Paul Prinz

Das Windrad

„Das Windrad hat vor langer Zeit einfach aufgehört sich zu drehen.“ Ich zucke erschrocken zusammen. „Und, haben sie ein schönes Foto machen können?“ Der alte Mann lächelt mich gutmütig an und deutet auf meinen Fotoapparat den ich in Händen halte. „Ich denke schon.“ erwidere ich und stülpe die Schutzkappe auf das Objektiv. Der Alte richtet seinen Blick gen Himmel und schüttelt den Kopf. „Es dreht sich einfach nicht mehr. Wir ölen die Gewinde jedes Jahr aber es will sich einfach nicht mehr bewegen. Ich kann es ihm nicht verdenken.“ Er grinst und greift sich mit einem gespielt schmerzverzerrtem Gesicht an seinen Rücken. Ich blicke zu dem Windrad hoch das in absolutem Stillstand verharrt, ein kräftiger Windstoß fährt durch die Äste und lässt sie hin und her schwanken. Der Farmer betrachtet mich von der Seite und sein Blick wird etwas ernster. „Als ich noch ein kleines Kind war, erzählte mir mein Vater von dem Tag an dem das Windrad aufhörte sich zu drehen.“ Der Alte rückt ein wenig zu nahe an mich heran. Ein Duft von Trockenfleisch und kaltem Kaffee weht mir entgegen. „Es soll im Jahr 1895 passiert sein. An dem Tag wehte ein heftiger Wind so wie heute. Von der Ferne schon konnte man das Klappern des Windrades vernehmen. Man erzählte sich das es von einem Moment zum anderen begonnen hatte dieses Geräusch zu machen.“ Plötzlich hält der alte Mann neben mir inne und beginnt wie von der Tarantel gestochen den Boden um uns herum abzusuchen. Kurz frage ich mich ob ich die Gunst der Stunde nützen sollte um einfach abzuhauen aber der Alte scheint meine Absichten zu erahnen denn plötzlich stößt er einen gellenden Schrei der Freude aus. Mit einer Behändigkeit die ich diesem alten Knochen nie zugetraut hätte macht er einen Sprung zur Seite und angelt aus einem kleinen Haufen Müll eine verrostete Blechd! ose herv or. Er nähert sich mir wieder und der bereits vertraute Geruch von Trockenfleisch und kaltem Kaffee verrät mir das er spürbar näher an mich heranrückt als noch zuvor. Er führt die Blechdose mit dem vergammelten „Baked Beans“ Etikett ganz nahe an sein zerfurchtes Gesicht. Mit dem rechten Zeigefinger, an dessen Spitze ein viel zu dreckiger und viel zu langer Fingernagel thront, schwebt er wie ein Dirigent mit seinem Taktstock wartend vor der Dose. Es ist ganz still um uns geworden. Konnte ich eben nicht noch die Autos vorbeifahren hören ? „Passen sie auf.“ flüstert er mir zu und verringert den Abstand um noch einen Hauch Trockenfleisch. Ich nicke obwohl ich keine Ahnung habe, worauf ich meine Aufmerksamkeit richten soll. Dann pocht der Alte mit dem Fingernagel dreimal auf die Dose. Er hält kurz inne und führt den Zeigefinger an den oberen Rand der Dose und kratzt dreimal entlang. Es erinnert mich an Fingernägel die an einer Schultafel kratzen. Ich spüre wie sich meine Nackenhaare aufstellen. Der alte Mann fixiert mich und pocht wieder dreimal mit dem Zeigefinger auf die Dose. Dann hält er inne und wirft die Dose die er eben noch wie ein Musikinstrument behandelt hat zurück auf den Müllhaufen und wendet sich mir zu. „Genau so hat es geklungen wenn sich das Windrad drehte. Natürlich lauter und nicht ganz so regelmäßig. Aber von einem Moment zum anderen begann dieses Geräusch und sollte neun Jahre , sieben Monate und vier Tage lang nicht verstummen. Es gab wohl keinen einzigen Zimmermann in der Gegend der sich nicht daran versucht hätte das Windrad zum Schweigen zu bringen aber niemand war dazu in der Lage. Bis an jenem Tag im Jahre 1895 wo sich das Problem von selber löste und das Windrad einfach stehenblieb. Von einem Moment zum anderen.“

