Martin Litos

Handyverbot

Wenn es nach mir geht, gehört die Benutzung von Handys in der Öffentlichkeit verboten. Man erfährt zu viele Informationen über fremde Menschen, die man wirklich nicht wissen will.
Dazu eine kleine Geschichte:
Kurti wohnt in einem Gemeindebau im zweiten Stock und Samstag am Vormittag geht er immer einkaufen. Wohin er geht ist natürlich ganz klar – zum Z…, weil der ist zwei Stockwerke unter ihm, da muss er nicht weit gehen. Und außerdem muss er sich dazu nicht besonders kleiden, aber dazu später.
Also wackelt er um 10,11 zum Wirt, denn der ist gleich neben dem Supermarkt und bestellt sich ein Bier („ein Bier in der friah schod nia“ ((ein Bier in der Frühe schadet nicht)). Dort zündet er sich mal eine Marlboro an (in Österreich darf man in vielen Lokalen noch immer rauchen!), schnappt sich die nächste  Zeitung (oder wie man diese kleinformatigen Gratisverdummungsblätter nennen mag) und schaut sich die Bilder an.
Nicht das er des Lesens unkundig wäre, aber er hat seine Lesebrille nicht mit – denkt er, denn sie thront lässig hochgeschoben auf seinem Haupte. Noch ein paar freundliche Abschiedsworte zum Besitzer des Etablissements: „Pfiat di, Obezahrar“ (sei gegrüßt, du Nichtstuer) und weiter geht’s zum Z…
Kaum, das er den Supermarkt betreten hat, wird schon das Handy gezückt und die Show beginnt:
Hallo Schatzi!
Ich gehöre zu jenen Menschen, die fast schlafwandlerisch durch die Gegend tapsen und es nicht einmal bemerken würden, wenn Paris Hilton im Bikini an mir vorbei stöckelt, aber dieses „Hallo Schatzi“ reißt mich augenblicklich aus meinen Gedanken und zurück in der nüchterne Realität fühle ich mich gezwungen, meine Blicke auf ihn zu richten.
Die Natur hat es nicht besonders gut mit ihm gemeint und sein Lebensstil hat zusätzliches zu seinem Erscheinungsbild beigetragen: Glatze, Bierbauch und spindeldürre Waden. Das Ganze wird noch von seinem Outfit betont: ein ärmelloses Feinrippleibchen (wo bekommt man so etwas noch zu kaufen?), lieblos hängend über der kurze, etwas speckigen Hose mit ausgebeulten Taschen und Herrgottsschlapfen (die Socken hat er glücklicherweise daheim gelassen). Doch hat er es nicht unversucht gelassen, seinem Äußeren einen gewissen Pepp zu verleihen. Ein massives goldenes Panzerkettenhalsband mit dazu passendem Armband und einer Armbanduhr, die mich stark an meinen alten mechanischen Wecker erinnert, runden den Look sozusagen ab. Auch das Tattoo auf seinem linken Oberarm und der protzige Siegelring dürfen nicht fehlen!
„Hallo Schatzi!“
Und das Ganze so laut, das man es im ganzen Supermarkt hört. Eigentlich bräuchte er gar kein Handy, seine Partnerin, deren Anblick ich mir jetzt nicht vorstellen möchte, bräuchte nur das Fenster öffnen.
So, jetzt wissen es wirklich alle: der unrasierte Typ hat eine Partnerin und es ist sicher, das alle Anwesenden dieses interessante Gespräch bis zur letzten Minute mitverfolgen dürfen.
Es wird auch behauptet, das Menschen, die zu ihrem Partner „Schatzi“ sagen, sich in Wirklichkeit nicht dafür entscheiden können, ob sie Schaf oder Ziege sagen wollen (dieser Ausspruch stammte nicht von mir).


Ein Witz dazu (stammte auch nicht von mir):
Ein Mann kommt ins Schlafzimmer, ein Schaf unter seinem Arm, und sagt: "Liebling, das ist die Ziege, mit der ich immer Sex habe, wenn Du wieder mal keine Lust hast." Erwidert seine Freundin: "Vielleicht ist es Dir ja noch nicht aufgefallen, aber das ist keine Ziege, sondern ein Schaf unter Deinem Arm, du Idiot!" Darauf er: "Vielleicht ist es DIR ja noch nicht aufgefallen, aber ich habe gar nicht mit DIR geredet."


