Hans K. Reiter

Lausbuben (4)

Es wäre nur mehr als logisch gewesen, wenn Alexander Denzel nach den letzten Vorkommnissen den Schuldienst in Dingharting hätte quittieren müssen. Solcher Art Gedanken quälten den Lehrer, der für ein paar Tage im örtlichen Krankenhaus lag, weil sein rechtes Schienbein bei der Mopedeskapade zu Bruch gegangen war.

Während Denzel rätselte, ob es einen Ausweg geben könnte, hielt Alois Zehetmeier mit seinen Freunden Kriegsrat. Lange wogten die Argumente hin und her, bis die Burschen schliesslich einen Entschluss fassten. Eine eigenartige Stimmung lag über Dingharting, als die Freunde sich auf den Weg ins Krankenhaus machten. Gelblich, wie von giftigem Schwefel durchzogen, blendete das früh abendliche Licht das Auge. Gewaltige Wolkenwulste schoben sich ineinander und formten bizarre Gebilde, aus deren äußeren Rändern dieses gleißende, die Konturen verwischende Licht zu kommen schien.

Überrascht brummte Denzel ein herein, als es an seiner Türe klopfte, denn dieses Klopfen tönte anders als das übliche, kurze, trockene der Schwestern und Ärzte. Es klang irgendwie eine Spur zögerlicher. Gespannt sah er, wie die Türe langsam zurückschwang und sie dann im Zimmer standen, der Zehetmeier Alois und seine Clique.

Keiner sagte etwas. Auch der Denzel brachte kein Wort heraus. Ein paar Sekunden lang ein betretenes Schweigen, bis der Alois schliesslich mit einer Stimme krächzte, als sei er schwer erkältet: Wir wollten nur mal fragen, wie’s so geht. Die Burschen blickten dabei verlegen auf den Boden und unschwer konnte man erkennen, dass es insbesondere dem Sprecher, aber auch allen anderen, ziemlich egal war, wie es dem Denzel ging. Der wirkliche Anlass ihres Besuches musste also ein anderer sein. Das bemerkte sogar der Lehrer Denzel.

Als die Clique vielleicht eine viertel Stunde später das Krankenhaus wieder verliess, war aus dem gleißenden schwefelgelb des Lichtes ein blass grelles Weiß geworden, das sich anschickte, immer schneller werdend in ein Grau zu verfallen, um schliesslich in einem unheimlichen Schwarzblau zu enden. Und mit einem Schlag setzte plötzlich ein fürchterlicher Sturm ein, der von riesigen Wassermassen eines sintflutartigen Platzregens begleitet wurde.

Erschrocken schauten der Alois und die seinen zum Himmel, aber es schien so, als wäre dieser mit der Erde zu einer Einheit verschmolzen. Bis auf die Haut durchnässt stolperten sie ins nahe gelegene Wirtshaus. Sie erwischten gerade noch einen Tisch, denn mehreren anderen Dinghartingern war es nicht anders ergangen, wie ihnen, und so machte der Wirt dank des Unwetters einen schönen Umsatz außer der Reihe.

Meinst wir können ihm trauen, dem Denzel, fragte einer den Alois. Ich denk’ schon, meinte der Alois, schliesslich haben wir die Fotos und wissen, wem des Moped g’hört, und überhaupt, wies wirklich passiert ist. Die anderen nickten zustimmend. Das war ihr Abkommen mit dem Denzel: Sie, die Alois-Clique, sagt nichts, und der Denzel gibt fortan eine Ruh. Wir müssen halt aufpassen und eine Auge auf ihn haben, meine der Alois abschließend.

Der Denzel war sehr erleichtert ob dieser Wende und sein Genesungsprozess machte nicht zuletzt auch deshalb sichtlich große Fortschritte. Allerdings gehörte Alexander Denzel bedauerlicher Weise zu jener Sorte Mensch, die Niederlagen ums Verrecken, wie man in Bayern sagt, nicht verwinden können. Und so geisterten bereits wenige Tage nach der Abmachung mit den Burschen neue, aberwitzige Gedanken durch seinen Kopf.

