Swen Artmann

Eine Rose ist noch lange keine Rose

Ich betrat den Blumenladen, nahm noch einen letzten Zug von meiner Zigarette, blies den Rauch in Richtung Zimmerdecke und warf die Kippe anschließend in einen Eimer mit Tulpen aus Amsterdam. Dann stand ich auch schon vor der Verkäuferin; einer beleibten, äußerst unansehnlichen Mitzwanzigerin mit grüner Schürze, Leberflecken an Kinn und Nase und glänzender Zahnspange. Sie glich insgesamt mehr einem misslungenen Genversuch denn einem Homo Sapiens.
„Guten Tag, der Herr“, nuschelte sie mit einer Stimme, die perfekt zu ihrer äußeren Erscheinung passte. „Sie wünschen?“
Dass du dir eine Plastiktüte über den Kopf ziehst, um die Menschheit nicht permanent mit deiner Horror-Visage zu schocken, dachte ich grinsend. Ich riss mich jedoch am Riemen, atmete durch und antwortete:
„Tach auch! Ich hätte gerne eine Rose. Kann auch von gestern sein.“
„Von gestern? Was soll das denn heißen?“
„Na, dass sie ruhig von gestern sein kann. Ich will damit nur sagen, dass sie nicht unbedingt so ganz frisch sein muss.“ Die Angesprochene schaffte das Unmögliche und ließ ihr Gesicht noch unattraktiver wirken.
„Da sehe ich ein Problem, denn unsere Blumen sind allesamt frisch.“
„Dann geben Sie mir halt eine, die schon ein wenig verwelkt ist.“
„Verwelkt? Warum?“
„Soll ein Geburtstagsgeschenk sein. Für meine Frau. Da würde eine taufrische und makellose Rose einfach nicht passen.“
„Aber unsere Rosen sind alle taufrisch und makellos. Ich kann Ihnen ja schließlich jetzt keine aus dem Müll holen, oder?“
„Warum denn nicht?“
„Weil man das einfach nicht macht. Wir haben einen Ruf zu verlieren.“
„Einen Ruf?“
„Natürlich! Unser Name steht seit Jahrzehnten für Frische und Qualität.“
„Also nicht für Kundenzufriedenheit?“
„Doch, natürlich auch für Kundenzufriedenheit.“
„Aber mich wollen Sie nicht zufriedenstellen?“
„Natürlich will ich Sie zufriedenstellen.“
„Dann geben Sie mir doch einfach eine Rose, die schon ein bisschen verwelkt ist.“
„Nein!“
„Nein?“
„Ja!“
„Was denn jetzt? Nein oder ja?“
„Ja, nein!“
„Aber warum denn nicht? Ich würd´s auch keinem verraten. Großes Indianerehrenwort!“
„Darum geht´s nicht.“
„Worum geht’s dann? Ich würde meinen Willen bekommen, und Ihr Ruf würde nicht beschädigt.“
„Ganz einfach: Wir haben keine verwelkten Rosen.“
„Erzählen Sie mir doch nichts vom Ackergaul. Rosen sind Naturprodukte. Da wird sich doch wohl eine finden lassen, die nicht mehr so ganz astrein ist.“
„Nicht in unserem Laden.“
„Soll ich Ihnen mal was sagen? Das ist ein Scheißladen hier. Einer von der ganz üblen Sorte. Und dazu kommt, dass Sie mehr als hässlich sind. Ja, sogar potthässlich. Sie sehen aus, wie ein verkleideter LKW-Fahrer.“
„Das geht mir jetzt aber zu weit. Sie können doch nicht einfach so sagen, dass das hier ein Scheißladen ist.“
„Sie haben doch gehört, dass ich das kann. Und ich kann es sogar nochmal wiederholen: Scheißladen, Scheißladen, Scheißladen!“
„Ich denke, es wäre besser, wenn Sie das Geschäft jetzt verlassen würden. Wir kommen nämlich gemeinsam auf keinen grünen Zweig.“
„Warum?“
„Weil ich Ihre Wünsche anscheinend nicht befriedigen kann.“
„Doch!“
„Nein!“
„Sie müssen mir nur eine verwelkte Rose verkaufen.“
„Aber wenn ich doch keine habe.“
 
XXX
 
Ich legte den Kopf schräg, überlegte und spielte dabei unbewusst an meinem Pferdeschwanz herum. Gut, diese Person war es wert, dass ihr mal so richtig von jemandem der Marsch geblasen wurde. Auf der anderen Seite war ich jedoch stets ein überaus sensibler und friedliebender Mensch gewesen, so dass ich mich als der Vernünftigere zeigte.
