Peter Spiegelbauer

Cassandra - Giovanni - Teil 1

 

in absentia


Die eisige Kälte des Windes stach in ihre Augen, als Cassandra blindlings durch das Waldstück hetzte. Sie konnte sich nicht erinnern, was vor einigen Minuten in Ihrem Elternhaus passiert war. Es schien als ob zwischen dem Streit mit ihrer Mutter und dem großen Feuer keine Zeit vergangen war. Wodurch das Feuer ausgelöst worden war, ob sie vielleicht sogar selbst daran die Schuld trug, vermochte sie beim besten Willen nicht zu sagen. Sie wusste nur, dass sie zu sich gekommen war, als das gesamte Anwesen bereits in meterhohen Flammen stand, und sie vor dem Haus am Boden lag. Als ob man sie unsanft hinausbefördert hätte. Erklärungen für das Geschehene oder ihr brüchiges Erinnerungsvermögen konnte und wollte sie im Moment auch nicht finden. Weit weg von hier, waren die einzigen Worte, die ihr ganzes Tun und Handeln beherrschten.
Sie rannte bis zum Waldweg, und diesem folgend, in Richtung des nächstgelegenen Dorfes. Es war bereits spät in der Nacht, und normaler Weise hätte sie sich zu Tode gefürchtet, vor den Gefahren die der Wald für sie bereithielt. Aber für solch kindlichen Angstzustände gab es im Moment keinen Platz. Erst als Cassandra sich den Luxus einer kleinen Verschnaufpause gönnte, hörte sie das Getrampel von mehreren Pferden. Sie drehte sich verschreckt um, konnte jedoch nichts erkennen. Die italienische Po-Ebene war wie immer um diese Jahreszeit in dichten Nebel gehüllt. Dumpf und unwirklich hörte sie eines der Pferde aufwiehern, als es Sekunden später vor ihr auftauchte. Cassandra schaffte es gerade noch beiseite zu springen, um nicht totgetrampelt zu werden. Das Pferd scheute und der Kutscher hatte alle Mühe die anderen Pferde im Zaum zu halten. Schließlich kam die Kutsche zu Stehen.
Sekundenlang konnte Cassandra keine Bewegung ausmachen. Die Kutsche wirkte wie ein lebloser schwarzer Koloss, mitten im Nebel.
‚Ein Geisterschiff mit Pferden’, schoss es ihr durch den Kopf. Grotesk und furchteinflößend zugleich.
Plötzlich öffnete sich langsam die Türe und gab dabei ein gespenstisches, quietschendes Geräusch von sich, als ob sie schon lange nicht mehr geschmiert worden wäre.
Starr vor Angst blickte Cassandra auf die offen stehende Türe. Innerlich flehte sie zu allen Engeln die sie kannte, dass dies nur einer ihrer bösen Träume sein möge. Doch kein Engel kam um sie zu retten. Unendlich zäh kroch etwas dunkles aus dem Inneren der Kutsche auf sie zu. Gebannt sah sie auf die unnatürliche Erscheinung. Der Kutscher saß immer noch unbewegt auf seinem Kutschbock. Als Cassandra endlich erkannte, mit wem sie es zu tun hatte, umfing sie eine gnädige Ohnmacht.
 