Der alte Mann macht einen Schritt von mir weg und richtet seinen Blick wieder auf das Windrad das oberhalb von uns trotz des eisigen Windes im Stillstand verharrt. Er blickt mich herausfordernd an, so als wollte er mich dazu ermuntern das auszusprechen was ich bereits dachte. Ich blicke auf die Dose die neben dem Müllhaufen liegt. „Dreimal kurz, dreimal lang und wieder dreimal kurz.“ Ich räuspere mich etwas verlegen. „Wollen sie mir erzählen das Windrad hätte ein Notsignal von sich gegeben ?“ Der Alte richtet seinen Blick wieder zurück gen Himmel. Es scheint eine Ewigkeit zu vergehen bis er antwortet. „Nein, nicht das Windrad.“ „Eine tolle Geschichte.“ erwidere ich und packe den Fotoapparat in meinen Rucksack. Der alte Mann starrt mich unentwegt an. „Und gut erzählt. Sie sollten auf Kinderparty’s auftreten, wer will schon einen langweiligen Clown sehen wenn er sich gruseln kann.“

Plötzlich knackt es im Unterholz. Der Schreck fährt mir durch alle Glieder. Der alte Mann bleibt unbeeindruckt stehen und richtet seinen Blick wieder zum Windrad. Instinktiv ducke ich mich und starre in das Gebüsch vor mir. Das fehlt mir noch, erst der verrückte Alte hier und dann noch irgendein Penner der mich überfallen will. „Hallo … hallo ?“ Eine Frauenstimme. Ich entspanne mich etwas. Klingt nicht nach Räuber oder Mörder. In diesem Augenblick erscheint eine junge Frau die mir nur einen kurzen Blick zuwirft und sofort auf den alten Mann zuläuft. „Was machst Du hier, wir haben Dich überall gesucht.“ Zärtlich streicht sie dem alten Mann über dessen Hinterkopf und während Sie versucht ihn zum Gehen zu bewegen wendet sie sich mir zu. „Tut mir leid, ich hoffe mein Großvater hat sie nicht belästigt.“ Ich winke beschwichtigend ab. „Er ist nur vollkommen verrückt und hat mir eine Heidenangst eingejagt“ denke ich mir und sage: „Überhaupt nicht, wir haben uns nett unterhalten.“ Obwohl ich vom Lächeln der jungen Frau restlos begeistert bin fällt mir auf wie sehr sich der alte Mann plötzlich verändert hat. Vor fünf Minuten noch stand hier ein fideler Mann vor mir, der sich lebendig mit mir unterhielt. Und nun steht da ein gebücktes Männlein das sich kraftlos an der Hand seiner Enkelin führen lässt. Liebevoll legt die junge Frau die Hand um die Schulter ihres Großvaters. „Komm, es ist eiskalt hier, lass uns nach Hause fahren. Entschuldigen sie vielmals“ nickt sie mir zu. Ich murmle etwas von kein Problem und schicke mich an ebenfalls diesen Ort zu verlassen als sich der Alte plötzlich von der jungen Frau losreißt und auf mich zustürzt. Ich bin so perplex das ich kaum reagieren kann aber da steht er schon vor mir und drückt sein Gesicht auf meine Schulter so als würde er auf der St! elle zu weinen beginnen wollen. „Großvater lass doch den Mann …“ Ich deute der jungen Frau das alles in Ordnung sei. Sie hält inne. Eine Weile stehen wir so da. Dann ganz leise höre ich den Alten flüstern. Ich verstehe ihn kaum. Ich beuge meinen Kopf zu ihm herunter. „Es ist noch nicht vorbei.“ flüstert der Alte und beginnt am ganzen Körper zu zittern. Ich schaue zu der jungen Frau die nur ratlos den Kopf schüttelt. Nach einer gefühlten Ewigkeit löst sich der alte Mann plötzlich von mir und beginnt in seiner Hosentasche zu kramen. Schließlich holt er ein kleines Fetzchen Papier hervor und drückt es mir wortlos in die Hand. „Es ist noch da , auch wenn wir es nicht mehr hören können.“ Die müden Augen des alten Mannes fixieren mich noch eine ganze Weile dann macht er am Absatz kehrt und geht. Die junge Frau lächelt mich noch entschuldigend an.

Ich weiß nicht wie lange ich da noch unterhalb des Windrades stand. Irgendwann muss ich losgegangen sein denn plötzlich sitze ich in meinem Wagen der etwas Abseits des Feldweges parkt. Ich starte den Motor und lasse die warme Luft der Standheizung meinen verfrorenen Hintern wärmen. In meiner Hand halte ich immer noch das Fetzchen Papier das mir der alte Mann zugesteckt hat. Es fühlt sich alt und abgegriffen an. Ich falte es auf. „Pionier Museum – Oakdrive Rd 245“ flüstere ich mir selbst zu während ich lese. „The Griffith’s Family House“ . Ich drehe das Papier um. Die Rückseite ist unbeschrieben. Der Wind pfeift unentwegt. Der Wagen schaukelt wie ein kleines Boot am offenen Meer. Mein Blick wandert zu dem alten Windrad. Es dreht sich nicht.

Foto & Text: Paul Prinz

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 02.02.2014. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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