„Gut, dann geben Sie mir halt eine frische Rose.“
„Na endlich!“ Das Mondkalb wirkte ehrlich erleichtert.
„Es wäre aber schön, wenn Sie vorher ein paar Blätter von dem Ding abreißen könnten.“ Sie stutzte und erstarrte augenblicklich zur Salzsäule.
„Blätter abreißen?“
„Sagen Sie mal, spreche ich irgendwie undeutlich oder habe ich ´ne Kiste Apfelsinen im Mund? Ja, Blätter abreißen.“
„Warum?“
„Sie stellen aber komische Fragen. Weil die Rose ein Geschenk für meine Frau sein soll. Und weil sie dann billiger ist.“
„Billiger? Wie kommen Sie denn da drauf?“
„Weil sie doch beschädigt ist.“
„Aber sie ist doch gar nicht beschädigt.“
„Wohl, zumindest, wenn einige Blätter fehlen.“
„Aber es fehlen doch gar keine.“
„Und wenn ich Sie darum bitten würde?“
„Nein!“
„Nein? Aber warum denn nicht?“
„Ganz einfach: Wir verkaufen hier nur Qualität. Es passt nicht zu unserer Firmenphilosophie, dass wir zerstörte und zerpflückte Ware anbieten.“
„Auch nicht, wenn Sie der Kunde darum bittet?“
„Auch dann nicht.“
„Du heiliger Gammelhammel! Und warum?“
„Weil das halt so ist. Ein Metzger würde einem Kunden ja auch kein vergammeltes Fleisch verkaufen, selbst wenn dieser darauf bestehen sollte.“
Ich atmete tief durch. Ganz, ganz langsam ging mir die schäbige Nuss gehörig auf den Senkel.
„Das ist auch was anderes“, antwortete ich mit einer Ruhe, die mich innerlich selbst mehr als beruhigte. „Fleisch ist zum Essen da. Rosen hingegen sind nur zum Verschenken und zum irgendwo Hinstellen.“
„Egal, auf jeden Fall verkaufe ich Ihnen keine zerstörte Pflanze.“
„Und wenn ich die Blätter selbst abreiße?“
„Was Sie mit dem Produkt nach dem Kauf anstellen, bleibt Ihnen natürlich selbst überlassen.“
„Wird die Rose denn dadurch billiger?“
„Warum sollte sie?“
„Na, weil sie doch dann quasi gewissermaßen sozusagen nicht mehr komplett ist.“
„Ich sagte ja, dass es Ihre Entscheidung ist, was Sie mit Ihrer Rose anstellen.“
„Und wenn ich Ihnen die Blätter zurück in den Laden bringe?“
„Was soll dann sein?“
„Bekomme ich dann etwas Geld zurück?“
„Natürlich nicht.“
„Sie sind aber wirklich nicht sehr kundenfreundlich, das muss ich schon sagen.“
„Natürlich sind wir kundenfreundlich. Bisher hat sich auf jeden Fall noch nie jemand über uns beschwert.“
„Irgendwann ist immer das erste Mal.“
„Gut, dann gehen Sie halt raus in die Welt, beschweren sich und verkünden das Ihnen zuteil gewordene Unrecht.“
