Günther Würdemann

Das Ringerlebnis

Auf einer Klassenfahrt der 6.Klassenstufe hatten sich zwei Schülerinnen eine besondere Frage einfallen lassen. („Mal sehen, wie er reagiert und was für eine passende Begründung ihm dazu einfällt.“) Eines Tages  kamen sie nach dem Mittagessen an meinen Tisch, machten ein wichtiges Gesicht und stellten mir die folgende Frage: “Herr Würdemann, Sie tragen am Ringfinger der rechten Hand einen goldenen Ring. Sind Sie verheiratet?“
 Ich setzte ebenfalls einen ernsten bis gleichgültigen Gesichtsausdruck auf, so als suchte ich krampfhaft nach einer passenden Erklärung. Denn nur  mit einem einfachen „ja“ wollte ich sie nicht davonkommen lassen.“ Ihr wollt also wissen, ob ich verheiratet bin? Nun, das ist eine längere Geschichte. Es begann damit, dass meine damalige Verlobte und ich uns zu einem Tagesurlaub auf der Insel Helgoland aufhielten. Diese Insel besteht aus einem Unterland und einem damals noch ziemlich unbesiedelten Oberland. Das Unterland war der Touristenbereich. Dort legten und legen auch heute noch die Schiffe bzw. die Boote an, um die Besucher an Land bringen. Denn zu der Zeit mussten die Passagiere kurz vor Erreichen der Insel von den Seebäderschiffen auf kleine Boote umsteigen. (Tradition) Das Oberland war vor vierzig Jahren noch ziemlich unerschlossen, es gab lediglich einen einstündigen Rundweg und eine Vogelschutzstation. Dort wurden die dort zwischenlandenden Zugvögel in Netzen gefangen, ihre Art, ihre gesundheitliche Verfassung und auf einer Briefwaage ihr Gewicht bestimmt. Anschließend wurden sie beringt und wieder in die Freiheit entlassen. Auf unserer Wanderung gerieten wir ungewollt in diese Fangnetze, wurden ebenfalls einer eingehenden gesundheitlichen Überprüfung unterzogen (man unterließ es aber, uns auf einer der Briefwaagen zu wiegen!), anschließend beringt und wieder frei gelassen. Das Datum unserer vorübergehenden Gefangennahme könnt ihr übrigens in der Innenseite der Ringe lesen. Es wurde  dort eingraviert. Also ihr wisst jetzt: Meiner und der Ring meiner Frau stammen von der Vogelwarte.“ Als Beweis nahm ich meinen Ring vom Finger und ließ ihn von den Anwesenden begutachten. Allerdings gaben sich die  beiden Schülerinnen noch nicht geschlagen. Denn die nächste Frage ließ nicht lange auf sich warten: „Herr Würdemann, in Ihrem Ring sind ja zwei Daten eingraviert. Und sogar in einem zeitlichen Abstand von mehr als einem Jahr. Welches Datum stimmt denn nun mit Ihren Angaben überein?“ „Beide, meine Damen, beide. Das erste ist der Tag der Gefangennahme. Nachdem man uns aber anhand des auf der Station befindlichen Vogelartenkatalogs keiner der bekannten Arten zuordnen konnte,
(und komische Vögel waren in dem Katalog wohl nicht abgebildet) beschloss man, uns eine Zeitlang zu beobachten. Und das dauerte … und dauerte, bis man uns endlich nach über einem Jahr  unsere Freiheit zurückgab. Gott sei dank vergaß man nicht, das Datum unserer Freilassung ebenfalls in die Ringe einzugravieren. Dadurch hatten wir auf jeden Fall eine nachweisbare Bescheinigung über die Zeitspanne unserer Abwesenheit im richtigen menschlichen Leben. --- Übrigens wurden wir in der Zeit unseres Vogeldaseins gut verpflegt. Aber das Körnerfutter schmeckte auf die Dauer nicht so gut, eher langweilig. Und die uns zur Abwechslung angebotenen Mehl- und Regenwürmer haben wir trotz des dadurch  entstandenen Fleischentzugs dankend abgelehnt.
Ihr seht an dieser Geschichte, wie bitter es manchmal im Leben zugehen kann. Alles klar? Oder noch Fragen?“

Es gibt manchmal Begebenheiten im schulischen Bereich,
die man einfach der Nachwelt zum Schmunzeln
weitergeben sollte. Zum einen eine (anscheinend)
ernst gemeinte gestellte Frage (eigentlich aber eher
rhetorisch! = eine Frage, auf die man normalerweise
keine Antwort erwartet, weil man diese schon kennt
oder aber weil es keine gibt), zum andern die
Erwartung, wie sich der Gefragte wohl aus der Affäre
ziehen wird. Da ich aber während meiner Dienstzeit in
solchen Situationen nie um eine der Intelligenz der
Frage angemessene Antwort verlegen gewesen bin, wollte
ich auch dieses Mal angemessen reagieren.

Günther Würdemann, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 30.01.2014. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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