Irene Beddies

Wendel: Der Zahn

 


„Sieh mal, was ich habe!“
Paul streckte dem kleinen Gespenst seine geschlossene Faust entgegen.
„Ich sehe nur, was dir fehlt. Du siehst komisch aus“, entgegnete Wendel. „Was ist dir passiert?“
„Sieh doch!“ Paul öffnete seine Faust und hielt Wendel das entgegen, was darin war.
„Mein erster Zahn. Ich habe ihn  heute beim Frühstück verloren, als ich mein Brötchen aß. Mein Zahn! Nun bin ich groß.“
„Aber was machst du ohne den Zahn?“, fragte Wendel, „wenn du noch mehr verlierst, kannst du nicht mehr richtig essen.“
„Keine Angst, der Zahn wächst nach. Er wird ein richtiger Erwachsenenzahn.“
„Bist du sicher?“
„Ja, Mama sagt, alle Kinder verlieren ihre ersten Zähne. Und außerdem hat im Kindergarten schon ein Mädchen zwei Zähne verloren und jetzt wachsen neue, viel größere.“

„Du sprichst auch komisch“, stellte das Gespenst fest.
„Das kommt von der Lücke. Ich muss immer mit meiner Zunge fühlen, ob da schon der neue Zahn kommt.“
„Geht das so schnell? Hast du heute Abend wieder alle Zähne?“
„Nein, das dauert viele Wochen – wenigstens bei dem Mädchen im Kindergarten. Aber das Loch zwischen meinen Zähnen ist so neu, da muss ich einfach nachfühlen, ob ich will oder nicht.“

„Zeig noch mal“, forderte Wendel seinen Freund auf. Der grinste und dann streckte er dem kleinen Gespenst die Zunge heraus.
„So etwas tut man nicht“, tadelte  es. Am liebsten hätte es Paul auch die Zunge herausgestreckt, aber es war gut erzogen.
„Ich mache das doch nur aus Spaß“, verteidigte sich Paul, „ich freu mich so. Nun bin ich fast ein Schulkind, sagt Mama. In ein paar Wochen komme ich in die Schule!“
„Dann bist du vormittags nicht da“, überlegte Wendel, „du kannst mich nicht mehr sehen.“
„Was ist daran so schlimm, wenn ich vormittags in die Schule gehe? Ich gehe jetzt in den Kindergarten am Nachmittag. Das merkst du doch gar nicht. Und wenn ich vormittags in der Schule bin, weck ich dich eben am Nachmittag. Was ist das denn für ein Unterschied?“
„Du hast recht“, antwortete Wendel erfreut.
 „Und bis zum Sommer ist noch Zeit.“

© I. Beddies






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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 13.02.2014. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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