„Sie werden es nicht glauben, doch genau das werde ich jetzt auch tun. Ich werde allen Leuten erzählen, was das hier für ein Scheißladen ist – und wie hässlich Sie sind. Ich sage Ihnen: Die Menschen werden Ihr Geschäft in Zukunft meiden wie ein Politiker die Wahrheit und der Teufel das Weihwasser.“
„Und, was wollen Sie den Leuten erzählen? Dass wir unseren Kunden keine verwelkten, zerstückelten Rosen verkaufen?“
„Genau.“
„Und damit denken Sie, uns zu schaden?“
„Logisch.“
„Warum?“
„Na, weil das nicht kundenfreundlich ist.“
„Tun Sie, was Sie tun müssen. Kann ich Ihnen sonst noch irgendwie behilflich sein? Ich habe heute nämlich noch einen Termin bei einem Schönheitschirurgen.“
Ich schloss für eine Minute die Augen und dachte angestrengt nach. Mann, die Kleine hatte echt Schneid. Und auf den Mund gefallen war sie auch nicht. Vielleicht wären wir in einem anderen Leben sogar Kumpels geworden. Ich hob den Blick und antwortete:
„Ja.“
„Und was?“
„Geben Sie mir zum Henker nochmal einfach so eine blöde Rose – so eine frische mit Blättern dran.“
„Eine frische Rose mit Blättern dran?“
„Jawoll!“
„Auf einmal?“
„Jawoll!“
„Und was hat Sie so plötzlich zu diesem Sinneswandel bewogen?“
„Keine Ahnung! Mir ist nur eben eingefallen, dass ich das Ding ja erst morgen verschenken muss. Wenn ich die Blume bis dahin ohne Wasser direkt hinter der Windschutzscheibe meines Kadetts in der Sonne liegen lasse, sieht sie morgen so aus, wie ich sie haben möchte.“
„Wie gesagt: Was Sie mit der Pflanze machen, ist Ihre Sache.“
Die Verkäuferin nahm eine Rose aus einem Eimer und wirbelte sie wie ein brennendes Schwert durch die Luft.
„Diese hier?“
„Warum nicht die?“
„Weil Sie vielleicht eine andere haben möchten.“
„Sehe ich so aus, als würde ich tatsächlich Wert darauf legen, eine bestimmte Blume zu bekommen?“
„Ich wollte nur gefragt haben. Einpacken?“
„Von mir aus.“
„Papier oder Folie?“
„Mir doch egal! Machen Sie einfach das, was Sie schöner finden. Aber wickeln Sie keinen Draht drum herum.“ Sie lächelte und zeigte mir ihre Spange.
„Noch etwas Grün dabei?“
„Ich will eine popelige Rose verschenken, keine verdammte Blumenwiese mit Kühen und Schafen drauf.“
„Ich wollte nur gefragt haben.“
„Haben Sie ja jetzt. Es wäre schön, wenn Sie sich ein wenig beeilen könnten. Ich stehe im Parkhaus, und da wird im Zehn-Minuten-Takt abgerechnet.“
Die Floristin schlug die Rose in knisternde Folie, versah das Ganze mit einer blauen Schleife, legte sie auf die Theke und tippte etwas in ihre Kasse ein.
