfen musste.  Ich blätterte eher gelangweilt in meinem Bilderbuch, denn allein das „Aufbleiben“ war für mich auch ohne eigene Beschäftigung interessant. Hauptsache, ich war dabei und konnte Augen und Ohren offen halten. Dann, ich weiß nicht genau wie spät es war, ich hatte noch Schwierigkeiten genau die Uhrzeit vom großen „Regulator“ abzulesen, sagten Oma und Opa „Gute Nacht“ , verließen den Raum und machten aber das Licht nicht aus. Wie lange es dauerte bis mein Kopf auf die Tischplatte sank und ich einschlief, weiß ich nicht mehr. Am nächsten Tag sagte mein Großvater: „Du bist recht schnell tief und fest eingeschlafen, ich habe dich in das Bett getragen. Du warst ein „schwerer Junge“. Diesen Ausdruck begriff ich erst später, als ich auch wusste, was ein „leichtes Mädchen“ bedeutet. In den nächsten Wochen ging ich freiwillig zur vorgegebenen Zeit zu Bett, ich schämte mich meines Versagens, bei dem „Wachbleiben“ gar nicht lange durchgehalten zu haben.  
Bei unseren 4 Kindern funktionierte diese geschilderte Methode nicht so reibungslos. Wir mussten wegen des unterschiedlichen Alters der Kinder, wie lange sie abends aufbleiben durften, mit der Uhrzeit zunächst differenzieren. Die Kleinen mussten nach den Sandmann ins Bett, dann bis zum Alter von 8 Jahren galt es bis 20,00 Uhr, in Ausnahmefällen bis  21,00 Uhr; danach bis 22,00 Uhr. Toleriert wurde allerdings von uns, dass noch eine gewisse Zeit im Bett gelesen werden durfte. Als sie dann 14 Jahre alt wurden mussten entsprechende Vereinbarungen zur Zeit des Nachhausekommens getroffen werden und die „Bettgehzeit“ stand nicht mehr im Vordergrund. Diese strengen Regeln passten unseren Kindern nicht, sie offenbarten uns oft, dass es in anderen Familien viel freizügiger zugehen würde. Sie waren aber letztlich diszipliniert und bekannten als Erwachsene, dass ihnen diese Erziehung fürs spätere Leben nicht geschadet hat. Im Übrigen gab es häufig „Neiddebatten“ zwischen den jüngeren und älteren Geschwistern. Wir waren aber auf allen Gebieten stets um eine Gleichbehandlung unserer 4 Kinder bemüht. Trotzdem grübele ich heute manchmal darüber nach, ob meine strenge Disziplineinforderung immer richtig war.
Schon als Vorschulkind war ich eine „Wutgriebe“, wie wir in unserem Dialekt zu einem widerspenstigen, aggressiven, hitzköpfigen, schnell in Rage kommenden Kind sagten – die Psychologen nennen dies auch cholerisch. Daraus resultierte auch ein frecher Streich, den mir als damals 5jährigen selbst meine immer tolerante Großmutter übel nahm. In  der Erntezeit im Sommer war ich allein mit ihr zu Hause, alle anderen Familienmitglieder waren auf dem Feld beschäftigt. Sie hatte mir irgendetwas (die genauen Details weiß ich nicht mehr) verboten und ich wurde sehr ungezogen und widerspenstig. Da sah ich, dass sich die Oma in der Abstellkammer, deren Tür nur von außen zu öffnen war, aufhielt. Schnell schloss ich die Tür und reagierte nicht auf ihr rufen. Befreit wurde sie erst nach etwa zwei Stunden als die Leute vom Feld zur Mittagspause nach hause kamen. Sie waren sauer, weil ja die Großmutter auch das Mittagessen nicht fertig machen konnte. Wie ich bestraft wurde ist mir entfallen, auf alle Fälle gab es keine Prügel, obwohl das damals in fast allen Familien üblich war. Bei uns war körperliche Züchtigung der Kinder aber tabu. Meine Großmutter, mit der ich mich immer gern, viel und gut unterhielt, daran erinnere ich mich noch, hat in den Wochen nach diesem Vorfall nur noch das Nötigste mit mir gesprochen. Das hat mir weh getan.
Vielleicht war aber diese, meine Missetat der Anlass für eine Lehre, die ich bis heute, also über ein dreiviertel Jahrhundert, beherzige. Ich erinnere mich nicht mehr, wie mir meine Großmutter eine wichtige Verhaltensregel beibrachte, auf alle Fälle sagte sie aber: „Du musst lernen, dich zu beherrschen. Ich rate dir, zähle immer sofort bis zehn, wenn du merkst, du wirst wütend und erregt. Du wirst feststellen, schon bei der 6 beginnt die Beruhigung und die Vernunft setzt wieder ein.“  Für diesen Ratschlag kann ich meiner Oma gar nicht genug danken, denn er hat mir selbst in meinem Berufsleben sehr oft geholfen immer der Überlegene zu bleiben. In meinen Tätigkeiten als Vorgesetzter vieler Mitarbeiter oder auch als Abhängiger von unterschiedlichsten Chefs blieb es nicht aus, dass man in Gesprächen oder Auseinandersetzungen hätte die Beherrschung verlieren können. Ich zählte dann bis zehn, behielt oder gewann meine Ruhe und brachte damit gar manches Mal meine Gegenüber fast zur Verzweiflung. Ich nahm ihnen den „Wind aus den Segeln“, sie liefen mit ihrer Aggression ins Leere.
Meine weiteren Erlebnisse zu Problemen der Kindererziehung will ich in den folgenden Kurzgeschichten darstellen.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 26.01.2014. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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