Thomas Kleinrensing

2 Erwachsene essen 1Kind gratis

~~Die Erosion des Geschmacksideals schreitet in der gleichen unglaublichen Schnelligkeit voran, wie der Zerfall der grammatikalischen Fundamente unserer Sprache.
Konnte noch vor einigen Monaten ein schlichtes Komma, gekonnt platziert zwischen den beiden letzten Worten auf einem Kinder T-Shirt „Wir essen jetzt Opa“, dem in häuslicher Pflege befindlichen Altvorderen das Leben retten, bedarf es jetzt schon größeren Anstrengungen den knusprigen Babyrücken in Gorgonzola Sauce mit italienischem Gemüse und Penne zu verhindern.

Für Leckereien die unserem westlichen Gaumen und unserer Vorstellungkraft sehr fremd entgegenkommen, war bisher die asiatische und afrikanische Küche verantwortlich. Käfer, Maden, Spinnen und jegliches Schabenkrabbelgetier wird mit Pickel erregender Esskultur der fernen Welt verbunden. Die gesottenen Schlangen und frittierten Heuschrecken passen nicht in das Beutemuster. Der Westeuropäer bevorzugt  sowieso geschmacklich und orthographisch lieber die Schlanken und frisierten Heuschnecken.

„Zwei Erwachsene essen ein Kind gratis“ ist kein Angebot eines Vietchinasia Voktempels. Dieses innovative Angebot präsentierte sich gut sichtbar vor einem in Gelsenkirchener Barockoptik ausgestatteten Ristorante Italiano. Hatte ich bisher angenommen, dass der südländische Charakterzug der Kinderliebe durch ein zusätzliches Gen seit zig Generationen vererbt wird, überkamen mich plötzlich berechtigte Zweifel. Aufgrund der komplett besetzten Tische, der Abwesenheit von Kindern trotz großzügiger Spielecke, dem hünenhaften Schnauzbart, der sich mit Wagenrad großen übervollen Tellern dampfend mich wegdrängte, verließ ich irritiert dieses antropophagene Lokal. In einem Laktose freien Cafe gegenüber, vergrübelte ich mich in überbordenden Gedanken.

Sind vielleicht die stetigen Erklärungsversuche von Soziologen, Psychologen und Politikern der Verweigerung zur Reproduktion an der deutschen Schlafzimmerfront vielleicht nur offizielle Worthülsen? Ist dieser Italiener eine Art Whistleblower aus dem Familienmysterium? Ist der Satz:“ Ich habe Kinder zum Fressen gern“, schon seit langem wörtlich zu nehmen? Sollten doch zur Herstellung von Babyöl die gleichen Verarbeitungsschritte wie bei kalt gepressten Olivenöl angewendet werden? Sind in Vitello tonnato Pepe oder Carpaccio a la Mama, in der Original Bolognese Nonna, keine Zusätze aber versteckte Hinweis enthalten? Und liegen die mir dann immer so quer im Magen? Könnten die Ultraschalbilder auf Facebook der stolzen Mamas nichts anderes als frühe Werbeaktionen sein?

In einer Welt in der die Sucht nach Abgrenzung vom Normalen durch eine App-Kollektion auf dem Smartphone die eigene Persönlichkeit auf naturbelassenen neonfarbenen Schuhen erstrahlen lässt, ist das denkbar. Zumal die verlorene Gesundheit nur durch Entsagung,  Entschlackung, Soja und Powerwalking mühsam wieder hergestellt werden kann. Glutamate sind Teufelszeug und der Herkunft outende Kohlrabi ist für die obsessive Hysteriegesellschaft die letzte Rettung. Da ist das Kind genau der richtige Sinncontainer der modernen Eltern, die den sterilen Natürlichkeitswahn an sich bis zum Starrsinn praktizieren. Rousseau hätte seine helle Freude. 