„Macht vier Euro.“
„Vier Euro? Sagen Sie mal, haben Sie als Kind zu oft in kochender Hühnerbrühe gebadet? Ich wollte eine beschissene Rose kaufen, nicht Ihren kompletten Laden.“
„Das ist aber der Preis für eine Rose mit Folie und Schleife.“
„Wieso? Was kosten denn Folie und Schleife?“
„Einen Euro.“
„Einen Euro? Dann machen Sie die bescheuerte Schleife halt wieder ab.“
„Der Preis würde sich dadurch aber nicht verändern.“
„Gut, entfernen Sie auch noch die Folie.“
„Was den Betrag auch nicht senken würde.“
„Warum?“
„Weil die Folie anschließend total zerknittert ist.“
„Na und? Ich will sie doch auch gar nicht mehr haben. Mir doch egal, wenn sie zerknittert hier bei Ihnen rumliegt und Staub ansetzt.“
„Mir aber nicht. Ich kann sie dann nämlich nicht mehr verkaufen.“
„Warum nicht? Sie ist doch noch ganz.“
„Aber eben völlig zerknittert. Die kann ich doch keinem anderen Kunden mehr zumuten.“
„Aber mir schon, was?“
„Jetzt ist sie ja auch noch nicht zerknittert.“
„Das wäre auch noch schöner, so schweineteuer wie die ist.“
„Wenn ich mich recht erinnere, haben Sie mir bei der Verpackung freie Hand gelassen.“
„Klar, dass Sie sich in diesem Augenblick natürlich für die teuerste Variante entschieden haben.“
„Ich habe mich nicht für die teuerste Variante entschieden, sondern für die schönste und hochwertigste. Qualität hat eben ihren Preis.“
„Aber wenn ich diese Qualität doch gar nicht haben will.“
„Dann sollten Sie vielleicht dorthin gehen, wo man nicht so viel Wert auf Qualität, Schönheit und Ästhetik legt.“
„Das werde ich jetzt auch tun, Sie Hexe. Schönen Tag noch.“
„Ihnen auch. Und überlegen Sie in Zukunft etwas mehr, bevor Sie einen Verkäufer für geschlagene zehn Minuten in Beschlag nehmen und anschließend nichts kaufen.“
„Womit wir wieder beim Thema Kundenfreundlichkeit wären.“
Ich drehte auf dem Absatz um und wollte mich schon der Ladentür zuwenden, als mir noch etwas einfiel.
„Wären Sie wohl so nett, mir mein Ticket fürs Parkhaus zu lochen? Dann wird die Sache für mich billiger.“
„Gerne, wenn Sie die Rose kaufen.“
„Warum?“
„Weil wir die Tickets nur für Kunden lochen.“
„Aber ich bin doch ein Kunde.“
„Nein, denn Sie haben nichts gekauft.“
„Ach, man wird bei Ihnen nur als Kunde bezeichnet, wenn man etwas kauft?“
„Nicht zwingend. Aber bei Ihnen mache ich eine Ausnahme.“
„Na großartig. Also sind Sie doch nur profitorientiert.“
„Nicht ausschließlich, doch auch ich muss sehen, dass der Laden läuft.“
„Aber es würde Sie doch überhaupt nichts kosten, mir eben diese beknackte Karte zu lochen.“
„Da gebe ich Ihnen recht, aber ich habe meine Prinzipien.“
„Ach, die feine Dame hat ihre Prinzipien. Und wie sehen die aus?“
„Eine Hand wäscht die andere, und jeder tut dem anderen gut.“
„Oh Gott, so eine dumme Pfadfindermentalität. Jetzt geben Sie sich einen Ruck und lochen mir meine Scheißkarte.“
„Mach ich! Nachdem Sie Ihre Rose bezahlt haben.“
„Das ist Erpressung, dafür könnte ich Sie anzeigen.“
„Tun Sie das. Zur Polizei müssen Sie nur der Hauptstraße folgen und an der nächsten Ampel rechts abbiegen.“
„Wollen Sie mich verarschen?“
„Sehe ich so aus?“
„Dazu sage ich jetzt lieber nichts, sonst bin ich es noch, der sich am Ende strafbar macht.“
Die Verkäuferin sah mich mit einem unglaublich starren Blick an.
„Lieber Herr. Ich glaube, es wäre jetzt für Sie wirklich an der Zeit, die Szenerie zu verlassen. In Ihrem Alter sollte man eigentlich wissen, wann man den Bogen überspannt hat und wann man unerwünscht ist.“  
Ich nickte eine gefühlte Ewigkeit vor mich hin, nestelte wie beiläufig an meiner Jacke herum und zog die Zigarettenpackung heraus.
