Ernst Dr. Woll

Kalb Elfriede wurde nach und nach Teenager

Menschen brauchen etwa 12 - 13 Jahre um ins Teenageralter zu kommen, bei Rindern sind es nur etwa 4 - 6 Monate. Die Geschichte über das Kalb Elfriede, bei dessen Geburt der 8jährige Gerhard dabei sein durfte, soll nun fortgesetzt werden.
Das Kalb Elfriede war  voller Lebenskraft, gesund, stets munter, voller Energie und wuchs zu einem Jungrind heran. Bis zum Alter von 4 Wochen trank es Milch aus dem Euter der Kuh, seiner Mutter. Nach und nach begann es auch zusätzliches Futter, vor allem schmackhaftes Wiesenheu, frisches Gras und Klee, zu fressen. Es konnte sich in einer geräumigen Stallbox frei bewegen.
Gerhard besuchte das Kalb jeden Tag und war froh, dass es endlich Frühling wurde und der Weidegang der Rinder begann. Kalb Elfriede durfte mit, als die Tiere zur Weide „getrieben“ wurden. Es hielt sich anfangs in der Nähe seiner Mutter auf und erkundete aber auch immer mehr auf den täglichen Weg zur Koppel die Umgebung. Es war eine Freude zu zusehen, welche Sprünge Elfriede machte und sich auch mit dem Hund Rex, der die Tiere zusammenhalten sollte, anlegte. Dem Hütehund gefiel es nicht, wenn sie sich zu weit von den anderen Tieren entfernte und ihn dann auch noch mit ihrem harten Kopf in die Flanke stieß. Er verlangte Respekt, sonst biss er auch leicht zu, dabei hatte er gelernt, dass er den Tieren keine Wunden zufügen durfte. Elfriede schien, darüber amüsierte sich Gerhard, hart im Nehmen zu sein, sie ließ sich von den harmlosen Bissen kaum beeindrucken.
Die Weide war mit einem Elektroweidezaun eingefriedet und das unerfahrene Kalb machte auch mehrmals Bekanntschaft mit einem leichten Stromschlag, weil es mit dem Maul an den stromgeladenen Draht kam. Ihm schmeckte das frische Gras, aber hinter dem gefährlichen begrenzenden Draht schienen noch größere und schmackhaftere Pflanzen zu wachsen, die es gern erreicht hätte, weil Verbotenes immer reizt.
Am liebsten wäre Elfriede ständig zur Weide gegangen, aber im April setzte ein mehrtägiges Regenwetter ein, die Wiesenfläche wurde zu sumpfig und die Rinder mussten im Stall bleiben. Da  fand Gerhard eines Tages das 8 Wochen alte Tier angebunden vor. Er machte seinen Vater dafür verantwortlich, protestierte gegen diese Zwangshaltung, wurde richtig bockig und wandte sich an den Großvater um Hilfe. Dieser versuchte den Jungen zu beruhigen und erklärte ihm einige Notwendigkeiten: „Die Tiere in unserer Obhut haben es in der Regel leichter als in der freien Natur, sie bekommen regelmäßig Futter, sind vor Unwettern geschützt und brauchen keine Furcht vor Feinden zu haben. Dafür müssen sie sich die Haltungsbedingungen gefallen lassen, die wir für richtig halten. Wäre zum Beispiel unser Hofhund Rex nicht an der Kette, würde er die freilaufenden Hühner und Gänse ständig gefährden. Er ist ein guter Weidehund aber sonst oft unberechenbar und auch euch Kinder könnte er beißen und sogar lebensgefährlich verletzen.“ Gerhard widersprach und sagte trotzig: „In der Försterei sind die bissigen Hunde auch nicht angebunden, sie leben in einem großen Zwinger, warum bauen wir für unseren Hund keinen solchen? Und warum sind die Hühner, Gänse, Katzen und Schweine nicht angebunden, weil die wahrscheinlich  keinem etwas zu leide tun können. Elfriede würde das auch nicht machen, sie hat nun aber immer ein Halsband am Hals und muss an einer Stelle stehen. Dabei springt sie so gern herum.“