Die Schüler wunderten sich indessen über die Wandlung des Lehrers Denzel, der seinen Unterricht auf Krücken gehend absolvierte. Direkt freundlich war er auf einmal geworden. Keine Spitze mehr gegen niemanden. Vielleicht ist er bei dem Unfall auf den Kopf gefallen und das böse Erwachen kommt noch, meinte einer, der die wahren Zusammenhänge nicht kannte.

Es is beinahe fad, sagte der Alois eines Tages zu seinen Freunden, der Denzel pariert und wir ham jetzt koan mehr zum Ärgern. Das fanden die Freunde auch und so kam es, dass sie eifrig darüber nachdachten, wie dieser marode Zustand geändert werden könnte. Wie nicht anders zu erwarten, brauchten sie nicht besonders lange, bis eine zündende Idee geboren war.

Es war kurz vor der nächsten Sportstunde, als Schüler und Lehrer durch die geöffneten Fenster von der Sporthalle her einen nicht näher definierbaren Lärm vernahmen und gleich darauf die erzürnte Stimme des Sportlehrers Finkenhuber, der da rief: So eine Sauerei, so eine vermaledeite. Na wart’s nur, ich wer’d euch schon die Hammelbeine lang ziehen!

Wenige Sekunden darauf sahen eine begeisterte Schar von Schülern und etwas betreten lächelnde Lehrer wie ein blaues Etwas aus dem Eingang der Sporthalle stürmte. Die Lehrer, selbst neugierig, was da vorgefallen war, waren an die Fenster geeilt und die Schüler sofort hinterher.

Wissend lächelnd hielten sich der Alois und seine Freunde zurück und machten den anderen Platz am Fenster, grad so, als wüssten sie ohnehin, was die anderen gleich zu sehen bekämen.

Im Zimmer des Schulrektors herrschte eine verständliche Aufregung. Der Sportlehrer war ohne anzuklopfen in dessen Zimmer gerast, hatte sich vor ihm aufgebaut und geschrien, dass diese Frechheit eine Bestrafung der Schuldigen verlange. Der Rektor schaute mitleidig auf den blauen Lehrer vor ihm und sagte: Erstens klopfen wir doch immer an, bevor wir das Zimmer des Rektors betreten, nicht war? Und zweitens, wen wollen Sie denn bestrafen? Wissen Sie denn wer es gewesen ist? Und drittens, was ist denn überhaupt geschehen? Sie sehen ja gottserbärmlich aus.

Der Sportlehrer, immer noch sichtbar erregt, berichtete dem staunenden Rektor, dass jemand über dem Eingang zur Umkleide einen Eimer mit blauer Farbe angebracht hätte, der sich über ihn ergossen habe, just, als er die Türe geöffnet habe. Muss ja dann wohl jemand mit handwerklichen Fähigkeiten gewesen sein, denn den Eimer so zu drapieren, dass dieser nicht nach vorne gefallen ist, sondern zurück in Richtung Türstock und es somit erst möglich geworden war, seinen Inhalt über Sie zu ergießen, das, lieber Herr Finkenhuber, ist schon beachtlich, finden Sie nicht auch?, bemerkte der Rektor und konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen.

Um es vorweg zu nehmen: Die Täter wurden nicht gefunden. Es wurde viel gelacht in diesen Tagen und so richtig Mitleid hatte niemand mit dem Opfer, denn der Lehrer Finkenhuber hatte durchaus seine Eigenarten. An schlechten Tagen triezte er die Schüler oftmals schon gewaltig in der Halle oder auf dem Platz. Der Alois meinte dazu lakonisch:Der wird seine Feldwebelmanieren auch noch ablegen, davon bin ich überzeugt, und seine Freunde nickten beifällig, während sie sich die Reste blauer Farbe von den Händen wuschen.

Fortsetzung folgt!

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 28.01.2014. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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