Auch daran, dass sich In Deutschland das Kochen und Essen in den intellektuellen Schichten seit längerem vom schnöden Mikrowellen Bausatzverzehr aus dem Kühlregal der Fressmärkte, zu einem hochwertigen situativen Rahmen für Kommunikation zwischen Sushi und Vegan der kochenden Aufgeklärten, auf Basis von Frische und Bio, gewandelt hat. Aber in ihnen wohnt das stetige Zweifeln an der Pseudo-Authentizität. Nur der Nachwuchs, unschuldig, unbeschädigt und gesund ernährt, kommt unbefleckt daher. Da weiß man was man zu tun und auf den Tisch zu bringen hat. Damit das Ziel erreicht wird, gibt es keinen Rohmilchkäse während der Spannbauchphase, nichts stört die friedvolle Ruhe während der täglichen Mozartbeschallung. Kein Tropfen Kaffee, auch nicht aus dem fairsten Handel. Wöchentliche Unverträglichkeitstests runden das Bild ab. Selbst wenn die Welt zerbricht, das Kind und der Keks bleiben garantiert glutenfrei.  

Allerdings ist die Nahrungszubereitung aus kontrolliertem Anbau teuer. Das muss man irgendwie verdauen können. Gesunde Ernährung geht halt immer mit Abstrichen einher, nicht nur beim Arzt. Da zwängt sich der monatliche Kindertag als preiswerte Alternative förmlich auf. Ein frühzeitiger Einschnitt kann im Privaten wie im Staatshaushalt Unmengen von Geld sparen. Keiner hat heute noch einen Hühner- oder Schweinestall im Vorgarten. Aber Sandkästen stehen an jeder Ecke. Statt die Einschulung wird als dann die Einverleibung gefeiert. 

In nicht so ferner Zukunft erübrigen sich die Studiengänge für das Lehramt. Pädagogen kümmern sich nur noch um die ökologisch einwandfreie Kleinkindhaltung. Erzieher, Sozialpädagogen und Lehrer schulen auf Kinderwirt um. Jeder Metzger weiß schon heute, dass das Kottelet nicht besser wird, wenn man vorher mit dem Schwein redet. Der Focus einer guten Ausbildung liegt dann nicht mehr auf Kompetenz sondern auf einer einwandfreien Konsistenz des Frischlings. 

Im privaten Bekanntenkreis erhält man das notwendige Insiderwissen, wurde die Nahrung der Aufzucht abwechslungsreich und Pestizid frei verabreicht, spätestens während einem superdollen Elternspieleabend bei Grit und Jochen. Man erfährt beim Rommé ob der Braten in einer Freiland Kindertagesstätte ohne Zusatzstoffe Naturklötzchen stapelt, zu Hause artgerecht gehalten wird oder sein zerbeultes Aussehen auf die überfüllte Stallhaltung kommunaler Nachzuchtanstalten zurückzuführen ist. Beim Herkunftsnachweis besteht zudem immer eine 50 prozentige Sicherheit. Deutlich besser als beim Lotto und sicherer als die Angaben auf Rindfleisch Packungen. Der neue Drang zur Hyperprotektion sagt mehr über den mentalen Zustand der Eltern aus, als über den aktuellen Stand unserer Lebensmittel und Lebensweise.

Ist es da verwunderlich, wenn ich Angesichts eines solchen Schildes auf die verrücktesten Ideen stoße? Beim Verlassen des Cafes kam mir der Gedanke, dass man natürlich zur Rettung unserer Kinder und Prävention vor solchen Gedanken, den Betreiber des Ristorante freundlich auf die missverständliche Aussage und die ethische Relevanz seiner Marketing Offensive hinweisen könnte.
Diese Hilfeleistung hatte allerdings augenscheinlich jemand schon geleistet. Das Resultat stand weithin sichtbar und für mich nicht annähernd beruhigend vor der Tür.
 „Zwei Erwachsene essen ein Kind, gratis“.

Tom
31. Januar 2014

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