Er: „Frage! Soll ich Schnitzel nehmen, die sind im Angebot?“
Die Aktion ist jetzt schon Unsinn, weil das Angebot vom S.. war und der ist drei Gassen weiter.
Dieses anregende Gespräch über den Einkauf, den Besuch bei den Schwiegereltern wird minutenlang weitergeführt (interessant: Kurti ist verheiratet, aber nach seinem Äußeren zu urteilen, liegt die Vermählung schon etwas länger zurück). Auch andere weltbewegenden Themen der Ernährung, Gesundheit und Freizeitgestaltung werden angeschnitten, Entscheidungen werden erwägt, das Für und Wider diskutiert und schließlich verworfen. Zwischendurch werden noch ärztliche Befunde der Angehörigen detailliert kommuniziert, interpretiert und kommentiert (hat ja schon immer gesoffen). Letztlich kommt man zum Schluss, dass man den Einkauf diesen Nachmittag gemeinsam unter Zuhilfenahme des Automobils beim S.. (drei Gassen weiter) erledigen werde. In erschöpfenden Einzelheiten wird diese Diskussion auch in der Schlange vor der Kassa weitergeführt und Kurti, das Handy zwischen Ohr und Schulter geklemmt, kauft sich mit seiner Bankomatkarte eine Wurstsemmel, einen Sixpack und eine Packung Kaugummi (seine Gemahlin schätzt es nicht besonders, wenn er schon am Vormittag Bier trinkt). Er würde auch nur eine Packung Kaugummi mit Bankomatkarte bezahlen, das ist aber eine andere Geschichte. Das Ganze wird natürlich in einem nachträglich erworbenen Plastiksackerl verstaut.
Kurti beendet seinen Einkauf mit den Worten: „So, Schatzi! Ich muss jetzt Schluss machen, aber ich komme eh gleich nach Hause.“ Das „ich komme eh gleich nach Hause“ könnte er sich ersparen, weil lustigerweise redet er daheim kaum etwas und wenn, dann meistens auf dem Niveau:
Sie: „Schmeckt das Essen?“
Er: “Suchst du schon wieder Streit?“
(stammt nicht von mir)
Nach Verlassen des Supermarktes winkt er seiner Partnerin, die mittlerweile den Weg aus Ihrem Bett zum Fenster gefunden hat (kontrolliert wahrscheinlich, ob er zum Wirten geht) freundlich zu, öffnet das Haustor, stopft sich noch im Flur einen Kaugummi ins Gesicht und betritt frohen Mutes den hauseigenen Lift.
Ich, der dieses Geschehen bis zu letzten Minute mitverfolgen durfte, stehe noch immer mit leerem Einkaufswagen im Supermarkt. Dieses Schauspiel voll optischer Raffinesse und raumfüllendem Klang hat meine Konzentrationsfähigkeit auf ein Minimum reduziert und mich förmlich gelähmt.
Mit anderen Worten: Ich schau so blöd drein wie ein Eichhörnchen, wenn es blitzt.
Wahrscheinlich denken sie jetzt: irgendwie kommt mir das bekannt vor?!
Sicher, solche Typen gibt es auf der ganzen Welt von New York bis Sulz im Wienerwald. Aber wie heißt es so schön: Die Handlung und die handelnden Personen dieser Geschichte sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit toten oder lebenden Personen oder Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens ist nicht beabsichtigt und wäre rein zufällig.
Ich gebe ja zu, dass diese Geschichte etwas Klischee behaftet ist, aber glauben sie mir, manchmal überholt die Realität jedes menschliche Vorstellungsvermögen.
Nichts desto trotz: Nach einiger Zeit fasse ich mich wieder, greife in meinen Hosensack, hole mein Handy hervor und beende die Verbindung. Ich fürchte mich davor, meine Gefährtin anzurufen und ein Gespräch über das Nachtmahl anzufangen. Wortlos (obwohl ich sehr oft zu Selbstgespräche neige) packe ich hastig die Waren aus den Regalen in meinen Einkaufswagen und verlasse fluchtartig die Stätte des Grauens.
 
Warum erzähl ich das alles?
Blicken wir zurück in der Geschichte:
 
3300 v. Chr. Kupferzeit; Beispiel: „Ötzi“, Kupferbeil
1727 Stephen Gray entdeckte den Unterschied zwischen Leiter und Nichtleiter.
1821 Georg Simon: Das Ohmsche Gesetz
1874 Dr. Ferdinand Braun entdeckte den Gleichrichtereffekt der Halbleiter
1876 ließ Alexander Graham Bell sein Telefon patentieren.
1900 erhielt Nikola Tesla ein Patent über die drahtlose Energieübertragung, das als erstes Patent der Funktechnik gilt.
1947 John Bardeen, William Bradford Shockley und Walter Houser Brattain: Spitzentransistor, Begründung der Mikroelektronik.
1954 Geburt Hansi Hinterseer ?
1966 Erstausstrahlung Raumschiff Enterprise
1973 führte der Motorola-Manager Martin Cooper das erste Telefongespräch mit einem Mobiltelefon-Prototypen. Vorbild war der Communicator aus Raumschiff Enterprise.


Das sind nur wenige, eher willkürlich ausgewählte Ereignisse, die in über 5000 Jahren zur Entwicklung des Handys geführt haben.
Man muss sich das vorstellen: von der ersten Metallgewinnung und –verarbeitung über die Entdeckung des Stroms, die Erfindung von Telefon und Funk, die Entwicklung von Mikrochips hin bis zur heutigen Zeit, wo wir diese kleinen Wunderdinger in Händen halten dürfen – so viel harte Arbeit, Intelligenz, Begabung, Erleuchtung, Weitblick usw., usw. – und wozu das Ganze?
Damit sich Kurti und seine Süße am Handy über das Nachtmahl unterhalten können!
 
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 25.02.2014. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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