„Darf ich hier qualmen?“
„Natürlich! Aber nur, wenn ich Sie anzünden darf, um anschließend zu beobachten, wie Sie verbrennen.“
„Hä?“
„Sie haben mich schon richtig verstanden. Würden Sie in Flammen aufgehen, und ich hätte Wasser – ich würde es trinken.“
Mann, dachte ich erneut. Die Kleine hat mehr Klasse als sie verdient.
„Okay!“, raunte ich schließlich. „Ich liege also richtig, wenn ich behaupte, dass ich erst diese olle Blume bezahlen muss, um von Ihnen meine Parkhauskarte gelocht zu bekommen?“
„Richtig!“
„Na gut, Sie Biest. Sie haben gewonnen! Dann nehme ich das Scheißding halt. Wenn dafür das Parken gratis ist.“
Ich kramte mein Kleingeld aus der Tasche, zählte die letzten vier Euro ab und knallte meiner Bezwingerin die Münzen auf die Theke.
„Hier, werden Sie glücklich damit.“
„Vielen Dank, der Herr.“
Sie ließ das Geld in ihrer Kasse verschwinden und beugte sich hinunter, um unter die Arbeitsplatte zu sehen. Nach einiger Zeit kam ihr Halloween-Gesicht wieder zum Vorschein.
„Das ist aber blöd jetzt.“
„Was denn?“
„Ich finde die Lochzange nicht.“ War das nun Spott oder Gehässigkeit in ihrem Blick? Zumindest war es eindeutig kein Bedauern.
„Dann suchen Sie halt weiter, Sie garstiges Geschöpf und missmutige Laune der Natur. Ich helfe Ihnen auch auf, sollte Sie Ihr enormes Gewicht beim nächsten Bückvorgang unbarmherzig in die Tiefe und somit auf den Fußboden ziehen.“
„Tu ich ja. Normalerweise liegt sie immer direkt unter der Anrichte.“
„Dann liegt sie wahrscheinlich jetzt woanders.“
„Wahrscheinlich.“
Als die taffe Floristin die Zange auch fünf Minuten später noch nicht gefunden hatte, verwandelte sich meine bis zu diesem Augenblick vorhandene Glückseligkeit in Hass.
„Na, Sie wohlriechende Sumpfdotterblume. Wie sieht´s aus? Haben wir das Ding bald, oder soll ich nächsten Monat nochmal wiederkommen?“
„Wie es ausschaut, ist das vielleicht gar keine so schlechte Idee. Ich kann sie einfach nicht finden. Warten Sie mal einen Moment.“
Sie griff nach ihrem Mobiltelefon, wählte eine Nummer und hielt sich das Gerät ans fleischige Ohr.
„Hallo Adele, ich bin`s. Sag mal, wo ist denn die Lochzange für die Parktickets hingekommen?“
Die Verkäuferin lauschte angestrengt, und mir war es, als hörte ich eine extrem hohe Frauenstimme aus dem Hörer heraus. Schließlich beendete mein schreckliches Gegenüber das Gespräch und sah mich mit einem nicht näher definierbaren Gesichtsausdruck an.