Nihil fit sine causa


Der stechende Geruch von frischem Rosmarin stieg ihr in die Nase, als Cassandra wieder zu sich kam. Zaghaft öffnete sie ihre Augen.
„Guten Morgen, mein Kind.“ Begrüßte sie eine rauhe tiefe Stimme.
Sanft legte sich eine Hand auf ihre Schulter. Cassandra sah verstört in zwei rabenschwarze Augen. Tiefe Besorgnis lag in seinen Augen, als er sie erneut ansprach.
„Du scheinst dich gut erholt zu haben. Wie fühlst du dich?“
„Ich fühle mich ein wenig kraftlos, aber sonst geht es mir gut.“
„Sehr schön. Ich habe den Auftrag mich um dich zu kümmern und dich anschließend zu Viktor zu bringen. Er freut sich schon darauf, endlich deine Bekanntschaft zu machen. Erhol dich noch ein wenig. Ich komme in ein paar Stunden wieder und bring dich dann zu ihm. Ein passendes Kleid hab ich auch schon für dich vorbereitet. Es liegt da drüben.“ Der Unbekannte zeigte auf einen Stuhl neben der Eingangstüre.
„Danke. Aber wer ist Viktor, und wer seid ihr?“ Cassandra beschlich ein ungutes Gefühl.
„Mein Name ist Sanceloto. Ich bin… ein… Bediensteter von Viktor Giovanni. Viktor Giovanni ist einer der Einflussreichsten Geschäftsleute von Venedig, und er war es auch, der dich letzte Nacht in einem Waldstück etwa dreißig Kilometer nördlich von hier… gefunden hat. Aber jetzt muss ich wirklich gehen. Ich erklär dir alles weitere, wenn ich wieder da bin.“ Mit diesen Worten verließ Sanceloto den Raum und ließ Cassandra allein zurück.
Irgendetwas an der Art wie Sanceloto mit ihr gesprochen hatte, kam Cassandra komisch vor. Merkwürdig mystisch und geheimnissvoll waren seine Ausführungen. Sie schien sich entweder inmitten großer Schwierigkeiten, oder an einem sicheren Ort zu befinden. Ihr Gefühl sagte ihr, dass auf gewisse Art und Weise beides zutraf. Doch noch bevor sie ihre Gedanken ordnen konnte, blieb ihr Blick auf dem Kleid hängen. Es schien aus feinster Seide zu sein. Ornamente waren mit goldenen und silbernen Fäden in den Stoff eingearbeitet worden. Solch ein wertvolles Stück Kleidung hatte sie bis jetzt noch nie gesehen. Sie konnte es fast nicht glauben, dass ihr ein wildfremder Mann, der sie noch nicht einmal kannte, ein so teures Kleid überließ.
Cassandras Blick strich neugierig über den restlichen Raum. Die Wände waren aus massivem Stein. Die Einrichtung beschränkte sich auf das Bett in dem sie lag, einen kleinen Tisch mit einem Hocker in der Ecke rechts neben ihr und dem Sessel mit dem Kleid direkt neben der hölzernen, eisenverschlagenen Eingangstüre.
Sie bemerkte, dass sie ein weisses Nachthemd anhatte. Scheinbar hatte man sie von ihren Kleidern befreit und eingekleidet. Wunden hatte sie keine. Ihr Körper war so makellos wie immer.
Eine Fackel bei der Türe spendete Licht. Als sie aus der kleinen Fensteröffnung in der Wand links neben ihrem Bett blickte, erspähte sie ein kleines Dorf in der Nähe. Das Haus in dem sie sich befand musste sich auf einem Hügel zu befinden. Mit einem Mal wurde ihr schwer ums Herz, als ihr bewusst wurde, dass sie sich ganz allein irgendwo in Italien in dem Haus eines Unbekannten befand. Angst schlich sich in ihre Gedanken. Wie war sie bloß hierher gekommen? Wer waren diese Männer, die sie hierhergebracht hatten? Was war passiert nachdem diese schwarze Kutsche aus dem Nebel so urplötzlich aufgetaucht war? Wenn Cassandra die Antworten auf diese Fragen jemals gewusst hatte, dann konnte sie sich mittlerweile nicht mehr daran erinnern. Es war still. Kein Wind, kein Wiehern von Pferden, Schritte oder Stimmen von anderen Menschen. Nichts von alledem. Die Stille war so unnatürlich, wie der Ort an dem sie sich befand. Sie schrak auf, als plötzlich das Heulen eines einsamen Wolfes die Stille der Nacht zerriss…

 

 

Diese Geschichte basiert zum größten Teil auf den Rollenspielbüchern von White Wolf, genauer gesagt auf den Sourcebooks von Vampire the Masquerade. Da es dieses Spielsystem schon seit vielen Jahren nicht mehr gibt, und es demnach kaum noch von irgendjemandem heutzutage gespielt wird, wollte ich dieser Kindheitserinnerung von mir Tribut zollen, in dem ich einige Geschichtsfragmente dazu verfasste.
Es tut mir leid, wenn sich der eine oder andere Leser erst ein wenig durch-googeln muss, um zu verstehen worum es in diesem Spielsystem überhaupt geht, beziehungsweise um den Hintergrund der Geschichte zu verstehen. Ich bedanke mich schon jetzt für euer Verständnis.
Da ich diese "Kurzgeschichte" schon seit Langem nicht mehr überarbeitet habe, bin ich für jeden konstruktiven Vorschlag zur Verbesserung des Textes dankbar. Liebe Grüße Peter Spiegelbauer
Peter Spiegelbauer, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 04.03.2014. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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