Florence Siwak

Gute Bücher


Markus war extra 10 Minuten früher losgegangen.
Und er würde einfach zwei U-Bahn-Züge später fahren. Er brauchte bestimmt etwas Zeit. Heute wollte er es endlich wagen –
und  s i e  ansprechen; das zauberhafte Wesen vom Zeitungskiosk auf dem U-Bahnhof. Das klingt so profan, dachte er: das
Mädchen vom Kiosk. Aber sie hatte etwas Ätherisches, Unberührtes. Ihre langen aschblonden Haare fielen auch heute wieder
wie ein glitzernder Vorhang vor ihrem Gesicht zusammen und sie musste sie zurück nehmen, um ihn anzusehen und mit ihrer
etwas heiseren Stimme zu fragen, was er denn wolle. Ihr Buch hatte sie wieder im Schoß liegen und sie schien aus einem tiefen
Traum aufzutauchen.
Na, was soll ich schon wollen, dachte er. Er räusperte sich und ärgerte sich, dass seine Stimme nicht tief und volltönend war,
sondern eher – ja leider, eher quietschend.
Wie jeden Morgen verlangte er eine der großen Tageszeitungen. Aber diesmal blieb er stehen, nachdem sie ihm sein Wechselgeld
herausgegeben hatte.
„Sie lesen viel, habe ich gesehen…“ Blöde Eröffnung. Ihm wurde heiß und seine Akne, die in letzter Zeit soviel besser geworden war,
machte sich wieder hämisch bemerkbar.
Mit großen grauen Augen musterte sie ihn.
„Ja?“ Nicht gerade verheißungsvoll, aber dennoch.
Er stotterte weiter.
„Ich könnte Ihnen Bücher ausleihen; oder wir könnten mal tauschen – gegenseitig….“
War wohl nichts.
Sie blickte über seine Schulter und seufzte.
Schade, dachte sie, als sie ihn verstohlen musterte und sein offenes Gesicht, seine sehnige Figur, die schlanken Hände betrachtete,
die die Zeitung umklammert hielten.
„Mein Vater hat einen Buchladen; ich habe bestimmt so an die tausend Bücher und nehme mir jeden Tag eines mit hierher. Sonst komme
ich neben meinem Studium nicht zum Lesen“, warf sie ihm entgegen.
Das war’s.
Vater mit Buchladen, sie Studentin. Markus murmelte eine Entschuldigung und erwischte gerade noch den Zug.
Ab morgen werde ich den Waggon ganz vorne nehmen, dachte er erbittert. Die Zeitung ließ er im Zug liegen. Diese kiloschweren Papiermonster
waren für ihn eigentlich sowieso zu teuer gewesen – jeden Tag fast 2 Euro. Er hatte dafür auf den Kaffee verzichtet. Ab morgen aber nicht mehr.
Er musste ihr nicht mehr imponieren und würde wieder sein „Revolverblatt“ kaufen.
Die hübsche Blondine seufzte und vertiefte sich wieder in ihr Romanheft. 50 Seiten von den 64 hatte sie schon geschafft und immer noch war
ihr nicht klar, ob Clarissa den Baron oder doch den Arzt vorziehen würde.

Er war ja sehr nett gewesen, der junge Mann, dachte sie. Aber er hätte sicher die Nase gerümpft. Einer, der solche Zeitungen liest, war bestimmt
was Besseres. Sie schüttelte ihre Locken und ließ sie wieder als Vorhang ins Gesicht fallen, um sich hinter ihnen zu verstecken.
Als ein Kunde sich zu ihr beugte, erschrak sie und versteckte schamhaft das Heftchen. Es war ihr zwar egal, was die Leute dachten,
aber – naja eigentlich doch nicht. Vielleicht sollte sie wirklich mal ein Buch, ein richtiges Buch lesen. Das hatte sie zum letzten Mal in der
8. Klasse gemacht – da musste sie. Gerade mal eine Vier hatte sie für die Nacherzählung bekommen. Aber immerhin – keine Fünf.

Sie würde heute Abend zu Hause bei ihren Eltern herumstöbern. Die waren mal Mitglied in einem Bücherbund gewesen; da müssten
noch ein paar Bände stehen; nagelneu, in wunderschönen bunten Einbänden.
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 07.02.2014. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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