Die Eule nahm das kleine Gespenst in einer sternklaren Nacht mit an einen See.
Er glänzte im Mondlicht silbern. Das Wasser wurde nur selten von einer Welle ein wenig bewegt.
Am Ufer wuchsen hohe Gräser. Auf dem Wasser lagen wie ein Teppich Seerosenblätter. Wendel setzte sich auf eines der großen Blätter.
„Komm doch auch“, rief er der Eule zu, die auf einem Baum am Ufer saß.
„Das Blatt hält mein Gewicht nicht aus. Ich würde sofort ins Wasser sinken. Ich kann nicht schwimmen.“
„Ist dort im Wasser etwas? Ich glaube, ich habe einen länglichen Schatten huschen sehen“, rief er der Eule zu.
„Vielleicht war das ein Fisch“, antwortete sie.
Wendel beugte sich über den Rand des Blattes und schaute ins Wasser.
Da sah er eine weiße Gestalt. Die blickte ihn mit schwarzen Augen an. Sie bewegte sich, wenn er eine Bewegung machte.
Wendel probierte mehrere Bewegungen aus, die genau so nachgemacht wurden.
„Bin ich das etwa, liebe Eule?“
„Das ist dein Spiegelbild. Sieh es dir genau an.“
Wendel schaute genau hin. Es besah sich eine Weile aufmerksam.
„Ich bin zu klein“, stellte er enttäuscht fest, „wie sollen da die Leute vor mir Angst haben?“
„Meistens haben sie ja auch keine Angst“.
„Ja. - Das ist schade. Mir macht es doch solchen Spaß, Menschen und Tiere zu erschrecken. Wozu bin ich dann überhaupt ein Gespenst?“
„Du bist eben ein besonderes Gespenst“, meinte die Eule. „Du scheinst dazu da zu sein, andere zu trösten und ihnen zu helfen.“
„Aber das ist doch gar nicht die Art von Gespenstern. Warum bin ich nicht wie alle die anderen?“
„Ist es so nicht viel besser?“, gab die Eule zu bedenken. „Ich jedenfalls mag dich so lieber.“
© I. Beddies
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 25.02.2014.
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