„Es tut mir leid. Die Zange ist weg.“
„Wie weg?“
„Na, weg! Ist wohl vor einer Woche kaputtgegangen, und die von der Werbegemeinschaft sind gekommen und haben sie abgeholt, um sie zu reparieren.“
„Mein Gott! Wäre der heutige Tag ein gerade geangelter Fisch, ich würd ihn glatt wieder zurück ins Wasser werfen. Und nun?“
„Nun kann ich Ihnen Ihre Karte nicht lochen.“
„Wie, Sie können mir meine Karte nicht lochen?“
„Genau das sagte ich.“
„Und nun?“
„Nun kann ich Ihnen Ihre Karte nicht lochen.“
„Das glaube ich jetzt nicht. Sie werden es mit Ihrem Spatzenhirn doch gebacken kriegen, mir so ein dummes Loch in die Karte zu stanzen. Das kann ja wohl nicht so schwer sein.“
„Das würde ich so nicht sagen. Es ist wichtig, dass das Loch genau die richtige Größe hat und an der korrekten Stelle ist. Sonst kann es von dem Lesegerät im Parkscheinautomat nicht verarbeitet werden. Ich sage Ihnen: Ohne diese spezielle Zange ist das nicht möglich.“
„Sie machen Scherze.“
„Durchaus nicht. Wird die Lochung nicht vorschriftsgemäß durchgeführt, wertet der Automat das als Fälschung.“
„Als Fälschung?“
„Richtig! Und dann kostet Sie der ganze Spaß direkt 50 Euro.“
„Sagen Sie mal, wollen Sie mich auf den Arm nehmen, Sie seltsames Etwas?“
„Keineswegs. Ich sage Ihnen nur, wie es ist.“
„Gut, dann möchte ich die Rose wieder umtauschen.“
„Wie jetzt?“
„Na, ich will die Scheißblume zurückgeben. Mir ist eben nämlich zufällig aufgefallen, dass ich viel zu wenig Geld dabei habe. Ich dachte, ich stelle meinen Wagen für ein paar Minuten ins Parkhaus, springe kurz in Ihren Laden, hole mir für ein, zwei Euro ´ne  Scheißrose, lasse mir schön die Karte durchlochen und bin auch schon wieder draußen.“
„Tja, das ist wohl blöd für Sie gelaufen, was?“
„Was Sie nicht sagen. Okay, wenn Sie mir bitte meine vier Euro wiedergeben würden.“
„Nix da!“
„Wie bitte?“
„Nix da! Einmal gekaufte Schnittblumen können nicht umgetauscht oder zurückgegeben werden. Steht aber auch dort an der Wand.“
Sie wies mit ihren trüben Augen auf ein weißes Schild hinter sich, auf dem der soeben geschilderte Sachverhalt tatsächlich ordnungsgemäß in schwarzen Lettern abgedruckt war.
„Wenn Sie mir nicht augenblicklich mein Geld zurückgeben, ziehe ich Ihnen Ihren Scheißladen auf links, da können Sie sich aber drauf verlassen.“
„Was die Sache für Sie im Endeffekt nur noch teurer machen würde.“
In diesem Augenblick erfasste mich plötzlich ein nie gekannter Gefühlseintopf aus Wut, Mordlust und Ohnmacht. Ich schlug die in Folie verpackte Blume so heftig auf die Theke, dass die Blätter und Knospen wie verirrte Gewehrkugeln durch die Luft schossen, und das Geschenk für meine Frau anschließend aussah, wie ein billiges, windschiefes und krummes Hauszeltgestänge nach einem Orkan.
„Ich will ja nicht in Abrede stellen, dass es Ihnen jetzt besser geht. Aber wirklich weitergeholfen hat Ihnen diese Aktion nicht, oder?“
„Haben Sie eine Ahnung, Sie arrogantes, selbstverliebtes Monster!“, bellte ich leidenschaftlich, warf meinen anmutigen Kopf zurück und klemmte mir das traurige Schnittblumengerippe unter den Arm. „Ich habe zwar noch keinen blassen Schimmer, wie ich gleich meine Parkhausrechnung bezahlen soll, dafür sieht diese Scheißrose jetzt aber endlich so aus, wie ich sie von vornherein haben wollte. Auf Nimmerwiedersehen, Sie herzloser Unmensch!“
„Ihnen auch noch einen schönen Tag“, erwiderte die Floristin lächelnd. „Es ist immer wieder erfrischend, wenn Kunden unser Geschäft zufrieden und glücklich verlassen. Und noch was: Empfehlen Sie uns weiter!“
„Vorher tanzt der Papst in lederner Unterwäsche und Schlittschuhen in einer eingefrorenen Hölle mit Britney Spears Lambada auf dem Eis!“, blaffte ich noch im Hinausgehen.
„Der Papst muss tun, was er tun muss. Hauptsache, er kommt anschließend hierher, um die Blumen für seine Hochzeit bei uns zu kaufen. Auf Wiedersehen und viel Glück im Parkhaus.“
 
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 31.01.2014. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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