Der erfahrene Großvater wollte den Buben gern mit Argumenten überzeugen und er erzählte ein wahres Erlebnis: „Ein Kalb, das gerade begann festes Futter aufzunehmen,  war nicht angebunden, hatte deshalb überallhin Zugang und auch in den Raum, wo der eben gemähte frische Klee gelagert wurde. Weil dieser sehr gut schmeckte, fraß es Unmengen davon und nach kurzer Zeit blähte der Bauch gewaltig auf – es wurde schwer krank.  Der Tierarzt musste gerufen werden, der mit einem Rohr, einem Trokar, ähnlich einer starken hohlen Nadel, in den Pansen stach. Das Gas strömte heraus und das Kalb konnte gerettet werden.  Das Futter war das erste frisch geerntete Grün, das aber anfangs nur in kleinen Portionen aufgenommen werden darf. In der Natur lernen die Tiere diese Verhaltensregeln von ihren Müttern und besitzen auch noch einen besseren Instinkt als die heutigen Haustiere.“
Als Gegenargument fiel Gerhard hier nun nur noch ein, dass Elfriede in ihrer großen Stallbox ja auch nicht an das verbotene Futter gekommen wäre. Hier schaltete sich aber der Vater wieder ein und bestimmte: „Das Kalb bleibt angebunden – basta! Wir brauchen jetzt die Box für die neuen Kälber; der  Platz im Stall ist knapp.“
Elfriede wurde an einem langen Strick festgebunden, um dem quirligen Tier  doch etwas mehr Bewegungsfreiheit zu gönnen. Nur gut, dass Gerhard nach wie vor häufig in den Stall ging, denn eines Tages hätte sich das Kalb – nun fast Jungrind - fast erdrosselt, wäre er nicht noch rechtzeitig dazu gekommen. Er hatte mehrfach beobachtet, dass Elfriede  so übermütig hüpfte, als wäre sie noch in der geräumigen Bucht. Sie wollte absolut nicht einsehen, dass der Strick sie am Springen hinderte. Unglücklicher Weise hatte sich wahrscheinlich bei der „Hüpferei“ diese Leine zwischen Latten am Fressgitter festgeklemmt. Als er den Stall betrat hing Elfriede am  Halsband in der Schwebe, sie röchelte und bekam kaum noch  Luft, die Zunge hing heraus. Er nahm sein scharf geschliffenes Taschenmesser, das er immer in der Hosentasche bei sich trug, schnitt den Strick durch und das Tier plumpste herunter. Die schon blau aussehende Zunge verschwand wieder im Maul. Erleichtert stellte Gerhard fest, Elfriede atmete befreit weiter. Er war stolz, man feierte ihn als Lebensretter. Er hatte damit sogar erreicht, dass fortan in dieser Bauernwirtschaft die Rinder nun erst ungefähr im Alter von 6 Monaten, wenn sie etwas ruhiger geworden waren, angebunden wurden. Überhaupt ging man nach und nach zur Laufstallhaltung der Jungrinder über.
Der Autor überlegte gründlich, ob er die Geschichte mit dem Taschenmesser erzählen sollte. Früher – während seiner Kindheit -  gehörte es zu einem richtigen Jungen, dass er immer ein gut schneidendes Taschenmesser in der Hosentasche mit sich trug. Heute wird dies den Buben eher untersagt. Es wurden schon zu viele  Vorfälle publik, dass sich sogar auf Schulhöfen  Kinder damit gegenseitig bedrohten und verletzten. Ob dies früher ebenso häufig geschah, kann nicht nachvollzogen werden, weil heutzutage durch die Medien diese Vorkommnisse sehr schnell eine breite Öffentlichkeit erreichen. Über weitere vielleicht nötige Erziehungsmaßnahmen, Kindern den Besitz von Taschenmessern zu erlauben oder zu verbieten, soll hier nicht spekuliert werden. Hätte aber Gerhard nicht sofort dieses Messer zur Hand gehabt, wäre das vielleicht für Elfriede tödlich ausgegangen.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 26.02.2014. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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